Die fünfte Folge von “Picard” markiert das Halbfinale der Staffel. Wir sehen uns an, was gut und was schlecht daran ist. Achtung, Spoiler!
Eines vorweg: Die Folge erweist sich als genauso kurzweilig wie die anderen Folgen davor (wodurch sich “Picard” in eine Reihe mit “The Mandalorian“ stellt). Immerhin geht es aber mal ein wenig voran. Trotzdem ist es im Gesamtkontext schwer, die Folge einzeln und für sich zu betrachten. Da man aber den Handlungsstrang um den Borg-Kubus diesmal weglässt, kann die Geschichte um Picard immerhin in größeren Schritten vorangehen.
Alte Bekannte – in mehrfacher Hinsicht
Die Folge beginnt erneut mit einer Rückblende und wir müssen uns gleich von einem bekannten Charakter verabschieden. Icheb wird nämlich sogleich zu Tode gefoltert in einer sehr blutigen Szene (weswegen die Folge auch ein “ab 16“ bekommen hat). Um den Schockeffekt zu unterstreichen, funktioniert das sogar. Das Icheb nicht von seinem ursprünglichen Schauspieler Manu Intiryami gespielt wird, ist indes zu verschmerzen. Zum einen ob der Kürze der Szene, zum anderen wegen seiner Äußerungen in der Vergangenheit. Und auch In-Universe ist es – zumindest für mich persönlich, da ich nie Fan der Figur war – kein großer Verlust.
Im Übrigen wird hier wieder erwähnt, dass man Borg-Implantate für Geld ausschlachtet, auch wenn dieses “Geld” nicht näher definiert wird. Ob die Borg-Technik ob der inzwischen vorhandenen Technik der Flotte aber noch soviel bringt, sei an der Stelle mal dahingestellt. Zu Seven kommen wir gleich noch, aber sie ist natürlich die andere alte Bekannte, auf die man trifft. Das war am Ende der letzten Folge schon angedeutet worden.
Der dritte im Bunde ist Bruce Maddox (auch nicht mehr vom ursprünglichen Schauspieler gespielt), der nun endlich seinen Auftritt hat. Wir erfahren, dass er vor zwei Wochen auf Freecloud eingetroffen ist. Was für ein Zufall, dass Picard und sein Team, trotz des Abstechers nach Vashti, immer noch rechtzeitig und vor dem Tal Shiar eintreffen, um Maddox zu befreien. Wer erinnert sich noch an die Rollenspiele der letzten Jahre? Die Hauptquest ist super dringlich und soll sofort erledigt werden, nach Stunden auf Nebenquests macht man mit ihr aber weiter, als wäre nichts geschehen…
Cyberpunk in Trek
Die Szenen auf Freecloud spielen sich dagegen in einer Art Cyberpunk-Atmosphäre ab. Das mag nicht jedem Gefallen, aber es ist schön, auch mal zu sehen, wie es so auf abseits gelegenen Föderationsplaneten aussieht. Klar, mit den aufdringlichen Werbetafeln (die in einer witzigen Szene auch auf das Schiff gespielt werden) und dem ganzen Drumherum erinnert das ganze an “Blade Runner”. Es ist aber durchaus mal ein schöner Kontrast zu den “Sauber“-Welten, die man sonst so gesehen hat. Hoffentlich wird davon abgesehen, nur noch solche Szenen zu zeigen.
Dann haben wir natürlich noch den obligatorischen Nachtclub, in dem wir wieder ein Sammelsurium an Alien-Charakteren bewundern dürfen. Der erreicht jetzt vielleicht nicht den Cantina-Charme aus “Star Wars – Episode IV”, ist aber in Ordnung. Auch wenn man an der Stelle bemängeln muss, dass die Sicherheitsvorkehrungen recht lasch sind. So wie Picard und Konsorten später die Wachen von Bjayzl übertölpeln und auch unsere Ram-Borg Seven zu Rande geht, ohne getroffen zu werden… Ne sorry, das geht gar nicht, doch dazu gleich noch mehr.
Die Charakterisierung
Denn damit sind wir auch schon bei der Charakterisierung dieser Folge und da gibt es Highlights, aber auch leider viele Mankos. Beginnen wir mit Seven, die nun eine Fenris Ranger ist (wenn ich raten müsste, sogar die Anführerin). Ihre Szenen mit Picard sind stimmig und vermögen vor allem am Ende zu überzeugen, als man über die Rückkehr von den Borg sinniert. Das ist “Star Trek” pur und gut gelungen. Dass Seven nicht gleich alles offenbart, geschenkt. Die Szenen mit Bjayzl sind überdies ebenso gut und deuten sogar an, dass Seven und sie mehr waren als “Freunde”.
Dass Seven für die Unterdrückten kämpft, kann ich sogar ebenfalls noch nachvollziehen. An der Stelle muss ich aber mal eine Lanze für die Föderation brechen. Man kann nicht überall sein und wenn im Orion-Sektor, an den mich Freecloud erinnert, auch Borg gefoltert werden, kann die Föderation da auch herzlich wenig machen. Hier wird schon beinahe eine übertrieben hohe Latte angelegt. Kein Wunder, dass die Föderation die moralischen Standards von Picard und Seven nicht erfüllen kann…
Was die Rache-Geschichte angeht, mag das kontrovers sein, aber Seven war auch auf der Voyager schon kein Mitglied der Sternenflotten. Sie ist also nicht unbedingt an die Ideale der Föderation gebunden, vor allem da sie sie ja von Kindesbeinen an so nicht kennt. Und immerhin liegen da auch schon wieder 20 Jahre dazwischen. Wir wissen einfach zu wenig über die Vorfälle, um darüber ein Urteil fällen zu können. Daher, schockierend? Ja, aber man kann damit leben.
Elnor hingegen wird in der Folge eher zur Lachnummer degradiert, der nicht weiß, wann das Gegenüber scherzt oder nicht. Ernsthaft? Selbst wenn man zugute hält, dass er bei Kampf-Nonnen aufgewachsen ist, passt das eher zu einem Vulkanier denn zu einem Romulaner. So lebensfremd kann man doch im 24.Jahrhundert gar nicht mehr aufwachsen. Eindeutig der Verlierer dieser Folge.
Rios hingegen gefällt mit seiner verwegenen Mischung und hat sichtlich Spaß, wobei auch er kaltblütig einen Reptiloiden abknallt. Scheinbar stehen die Phaser in der Zukunft nicht mehr unbedingt auf Betäuben – aber auch hier gilt, dass Rios eben nicht (mehr) der Sternenflotte angehört. Zugute halten muss man aber, wie auch bei Seven später, dass nicht groß gelabert, sondern auch wirklich abgedrückt wird.
Patrick Stewart darf in seiner Piratenverkleidung indes auftrumpfen und hat sichtlich Spaß, etwas überbordend zu spielen. Ob man das allerdings wirklich so hätte machen müssen, darüber lässt sich freilich streiten, daher stehe ich der ganzen Sache etwas gemischt gegenüber. Und am Ende kann mir keiner erzählen, dass er nicht ahnt, was Seven tun wird, immerhin borgt (Wortspiel!) die sich zwei Phaser…
Bleibt zu hoffen, dass Picard in der letzten Folge nicht einfach auf den Sender drückt und zwei Sekunden später steht Seven als Retterin in der Not da.
Kommen wir noch zu Raffi, die auch als eine der Verliererinnen aus der Folge geht. Nicht jeder hat den Prolog-Roman gelesen, aber selbst wenn, die Szenen um ihren Sohn lassen einen völlig kalt. Einerseits ist es für den Zuschauer recht offensichtlich, dass sie lügt. (Außer sie hat in der letzten Folge eine Entziehungskur gemacht, von der wir nichts wissen. Kurtzman-Trek ist das ja zuzutrauen, man denke hier nur an die zweite “Discovery”-Staffel). Zum anderen so richtig mitzureißen vermag der Zoff mit ihrem Sohn dann auch nicht wirklich. Und dann auch noch die Enthüllung, dass Raffi ihre Familie verlor, weil sie mit ihren Verschwörungstheorien beschäftigt war…. und es nicht mal auf die Reihe kriegt, zwei Minuten diesbezüglich die Klappe zu halten. Und dann ist ihr Sohn auch noch mit einer Romulanerin verheiratet – was auch sonst? Viel besser geht Klischee nicht und es war zudem ein billiger Kniff, Raffi zurück an Bord zu bringen. Nein, sorry, das hat für mich überhaupt nicht funktioniert.
Die böse Verschwörung
Einen Charakter hätten wir nun fast vergessen – und zwar den, der für den Cliffhanger sorgt: Agnes. Anhand ihrer Blicke war es schon ziemlich offensichtlich und es wurde dann auch bestätigt, dass die arme unschuldige Agnes Maddox mal eben die Lebenslichter auspustet (Müsste nicht zumindest das MHN dann in der nächsten Woche allen davon erzählen?). Die Szene funktioniert, auch wenn man den bereits zwei Folgen zuvor angedeuteten Weg geht und Agnes nun doch zur Verräterin in Diensten von Oh macht.
Hoffentlich verzetteln sich die Macher bei der Auflösung dieser großen Verschwörungsgeschichte nicht so sehr, wie dies in der zweiten “Discovery”-Staffel passiert ist. Übrigens, das Artefakt scheint jeder zu kennen, denn man macht sich am Ende der Folge auf den Weg zum Borg-Würfel.
Fazit
Endlich geht es in “Picard” voran, auch wenn einige Charakterszenen sicherlich kontrovers aufgenommen werden dürften. Ein paar Charakterisierungen in der Folge sind zwar mangelhaft, für gutes Mittelmaß reicht es hier aber schon. Vor allem da der Abwärtstrend der Vorwoche hier zumindest etwas wieder umgekehrt wird und man wieder leicht nach oben weist. Hoffentlich bleibt es dabei.
Bewertung
Handlung der Einzelepisode | [usr 3.5 max=”6″] |
Stringenz des staffelübergreifenden Plots | [usr 4 max=”6″] |
Stringenz des bekannten Kanons | [usr 3 max=”6″] |
Charakterentwicklung | [usr 4 max=”6″] |
Spannung | [usr 4 max=”6″] |
Action & Effekte | [usr 5 max=”6″] |
Humor | [usr 2 max=”6″] |
Gesamt | [usr 3,5 max=”6″] |
Episoden-Infos
Episoden-Nummer | 5 (Staffel 1, Episode 5) |
Originaltitel | Stardust City Rag |
Deutscher Titel | Keine Gnade |
Erstausstrahlung USA | Donnerstag, 20. Februar 2020 |
Erstausstrahlung Deutschland | Freitag, 21. Februar 2020 |
Drehbuch | Kirsten Beyer |
Regie | Jonathan Frakes |
Laufzeit | 45 Minuten |
Es gibt aus Meiner Sicht einen ganz simplen Grund, warum New Trek nicht mehr funktioniert – die Prämisse stimmt nicht mehr. Die Prämisse, also die Grundaussage, von Star Trek war immer “Unendliche Weiten, neue Welten entdecken und dorthin zu gehen, wo noch nie ein Mensch gewesen ist”. Diese Prämisse hat die Serie seit TOS auf unterschiedliche Art und Weise bedient. Einerseits dadurch, dass alles auf einem Raumschiff spielte, was schon die erste “unbekannte Welt” für uns heutige Menschen ist, und tatsächlich ständig auf fremde Planeten gebeamt und fremde Kulturen erforscht werden. Die Erde sah man ja immer nur selten in… Weiterlesen »
“Es ist aber durchaus mal ein schöner Kontrast zu den “Sauber“-Welten, die man sonst so gesehen hat. Hoffentlich wird davon abgesehen, nur noch solche Szenen zu zeigen.” Wahnsinn. Was ist aus Star Trek und seinen Fans in den letzten Jahren eigentlich geworden? Bei solchen Aussagen stellen sich mir die Nackenhaare auf. Glaubt der Rezensent ernsthaft, dass sich dieses unappetitliche Dystopie-Trek zum Positiven wenden wird? So naiv kann er doch nicht sein! Kennt er denn nicht die Ankündigungen der Verantwortlichen ??? Ich jedenfalls habe mein Amazon-Abo für 30 Tage heute storniert. Es reicht mir, ich tue mir diese Vergewaltigung von meinem… Weiterlesen »
“Um den Schockeffekt zu unterstreichen, funktioniert das sogar.” Ich sehe überhaupt nicht, dass das funktioniert. Die neuen Zuschauer kennen Icheb nicht, verstehen also nicht die Verbindung zu Seven. Die Alt-Fans sind eher verstört, dass Icheb einfach so geopfert wurde. Wie so oft ist den Autoren mal wieder nicht mehr eingefallen. Und wozu das alles? Um am Ende eine schießwütige Seven zu sehen. Das will ich genauso wenig wie diesen lächerlichen und peinlichen Piraten-Picard sehen. In Star Trek wurden Probleme mal mit Intellekt gelöst.
Mich würde nicht wundern wenn sich Kurzmann und Co mit einer Fenris Ranger Idee als weitere Serie beschäftigen würden