Kürzlich ist auf Netflix die dritte Staffel von “Tote Mädchen lügen nicht” (im Original: “13 Reasons Why”) erschienen. Eigentlich ist die Serie ja ein bisschen weit weg von unserer sonst üblichen Thematik, warum es mir aber trotzdem eine wichtige Angelegenheit ist, mal darüber zu sprechen, klärt der folgende Artikel.
Achtung, Spoiler!
Die ersten beiden Staffeln
Bevor wir auf die dritte Staffel und die Gründe, warum sie vielleicht so wichtig ist, eingehen, sehen wir uns kurz die letzten beiden Staffeln an. Die erste basierte dabei ja noch auf dem gleichnamigen Roman und transportierte bereits 2017, bei ihrem Erscheinen, eine Botschaft, nämlich u.a., dass man sich als (Vergewaltigungs-)Opfer nicht verstecken, sondern mit jemandem darüber reden sollte. Klar, Hannah wurde auch dauernd missverstanden und so einfach kann man es nicht herunterbrechen. Für die Zusammenfassung soll es aber an der Stelle mal reichen.
Die Serie traf damals aus mehreren Gründen einen Nerv und war ziemlich erfolgreich. Sie war derart realistisch, dass kurz vor Start der dritten Staffel die erste zensiert wurde. So ist die Selbstmord-Szene von Hannah nicht mehr derart explizit wie früher – wohl auch, um Nachahmern nicht zu zeigen, “wie man es richtig macht”. Doch auch sonst war die Serie damals in aller Munde, was sogar soweit ging, dass man Warnungen vor diverse Episoden schaltete, um vor dem erhöhten Gewaltgrad zu warnen bzw. davor, dass sie nichts für Zartbesaitete ist.
Auch meiner Meinung nach war die erste Staffel damals sehr gut und man konnte, wie viele andere, am Ende nur ungläubig schauen, dass nun alles vorbei sein sollte. Man wollte einfach wissen, wie es im Leben von Jay, Justin, Tyler – und wie sie alle hießen – weitergehen würde. Und wie sie alles verarbeitet haben.
Und wie es oft in Hollywood ist: Der Erfolg rechtfertigt eine Fortsetzung und so wurde Staffel Zwei produziert, die allerdings schon nicht mehr ganz so gezogen hatte wie noch Staffel Eins. Irgendwie fing es dort schon an, leicht zu verwässern. Es gab mehr von allem: mehr Vergewaltigungen, mehr Gewalt. Und irgendwie konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass zwischen den Charakteren vieles kaputt gemacht worden ist. Man denke hier nur an Hannahs Affäre vor Staffel Eins, um nur ein Beispiel zu nennen. Es mag vielleicht passend gewesen sein, dass Hannah nicht das “saubere” Mädchen von nebenan war. Trotzdem nahm es, zumindest nach Ansicht des Rezensenten, einiges an Stärke der ersten Staffel aus ihrem Charakter heraus.
Als Epilog, quasi als Sahnehäubchen für die erste Staffel, konnte man die zweite sicher noch gelten lassen. Und eigentlich hätte es damit gut sein können, wäre da nicht noch das offene Ende um Tylers Amoklauf. So wurde auch dem Letzten ziemlich schnell klar, dass es eine dritte Staffel geben wird. Ende August ist diese nun auch bei Netflix erschienen.
Staffel Drei
Im Nachhinein betrachtet, wäre es allerdings vielleicht besser gewesen, man hätte es bei den zwei (oder besser: der einen) Staffel belassen. Auch wenn man am Ende von selbiger nach mehr gegiert hätte, wäre es ein durchaus starkes Ende gewesen. Ein Finale, das sich eine Art “Mystery-Touch” bewahrt hätte.
Mit der dritten Staffel und im Hinblick auf das Gesamtwerk der Serie geht dieser Effekt allerdings etwas verloren. Und wenn man meinen Worten bis hier her gefolgt ist, merkt man schon: Die dritte Staffel hat mich leider nicht abgeholt.
Warum wollten wir nochmal darüber sprechen? Nun, das liegt an den Botschaften der Staffel, die auch für die heutige Zeit wichtig sind.
Die Stärken: Die Botschaften
Denn es geht in dieser dritten Staffel nicht nur um das, was die Teaser-Plakate seit Monaten von den Wänden schreien: “Who killed Bryce Walker?” Nein, es werden auch in nahezu jeder Folge diverse gesellschaftliche Botschaften vermittelt. Das fängt mit Tylers Amoklauf an, geht über Abtreibungen, über Drogenmissbrauch, die Ablehnung eines Sohnes, der schwul ist, sowie Abschiebung von Flüchtlingen und noch einige andere Dinge, die fast schon zu viele zum Aufzählen sind. Hierfür wären vielmehr Einzelbesprechungen für jede Episode notwendig, denn ein Staffel-Recap kann dieser beachtlichen Themenvielfalt kaum gerecht werden.
Dennoch, wenn etwa Chloe zur Abtreibung geht und ihr dort ohne großes Federlesens gesagt wird, dass sie dies tun kann, wenn sie es möchte, dann spielt “13 Reasons Why” hier seine Trümpfe voll und ganz aus. Hier wird verantwortungsbewusst mit den großen Themen unserer Zeit umgegangen und nichts verwässert oder beschönigt oder zum Guten gedreht. Es ist eben so – oder so sollte es sein. Im vorliegenden Fall heißt das, dass Chloe zu nichts gedrängt wird und wirklich autonom entscheiden kann, wobei auch das Ergebnis einer solchen Entscheidung in allen ihren Konsequenzen gezeigt wird.
Wie bereits erwähnt, wird diese facettenreiche ethisch-moralische Zuspitzung auch auf andere Themen angewendet, etwa ob es moralisch vertretbar ist oder eben nicht, bei der Beerdigung von Bryce einen Protestmarsch zu machen. Bei diesen Szenen ist die Serie dann auch am stärksten, denn hier vermittelt “13 Reasons Why” eben ihre Botschaften und Werte, allerdings ohne sie dem Zuschauer aufzuzwingen. Hier will man keine irgendwie geartete Position beziehen, sondern auch die Serie lässt uns unsere eigenen Gedanken und Schlüsse zu den jeweiligen Szenarien ziehen.
Neben diesen Botschaften gibt es natürlich noch den Haupthandlungsstrang der jeweiligen Einzelfolgen, der allerdings mit den titelgebenden 13 Gründen (oder im Deutschen: toten Mädchen) schon lange nichts mehr zu tun hat. Denn dieses Mal geht es um den Mord an Bryce, wobei es in diesem Zusammenhang noch eine weitere und viel größere Botschaft zu vermitteln gibt. Doch dazu gleich mehr.
Die Schwächen: Zu viel des Guten
Und damit sind wir von den Real Life-Botschaften, die die Serie vermittelt, auch schon mitten in der drum herum gestrickten Handlung angelangt. Während die Szenen mit Botschaft meist intensiv und kurz gehalten sind, gilt das für den Haupthandlungsstrang nicht.
Zunächst muss aber festgehalten werden, dass der Mord an Bryce einige Längen aufweist. In einigen Episoden mag die Haupthandlung nicht so recht voran kommen. Man hatte 13 Episoden zum Füllen, aber an dieser Stelle wäre weniger vermutlich etwas mehr gewesen. Sicher ist es schön, dass fast alle Darsteller der früheren Staffeln wieder vereint sind, aber hier kann man auch nicht allen genug Raum zur Entfaltung geben (Stichwort: der ehemalige Lehrer).
Vor allem wird die ganze Staffel durch das Ende dann mehr als verwässert. Wenn ihr von Anfang an ohnehin alle Bescheid wusstet oder einen Plan hattet, um zusammenzustehen, warum dann das große Herumraten, wer denn nun der Mörder ist? Man hätte hier gleich in medias res gehen können und das Ganze wäre schnell vorbei gewesen. Und hat echt keiner daran gedacht, die Dock-Kameras anzusehen, wie Ani es am Ende vorschlägt? Nein, was Mordermittlungen angeht, da bekleckert sich die Polizei hier nicht gerade mit Lorbeeren.
In dieser Hinsicht zünden leider auch die Charakterkonstellationen nicht so ganz. Die zwischen Clay und Ani funktioniert – zumindest solange es harmonisch bleibt. Nach ihrer Affäre mit Bryce geht es jedoch steil bergab, wobei man sich manchmal fragt, wieso man sich so verhalten sollte, wie sie es tut (Kuss). Gut, es sind Teenager und wir wissen ja inzwischen, dass sie sich (vor allem in Serien) meistens ziemlich doof benehmen. Aber muss das den Zuschauern denn immer so aufs Brot geschmiert werden?
Bei aller Meckerei muss aber auch gesagt werden, dass die Staffel durchaus ihre starken Momente hat. Einer der emotional stärksten ist an der Stelle zweifelsohne, als alle Vergewaltigungsopfer in der Turnhalle aufstehen. Diese Szenen sind packend und auch hier schwingt wieder die Botschaft mit, dass man sich wehren muss und es nicht totschweigen sollte.
Und damit zurück zum Positiven, das sich insbesondere in der Hauptbotschaft der Staffel manifestiert: Kann man einem Vergewaltiger verzeihen? Und vor allem: Wann gibt man jemandem eine zweite Chance bzw. sollte man das überhaupt tun?
Hier wird man auch ganz klar als Zuschauer mitgerissen, denn anfangs ist man, ebenso wie der Rest der Teenager, von Bryce angewidert. Dann sieht man aber, wie er sich ändert, wie er sich hinter den Kulissen für andere einsetzt und wirklich daran arbeitet, ein besserer Mensch zu werden. Und in diesem Moment schwingen auch langsam wieder ein paar Sympathien für ihn mit.
Diese Fragestellung, die sich durch die ganze Staffel zieht, ist sogar ganz gut mit dem Rest der Handlung verknüpft. Ani, die hier als neue Erzählerin eingeführt wird, ist sogar eine der ersten, die an ihn glaubt und sogar eine Affäre mit ihm beginnt. Ob es das – oder respektive einen weiteren weiblichen Erzähler – wirklich gebraucht hätte, sei mal dahingestellt. Unter den Fans hat das in jedem Fall diverse Kontroversen ausgelöst.
Im Laufe der Staffel gibt es einige gute Szenen, etwa das Aufeinandertreffen mit Hannahs Mutter oder die Versöhnung mit seiner eigenen. Denn auch hier muss es für Bryce wie ein Schlag ins Gesicht wirken, dass auch diese nicht gerade begeistert von ihm ist. Nur am Ende, als er auf Zach losgeht bzw. sich mit ihm prügelt, schimmert der alte Bryce wieder durch. Hat er alles nur vorgespielt oder spricht die Wut aus ihm? Man wird es nicht mehr erfahren, denn wenig später ist er tot.
Wie schon zuvor lässt die Staffel hier eine Wertung außen vor. Ob und wie es wirklich um Bryce steht, sollen die Zuschauer für sich selbst entscheiden. Die Enthüllung allerdings, wer der wahre Mörder ist und wie er am Ende davonkommt, ist vielleicht eine Botschaft, die man nach dieser Staffel so nicht erwartet hätte. Denn die Teenager machen es eigentlich gar nicht besser. Und wie Montys Freund am Ende so schön sagt: Er ist auch ein Mensch und dieses Ende hat er nicht verdient.
Und damit endet die Staffel dann auch. Und der Zuschauer wird ein wenig zwiespältig zurückgelassen.
Fazit
Insgesamt muss man sagen, dass die dritte Staffel die sozialen Botschaften betreffend durchaus stark am Puls der Zeit ist. Hier werden aktuelle Themen angesprochen, die den Zuschauer auch zum Nachdenken über die Folgen hinaus anregen. Und unter diesem Standpunkt sollte man auch darüber reden.
In Bezug auf die reinen Handlung der neuen Staffel vermag die Serie im dritten Jahr nicht wirklich zu überzeugen. Zu viele Aspekte kennt man schon, zu langsam ist stellenweise die Weiterentwicklung. Und am Ende löst sich alles irgendwie mehr oder minder in Wohlgefallen auf. Das hätte man eindeutig besser umsetzen können bzw. müssen.
Unter dieser Prämisse wäre es vielleicht klüger gewesen, es bei einer (oder maximal zwei) Staffeln zu belassen.
Da man die jüngste Staffel allerdings nicht getrennt von den hierin transportierten sozialen Botschaften werten kann, erscheinen an dieser Stelle auch zwei differenzierte Bewertungen als sinnvolle Vorgehensweise.
Bewertung
Soziale Botschaften: [usr 5]
Allgemeine Handlung der 3. Staffel: [usr 3]
Staffel-Infos
Originaltitel | 13 Reasons Why |
Deutscher Titel | Tote Mädchen lügen nicht |
Erstausstrahlung USA | 23. August 2019, Netflix |
Erstausstrahlung Deutschland | 23. August 2019, Netflix |