Im “On Screen!”-Podcast zu “The Bounty” sprachen Micha und Christopher kurz darüber, ob “Yesterday’s Enterprise” und “A Quality of Mercy” nicht sehr ähnliche Folgen seien. In der Hektik der Echtzeit-Besprechung konnten wir das Thema nicht angemessen diskutieren, aber im Redaktionschat hat es zu einer angeregten Diskussion im Nachgang geführt.
Mit Michas Einvernehmen darf ich die interne Debatte hier mit unserer gesamten Leser:innenschaft teilen. Sie kann meines Erachtens anschaulich erhellen, warum Teile des Fandoms absolut begeistert von zeitgenössischem “Star Trek” sind, und andere ihr geliebtes Franchise hingegen nicht mehr wiedererkennen.
Kurze Erinnerung
TNG 3×15 – “Yesterday’s Enterprise” / “Die alte Enterprise”
In der “The Next Generation”-Episode “Yesterday’s Enterprise” – zu deutsch “Die alte Enterprise” – begegnet die Enterprise-D ihrem Vorgängerschiff, als die Enterprise-C aus einer temporalen Anomalie geflogen kommt. Die C hatte im Jahr 2344 – also vor 22 Jahren – auf den Notruf eines klingonischen Außenpostens reagiert und wurde von der Torpedosalve eines romulanischen Schiffes aus der Zeit geschleudert. Dadurch ändert sich die Zeitlinie, sodass sich die Föderation derzeit in einem bitteren Krieg mit dem Klingonischen Reich befindet. Und dieser Krieg droht sogar verloren zu gehen.
Anstelle von Worf befindet sich nun wieder Tasha Yar auf der Brücke, die in der alten Zeitlinie bereits seit knapp zwei Jahren tot ist. Zudem zeigen Schiff und Crew in dieser Realität ungewohnt militaristische Züge.
Außer Guinan ist sich niemand über die dramatische Änderung der Geschichte im Klaren. Sie versucht Picard davon zu überzeugen, dass die Enterprise eigentlich kein Kriegsschiff sein sollte, sondern ein Forschungsschiff auf friedlicher Mission. Zudem macht sie dem Captain deutlich, dass die Enterprise-C unbedingt durch die Anomalie zurückgeschickt werden müsse, um jene Zeitlinie wieder herzustellen. Auch wenn es ihm zunächst absurd erscheint, lässt Picard den Gedanken einer alternativen Geschichtsschreibung nicht los.
Die Theorie: Die Rettungsmission bei Narendra III könnte in der Tat ein Wendepunkt der Geschichte sein. Das Opfer der Enterprise-C böte die Chance, dem Reich die Ehrenhaftigkeit der Föderation zu demonstrieren, was die diplomatischen Beziehungen der letzten 22 Jahre neu ordnen könnte.
Schließlich entscheiden sich die beiden Captains dafür, ihre Schiffe zu opfern, um die Chance auf einen günstigeren Geschichtsverlauf zu ergreifen. Zudem lässt sich Tasha Yar auf die Enterprise-C versetzen. Zuvor hatte sie von Guinan erfahren, dass sie in der ursprünglichen Zeitlinie einen sinnlosen Tod gestorben war.
Im großen Finale verteidigt Picards Enterprise ihre Vorgängerin gegen eine erdrückende klingonische Übermacht, damit letztere durch die Anomalie in die ausweglose Schlacht um Narendra zurückkehren kann.
Die Vergangenheit der “Next Generation” wird (nahezu) wiederhergestellt. Außer Guinan und – wie wir später in einem Retcon erfahren – die Überlebenden der Enterprise-C erinnert sich niemand an die dramatischen Begebenheiten in der alternativen Zeitlinie.
SNW 1×10 – “A Quality of Mercy” / “Eine Eigenschaft der Barmherzigkeit”
Eine ganz ähnliche Geschichte erzählt uns auch “Strange New Worlds” und zwar im Finale der ersten Staffel “A Quality of Mercy” – zu Deutsch “Eine Eigenschaft der Barmherzigkeit”.
Während Captain Pike einen Brief an einen der Jungen verfasst, von dem er weiß, dass er bei seinem Unfall in sieben Jahren sterben wird, erscheint sein älteres Selbst im Auftrag der Mönche von Boreth. Admiral Pike warnt Captain Pike eindringlich davor, sein vorgezeichnetes Schicksal und auch das der getöteten Kadetten abzuwenden. Seine Begründung: Pikes Handeln werde am Ende in einem jahrzehntelangen Krieg münden. Zudem würden die Mönche Captain Pike eher töten, als solche Änderungen zuzulassen.
Um sein jüngeres Ich von der Richtigkeit dieser Warnung zu überzeugen, lässt Admiral Pike Captain Pike einen Teil seiner Zeitlinie mit einem Zeitkristall erleben.
In der alternativen Realität ist Pike während des romulanischen Angriffs aus “Balance of Terror” (TOS 1×08 “Spock unter Verdacht”) noch immer der Captain der Enterprise, während James T. Kirk hingegen die Farragut kommandiert. Pike gelingt es nach mehreren blutigen Gefechten, mit dem Kommandanten des romulanischen Schiffs einen Waffenstillstand auszuhandeln. Doch dessen romulanische Vorgesetzte erkennen darin eine Schwäche der Föderation. Und so erklären sie dieser den Krieg.
Beim Angriff auf die Enterprise wird Spock schwer verletzt. Er erleidet ein ähnlich schweres Schicksal, wie jenes, das Pike für sich selbst vermeiden möchte. Dieser Spock wird nicht mehr als Botschafter über dauerhaften Frieden zwischen den Großmächten des Quadranten verhandeln können.
Zurück in seinem Quartier konfrontiert Admiral Pike Captain Pike damit, dass jede Änderung der Zeitlinie immer auch den Tod von Spock zur Folge haben werde. Pikes Rolle in der Geschichte bestünde nicht darin, selbst historische Taten zu vollbringen. Vielmehr solle er Spock diese ermöglichen. Captain Pike dankt seinem Alter Ego für dessen Besuch und akzeptiert, dass sein Schicksal unausweichlich ist.
“Das ist Star Trek!”
Es wundert kaum, dass das Finale von “Strange New Worlds'” erster Staffel viel Wohlwollen und Begeisterung im Fandom ausgelöst hat.
Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Episoden sind in mancher Hinsicht sehr deutlich. Die Stimmung von beiden ist gedrückt und militaristisch, in beiden Folgen herrscht eine kontrastreiche Lichtstimmung. Zudem sind die Raumkämpfe in beiden Episoden für ihre Zeit effektreich und wuchtig inszeniert. In beiden Schlachten sind unsere Held:innen klar im Nachteil. Das Publikum wird so auf eine emotionale Achterbahnfahrt gesetzt, in der auch geliebte Figuren wie Spock und Riker ihr Leben lassen müssen, während nicht weniger als das Schicksal der fiktiven Zukunft auf dem Spiel steht.
Dass beide Episoden ganz ähnliche Gefühle hervorrufen, ist deswegen nicht zufällig. Sie verwenden neben stilistischen Parallelen einige sehr ähnliche Erzählmotive. In beiden geht es um eine alternative Zeitlinie, in beiden gibt es eine Figur, die Wissen über beide Zeitlinien hat, und am Ende müssen die Captains der Enterprises ein persönliches Opfer bringen, um die Originalzeitlinie wieder herzustellen.
Dazu kommt, dass beide Episoden eng mit dem Kanon verzahnt sind. In “Yesterday’s Enterprise” taucht folgerichtig Denise Cosby anstelle von Michael Dorn auf und “A Quality of Mercy” arbeitet sich teilweise akribisch an “Balance of Terror” ab. Die Folgen nehmen beide eine zentrale Stellung im “Star Trek”-Universum ein, indem sie sowohl persönliche Schicksale geliebter Hauptfiguren als auch intergalaktische Geschicke verhandeln.
Diese Ähnlichkeiten und die tolle Inszenierung haben “A Quality of Mercy” in den Augen vieler Fans sofort zu einem modernen Klassiker vom Range von “Yesterday’s Enterprise” werden lassen, der seinen ganz eigenen Spin auf die Alternate-Timeline-Idee setzt.
Und dann gibt es Leute wie mich, die schwer ertragen können, dass beide Geschichten im selben Erzählkosmos angesiedelt sind.
“Das ist nicht (mehr mein) Star Trek!”
Meine These ist folgende: Die Ähnlichkeiten verdecken, dass die beiden Geschichten unterschiedliche Ideen transportieren, anders funktionieren und im Kern Parabeln für völlig konträre Botschaften sind. Und deswegen werden manche Fans mit “A Quality of Mercy” nicht warm.
“Yesterday‘s Enterprise” ist eine Geschichte darüber, dass vermeintlich hoffnungslose Lagen nicht ausschließen, dass wir über bessere Alternativen nachdenken und diese durch selbstbestimmtes und prinzipiengeleitetes Handeln verwirklichen können. “A Quality of Mercy” ist hingegen eine Geschichte, die zwei Botschaften sendet. Erstens, dass es manchmal geboten ist, härter, schneller und tödlich zuzuschlagen um dadurch Schlimmeres zu vermeiden (interessiert mich an dieser Stelle nicht weiter). Und zweitens, dass wir uns nicht abstrampeln sollten, um schlimme Schicksale für uns oder andere zu vermeiden. Denn im “kosmischen Plan” hätte das alles schon so seinen Sinn – auch wenn wir diesen nicht auf Anhieb erkennen.
Vorweg: An beiden Stories stört mich die zugrundeliegende Vorstellung, dass es eine ausgezeichnete “richtige Zeitlinie” geben soll, die – warum auch immer – normativ besser ist als alle anderen Alternativen. Abgesehen vom offensichtlichen Sein-Sollen-Fehlschluss erscheint dies mir als eine Art “geozentrisches Weltbild” für Temporalmechanik beziehungsweise Paralleluniversen. Das kommt mir merkwürdig selbstbezogen, unaufgeklärt und als wissenschaftliche Theorie über die Natur des Universums sehr unwahrscheinlich vor. Aber dieser Kritikpunkt sei beiden Stories geschenkt.
Die Rolle des Individuums
Die wichtigen Unterschiede beginnen bei der Point-of-View-Figur: Wer ist jeweils Stand-In und Identifikationsfigur für das Publikum?
In “Yesterday’s Enterprise” ist es Guinan, welche die Perspektive des Publikums teilt. Sie weiß wie wir, dass die Enterprise kein Kriegsschiff sein sollte. In “A Quality of Mercy” ist es nicht analog dazu Admiral Pike, sondern Captain Pike, der so viel weiß wie das Publikum.
Guinan gelingt es, ihre Crew davon zu überzeugen, dass ein selbstloses Opfer die Chance bietet, eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Sie hat keine Autorität über Picard, Garrett oder Yar, noch muss sie eine Drohkulisse aufbauen oder jemandem die Pistole auf die Brust setzen. Vielmehr setzt sie ihnen die Idee in den Kopf, dass es eine bessere Welt geben kann als die von Krieg und Tod gebeutelte Gegenwart, in der sie jetzt leben.
Den Entschluss, beide Enterprises und ihre Crew zu opfern, um den Krieg gegen die Klingonen abzuwenden, fassen letztlich Picard und Garrett nach diesem Anstoß selbst. Der Mut der Verzweiflung spielt dabei eine gewisse Rolle. Aber letztlich nehmen alle Figuren selbstbestimmt das Schicksal gemäß ihrer Werte in die eigene Hand, um ein Ziel zu verwirklichen, das sie sich selbst gesetzt haben. So bewirkt das Stand-In des Publikums (Guinan) aus einer machtpolitisch schwachen Position heraus einen dramatischen Wandel der Welt zum Besseren.
In “A Quality of Mercy” liegen die Dinge anders. Admiral Pike erzählt Captain Pike eine Geschichte, die ihn davon abhalten soll, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Für den Fall, dass Captain Pike nicht freiwillig einsichtig wird, nachdem er einen Teil der alternativen Zeitlinie gesehen hat, würde er von den Mönchen aus Boreth auch mit Gewalt dazu gezwungen und mit dem Tode bedroht. Und um jede weitere Regung in Richtung Selbstermächtigung im Keim zu ersticken, erfahren wir außerdem per Nebensatz, dass es keine Zeitlinie gebe, in der sowohl Pike als auch Spock die nächsten Jahre unbeschadet überstehen könnten.
Die Moral der Geschichte ist: Captain Pike (das Stand-In des Publikums) solle sich nicht zu wichtig und einflussreich für die Geschichte erachten (das ist die Rolle von Spock) und deswegen auch gegen eigene Wertvorstellungen seine Selbstbestimmung aufgeben. Das beinhaltet auch, mehrere Teenager für die “einzig richtigen Zeitlinie” sterben zu lassen. Der Weg zu einem erfüllten und sinnvollen Leben führt demnach über die klaglose Akzeptanz des eigenen, vorherbestimmten Schicksals – inklusive Leid für sich und andere. Das selbstbestimmte Streben nach Veränderung für eine bessere Zukunft ist im Weltbild von “A Quality of Mercy” nicht nur zwecklos, sondern auch gefährlich.
“Yesterday’s Enterprise” ist dagegen ein Aufruf zur Selbstermächtigung und Selbstbestimmung. Auch wenn es vielleicht den Anschein hat, wird der Status Quo aber gar nicht wiederhergestellt. Das Universum von TNG ist nach „Yesterday’s Enterprise“ ein fundamental anderes als vorher; nämlich eines, in der Yar ihrem Tod einen selbstbestimmten Sinn geben konnte.
Das eigene Werteportfolio vs die Kulturindustrie
Beides sind natürlich nur meine Interpretationen. Es steht jede:m frei, sich hierzu eine andere Meinung zu bilden. Ich finde die Unterschiede aber sehr deutlich und bedeutsam. Diskussionen darüber, was “Star Trek” ist oder nicht, sind nach über einem halben Jahrhundert müßig. Aber ich kann etwas über mein eigenes Werteportfolio sagen.
Aus meiner eigenen Haltung und Wertanschauung heraus betrachtet, kann ich viel mit der ersten und sehr wenig mit der zweiten Geschichte anfangen. Geschichten wie “Yesterday’s Enterprise” regen zum Nachdenken über Veränderung an. Stories wie “A Quality of Mercy” stärken den Status Quo und die existierenden Machtverhältnisse.
“Star Wars” und Superheldenfilme funktionieren ganz ähnlich. Dort wird die Macht der Vorsehung nicht durch die Unfehlbarkeit der einzig richtigen Zeitlinie, sondern durch das Auserwähltsein von Individuen vertreten. Auch da heißt es für die Massen: Füße stillhalten und beiseitetreten, die strahlenden Held:innen kümmern sich um unsere Erlösung. Das Normalo-Individuum darf hier nur vom Seitenrand aus applaudieren, wenn es nicht vorzeitig als Kollateralschaden endet.
Zusammen mit diesen Kulturindustrie-Erzeugnissen steht “A Quality of Mercy” für mich zugespitzt in der Tradition solcher vorreformatorischen Narrative, mit denen die Massen zur Akzeptanz der weltlichen Verhältnisse mit dem vagen Ausblick auf Erlösung vertröstet wurden. Solche Erzählungen sind – egal ob bewusst oder unabsichtlich – eine Stütze für den Status-quo und derer, die durch ihn Macht und Einfluss genießen. Der liebe Gott lässt nichts ohne Grund geschehen, wir alle erfahren irgendwann Erlösung. Aber wie und wann weiß niemand, denn die Wege des Herrn sind unergründlich.
Hat hier jemand was von hoffnungsvoller Utopie gesagt?
Die Moral von “A Quality of Mercy” halte ich deswegen mit Verlaub für die denkbar schlechteste Grundhaltung für unsere Zeit. Wir stehen vor enormen ökologischen, weltpolitischen und sozialen Herausforderungen, die sich durch Passivität und Duldsamkeit nicht werden lösen lassen. Jedenfalls nicht zu Gunsten der Allgemeinheit, wenn wir wie Guinan effektive Handlungsfähigkeit beim Klimawandel alleinig im Dunstkreis politischer und wirtschaftlicher Eliten verorten (zweite Staffel “Picard”). Oder buchstäblich darauf warten, dass uns eine Lösung für Energiearmut in den Schoß fällt (dritte Staffel “Discovery”). Oder dass der vom Schicksal auserwählte militärische Kommandant den geopolitischen Gegner schon noch zur Räson prügeln wird, ohne zugleich einen neuen Weltkrieg auszulösen (“A Quality of Mercy”).
Wir brauchen die Phantasie, um uns z.B. für den Klimawandel unterschiedliche Szenarien vorstellen zu können. Und wir benötigen den Glauben an die Wirksamkeit unseres Handelns und die Überzeugungskraft unserer Worte, um bestimmte Szenarien wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher werden zu lassen – besonders dann, wenn wir Kooperationen mit anderen Menschen suchen. Ansonsten sind wir verdammt, durch Apathie und Nichtstun viele der schlimmsten Ausgänge im Vorfeld zu garantieren.
Aber auch als Individuen müssen wir berechtigterweise hoffen, etwas aus eigener Kraft an unseren Lebensumständen ändern zu können, um nicht in einer unglücklichen Beziehung, in einem krankmachenden Job oder in einer toxischen Glaubensgemeinschaft stecken zu bleiben. Ich will nicht behaupten, dass irgendeines dieser großen oder kleinen Probleme garantiert oder gar leicht zu lösen ist.
Auch ist Selbstermächtigung immer mit der Verpflichtung verbunden, für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen. Das ist das Gegenteil von Komfortzone. Aber ohne Bekenntnis zu effektiver Selbstbestimmung geben wir alle wichtigen Schlachten a priori verloren. Denn dann unternehmen wir erst gar keinen Versuch, die Welt für uns und unsere Mitmenschen und Nachkommen besser zu machen.
Ich mache gelegentlich eine Faust in der Tasche, wenn ich Zitate wie das obige lese. “Star Trek” kopiert in seinen gegenwärtigen Inkarnationen nämlich nicht nur moderne Stilmittel des “Prestige-Dramas”, sondern auch einen seit der Jahrtausendwende chic geltenden, unterschwelligen Zynismus. Der läuft mit seinem Utilitarismus, Determinismus und kruden Metaphysik immer wieder diesen plakativen Bekenntnissen zur “hellen Zukunft” zuwider.
Zugekleistert wird das Auseinanderfallen von utopischem Anspruch und zynischer Realität in den neuen Serien durch literweise Nostalgie. Solange die neuen Serien die alten fleißig referenzieren und zitieren, lässt sich das unangenehme Gefühl leicht bei Seite schieben, dass das “Star Trek”-Franchise viele ehemalige Qualitäten auf dem Altar einer vermeintlichen Massentauglichkeit und “Bingeability” geopfert hat.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
Wie sich das manifestiert, kann man gut an der Paarung von “Yesterday’s Enterprise” und “A Quality of Mercy” nachzeichnen. Dabei ist das nur eines von vielen möglichen Beispielen. Die Diskrepanzen ziehen sich letztlich durch alle Live-Action-Serien der Streaming-Ära. Ich hoffe das Beispiel beleuchtet, warum trotz aller Ähnlichkeiten und des zweifellosen Unterhaltungswert das Fandom in der Frage gespalten ist, ob das denn noch (“ihr”) “Star Trek” sei.
Wer jetzt meint, dass das zwar irgendwie nachvollziehbar und plausibel sei, aber der Zeitgeist nun einmal diktiere, wie heute “Star Trek” auszusehen habe, und sich deswegen trotz allem Wehklagen nichts werde ändern können, dem mag ich attestieren, dass die Lektion aus “A Quality of Mercy” schon gut gelernt wurde. Eine solche Zwangsläufigkeit erkenne ich nämlich nicht, aber das Argument ist ein schönes Beispiel dafür, wie bereitwillig wir Narrative zur Alternativlosigkeit akzeptieren.
Ich empfehle den Kopf ein wenig über den Tellerrand zu recken, und dort entdecken wir Science-Fiction-Stoffe wie “The Handmaid’s Tale“, “Westworld“, “Severance“, “For All Mankind“, “Andor” und viele weitere zeitgenössische Streaming-Dramen, die keinem deterministischen Weltbild anhängen und dennoch oft genug sehr erfolgreich sind (RIP “Westworld”).
Und auch der “Star Trek”-Kurs ist bei Weitem nicht so unveränderlich, wie gelegentlich vorgegeben wird. Oder haben wir schon wieder vergessen, wie und warum “Strange New Worlds” aus der Taufe gehoben wurde?
Ich würde mich freuen, wenn “mein” “Star Trek” dabei wieder an der Seite derer stünde, die sich für Utopien stark machen, statt nur den Schmerz der Gegenwart mit Nostalgie zu betäuben. Denn der Kampf um eine bessere Zukunft – egal ob real oder fiktiv – ist nie aussichtslos, es sei denn, man führt ihn erst gar nicht.
Schöner Artikel bei dem ich in vielen Dingen bei dir bin. Meine Lieblingsserie ist immer noch TOS und lange Zeit konnte ich mit TNG nicht richtig warm werden. Das gleiche galt dann auch für die neuen Serien. Jedoch gefällt mir DSC nach dem Rewatch inzwischen deutlich besser. Vielleicht brauchen einige Serien mangels fehlender Sehgewohnheiten einfach etwas länger um damit warm zu werden :).
Mir geht hier ein wenig die Serie Star Trek Prodigy unter. Auch wenn diese eher an Kinder und Jugendliche gerichtet ist, habe ich verdammt viel Spaß daran. Auch in dieser Serie gibt es hoffnungsvolle Utopie-Erzählungen.
Persönlich bin ich mir nicht so sicher, ob wirklich ein Determinismus in der letzten SNW-Folge steckt. Ja, natürlich hält der alte Pike der jüngeren davon ab, in diese alternative Zeitlinie hineinzugehen, wo dann die Dinge anders laufen und Pike aufgrund seiner anderen Art unabsichtlich den Krieg hervorruft (und Spock stirbt). Andererseits hält sein alter Ego ihn auch nur davon ab, die Nachricht an den Jungen vom Asteroiden-Commander abzuschicken; ich habe die Episode nicht so gelesen, als hätte der alte dem jüngeren Pike gesagt: Du musst in ein paar Jahren zum Krüppel werden. In gewisser Weise hält die Folge für mich… Weiterlesen »
Hallo Paroki, danke für die Perspektive. Das würde ich teilweise mitgehen, wenn Admiral Pike nicht am Ende der Folge Captain Pike explizit erklärt, dass er sein eigenes Schicksal und das der Kadetten in jeder Zeitlinie nur auf Kosten von Spock ändern könne. Die unterschiedlichen Deutungen hängen ggf. mit der deutschen Übersetzung zusammen. Im Original sagt Admiral Pike: “Time is complicated. But the monks showed me something simple: Everytime we change the path, he dies.”. Das englische Personalpronomen “he” im letzten Satz bezieht sich dabei eindeutig auf Spock, nicht “the path” (denn das wäre “it”). Also: “Zeit ist kompliziert, aber die… Weiterlesen »
Vielen Dank für diese Erläuterung, Christopher. Ja, ich hatte die Folge tatsächlich auf Deutsch gesehen. Dennoch gefallen mir Deine Gedanken zu der Thematik sehr gut und die “Schicksalsergebenheit” ist etwas, das besonders in den neuen Trek-Serien auffällt.
Du triffst in Vielem meine Gedanken. Die große Faszination von “Star Trek”, insbesondere TNG, lag für mich im “Advanced Human”. Ich empfand die dargestellte Gesellschaft niemals als perfekt, aber doch als weiterentwickelt. TNG vermittelte Aufbruch, Zuversicht und ein Ideal, besser zu werden, als wir sind. Das fehlt mir allerdings schon seit “Voyager” (bedingt) und “Enterprise” (stärker). Ich verstehe allerdings, dass dieser utopische Aspekt für viele Fans aber nicht einmal unbedingt der (oder ein geringfügiger) Grund war, sich “Star Trek” zu anzusehen. Letztendlich haben die Helden auch in den Kelvin-Filmen, “Discovery” oder “Picard” den moralischen Kompass prinzipiell richtig eingestellt. Bei “A… Weiterlesen »
Ja, die Pilotfolge fand ich auch gelungen. Leider ging es gerade in der zweiten Hälfte der Staffel doch teils sehr stark bergab. Aber ich würde zustimmen, dass Strange New Worlds den Utopie-Gedanken weniger stark verletzt als es andere Serien (Discovery, Picard) getan haben. Enterprise sollte ja bewusst die im Werden begriffene Menschheit zeigen, von daher kann ich dies nicht wirklich kritisieren. In dieser Phase hätten Archer und Co. durchaus noch etwas rauer sein können, um dann ihre Lektionen zu lernen. Es ging ja im 22. Jahrhundert schon alles vergleichsweise gesittet zu…
Hatte diese Episode nicht sogar hier die höchstwertung?
Also ich fand snw s1 und pic s3 klasse und eine echte Wohltat nach gefühlt 20 Jahren bestenfalls mittelmäßigem star trek. Ich kann bei Snw auch eindeutig die Utopie erkennen, alleine schon sehr stark in der ersten Episode.
Hier hat man aber immer mehr den Eindruck dass das neue Star trek auf gedeih und Verderb schlecht geredet wird egal was sie produzieren
Schlecht geredet? Lieber Peter, also mal ehrlich: Eine kritische Betrachtung heißt nicht schlecht reden. Wir wollen uns doch auch ein paar Gedanken über verschiedene Implikationen machen, die in den Folgen liegen. Tatsächlich ist dieser deterministisch-schicksalhafte Ansatz aber einer der Punkte, die mich am neuen Trek immer gestört haben. Noch schlimmer fand ich es bei Michael Burnham in DSC Staffel 2. Also: Jeder soll seine Meinung haben, aber ich finde es gut, wenn TrekZone kein billiger Hurra-alles-ist-so-toll-Fanclub ist, sondern hier kritische Reflexionen angestellt werden.
Ja das ist mir schon klar. Bin wie gesagt auch ein glühender Verfechter des alten Star Trek. Aber meiner Meinung nach(und nicht nur meiner) hat das franchise seit kurzem wieder einen sehr großen Schritt in die richtige Richtung gemacht (lower Decks, SNW, pic s3) was hier, finde ich, zu wenig honoriert wird. Disco und pic s1 und s2 waren aber auch nicht meins. Noch ein Gedanke zu SNW: dafür dass es gerade mal die erste Staffel war hat die Serie schon sehr geliefert. Ich konnte auch die trek typische Utopie jederzeit erkennen. Siehe Episode 1, 2 oder 5. Ich habe… Weiterlesen »
Lieber Peter, ich wollte Dich nicht angreifen. Natürlich verstehe ich Deinen Standpunkt und sicher ist es so, dass ab und an die Utopie durchflackert. Mir persönlich ist aber doch zu vieles im Widerspruch zum alten Star Trek. Vor allem aber sind mir viele Storys viel zu oberflächlich. Man kann ja gerne ein düstereres Universum zeigen, doch dann sollte man auch mehr erforschen, was denn z.B. mit der Föderation an der Schwelle zum 25. Jahrhundert passiert ist? Kennst Du zufällig “The Last Best Hope”, die Vorgeschichte zu Star Trek: Picard? Dort wird immerhin geschildert, wie stark die Föderation von der romulanischen… Weiterlesen »
Ja, SNW ist deutlich Star Trek, da es eben viel positives vermittelt und auch zum nachdenken anregt… Folge 1 z.b, oder die Folge mit dem Jungen, der geopfert werden soll, oder die Folge wo es darum geht ob ein Kind selbst entscheiden soll (Das mit dem Königreich)
@Dominion: Leider werden viel zu viele Ideen einfach dreist geklaut. Insbesondere Lift Us Where Suffering Can Not Reach is ein geradezu unverschämtes Plagiat von The Ones Who Walk Away from Omelas. Anleihen machen ist ja das eine, aber derart platt Copy-Paste zu betreiben, ist dumm und unwürdig.
TNG war seinerzeit einfach weiter…
Eine sehr schöne Beobachtung. Schicksalhafter Determinismus stammt eher aus dem Fantasybereich und wurde im Kurtzman-Trek als Entschuldigung für vernünftige Erklärungen immer salonfähiger. Das ist einer der Gründe, warum ich selbst bei Strange News Worlds sehr reserviert bleibe. Es ist letztlich der gleiche Käse wie jener, der uns schon bei Discovery und auch in Picard serviert wurde.