Das Finale der zweiten Staffel “Star Trek: Picard” hat viele Baustellen. Wir besprechen spoilerfrei, ob die Landung in “Farewell” gelingt.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
Handlung
Picard weigert sich, die Worte der Borg-Königin zu beherzigen. Er und Tallinn versuchen, Renée Picard vor dem Raketenstart vor Ort zu beschützen, während Rios, Seven und Raffi versuchen, Soongs restliches Arsenal unschädlich zu machen.
Offene Enden
Die letzte Folge dieser zweiten Staffel “Picard” hat sehr viel Boden gut zu machen. Um es direkt zu sagen: zu viel. Wer mit Maßstäben von Stringenz und Logik an die Episode herantritt, findet selbstverständlich klaffende Löcher. Wer bei “Hide and Seek” Unbehagen ob der Drehbuchraschler hatte, wird es auch in dieser Episode viel mit dem Kopf schütteln.
Gleichwohl geht es nicht ganz so haarstäubend zu, wie zu befürchten war, auch wenn das Tempo halsbrecherisch ist.
Die Episode muss vier große und diverse kleine Baustellen bereinigen. Zunächst wäre da der Raketenstart, der sicher über die Zielgerade gebracht werden muss. Dann bliebe die Rückkehr ins 25. Jahrhundert, die Frage nach Qs Rolle und Motivation in den Geschehnissen und der Anschluss der Handlung an die katastrophale Begegnung mit der Borg-Königin.
Nebenbei werden die Storylines von Rios & Teresa, Kore & Adam Soong, Q, Tallinn sowie verschiedene andere Schicksale zu einem teils vorläufigen, teils endgültigen Ende erzählt.
All das adressiert “Farewell”, wenn auch nicht immer schlüssig. Andere Fragen bleiben ungeklärt. Das Doppelgängertum von Laris und Tallinn zum Beispiel. Andere Handlungsstränge dieser Staffel erweisen sich als gänzlich irrelevant. So spielen weder die zeitgenössische Guinan noch Agent Wells eine Rolle im Finale.
In jedem Fall hätte es dem Pacing der Staffel gut getan, diese letzte Episode zu teilen, und dafür den Mittelteil der Staffel zu raffen.
Farewell
Das Drehbuch von Christopher Mofette und Akiva Goldman macht aber gar nicht erst den Versuch, die Puzzlestücke zu einem logisch stimmigen Gesamtkunstwerk zu verknüpfen. Obwohl es ihnen besser gelingt, als ich es ehrlicherweise zugetraut habe. Stattdessen geht es mehr darum, die Stories emotional stimmig abzubinden. Und in vielen Fällen klappt das sogar.
Es gibt gleich mehrere Dialoge in dieser Episode, die zu den besten zählen, die “Picard” bisher aufgefahren hat. Dabei geht es um Leben, Tod, Vergebung, Liebe und andere tief emotionale Themen. Die längste Zeit gelingt es “Farewell” die Balance auf dem emotionalen Drahtseil zu halten und nicht in Kitsch abzurutschen – jedenfalls bis kurz vor Ende des zweiten Akts. Es gibt dann leider doch eine kleine Zahl an Szenen, die unnötig schmalzig sind. Aber die Versuchung war wohl einfach zu groß.
Orla Brady liefert vermutlich ihre bis dato stärkste Performance in “Picard” ab. Aber auch Patrick Stewart und John de Lancie haben wieder tolle Szenen, die mit Blick auf die Charaktere fast durchweg gut geschrieben sind – auch wenn sie nicht alle Fragen der übergreifenden Handlung hinreichend erklären bzw. die dramatischen Geschehnisse der Staffel ausreichend motivieren. Aber dafür sind sie in anderer Hinsicht scharfsinnig und greifen in positiver Hinsicht für “Star Trek” allgemein und für “Picard” im Besonderen wichtige Themen auf.
Insbesondere Tallinn und Q bekommen einen angemessenen, wenn auch keine überragende Abschiede spendiert.
Bombast
Die zweite “Blendgranate”, die das Publikum davon abbringen soll, zu viel darüber nachzudenken, ob sich am Ende ein logisch stimmiger Plot ergibt, ist ein deutlicher Schub von visuellen Effekten. Wenn auch nicht so frappierend wie im Finale der letzten Staffel, sind diese leider nur mäßig überzeugend. Ob es wieder in Zeitmangel wegen Covid-19 begründet ist, weiß ich nicht. Aber sowohl die Kamerafahrten durch den Startkomplex als auch Chateau Picard springen förmlich als Computergrafik ins Auge.
Besonders enttäuschend fand ich die technisch einwandfreien, regenbogenbunten Effekte im 25. Jahrhundert, die mit überschwänglichen Kamerafahrten und phantasielosen Einstellungen die gigantischen Raumschiffe sowohl ihrer majestätischen Größe als auch ihrer Eleganz berauben. Mit der Ästhetik eines unterdurchschnittlichen “Marvel”-Films verpufft hier der ohnehin dürftig vorbereitete Klimax der Episode. Die Szene dauert zwar nur wenige Minuten, aber ich habe mich tatsächlich zwischendurch dabei beobachtet, wie ich auf de Uhr geschaut habe, weil mir langweilig wurde.
Beobachtungen
- Picard kapert Tallinns Transporter genau wie Gillian Taylor in “The Voyage Home”.
- Der Startkomplex der Europa-Mission ist eine starke visuelle Referenz zu “Assignment: Earth”.
- Wir erfahren, warum Seven in der ersten Episode auf der La Sirena Container mit Schmetterlingslogo transportierte.
- Bisher habe ich es bei Seite geschoben, weil die ganze Staffel sonst nie funktioniert hätte. Aber auf Grund eines sehr prominenten Cameos möchte ich es doch mal fragen: Warum greift eigentlich keiner der vielen verschiedenen selbsternannten Zeitlinienbeschützer ein, um irgendetwas in dieser Staffel zu unterbinden? Wo sind Braxton, Daniels und wie sie alle heißen, wenn man sie braucht?
- Schon wieder kann man zu einem Staffel-2-Finale dem Bad Guy aus vollem Herzen zurufen: Kein Backup, kein Mitleid.
- Was möchte mir die letzte Szene mit Adam Soong sagen? Zeigt die Akte Arbeit, die er bereits vollbracht hat? Oder kramt er ein altes Projekt hervor, dem er sich ab sofort widmen möchte? Ist das ein kleines Easter Egg, das “Strange New Worlds” aufgreifen wird?
- Wir haben in der ganzen Staffel genau einen “klassischen” Q-Blitz gesehen (nämlich in der ersten Episode), daran ändert auch “Farewell” nichts.
- Das Weltraumspektakel im 25. Jahrhundert mag eine Hommage an eine ähnliche Szene aus “All Good Things…” sein.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Am 09.05.2022 zeichnen wir gemeinsam mit dem Discovery Panel einen Podcast zum Staffelrückblick auf “Picard” auf. Hinterlasst gerne in den Kommentaren Fragen, Meinungen und Themen, zu denen ihr gerne von Sebastian, Andreas, Tom, Matthias und Christopher etwas hören möchtet.
Der Tod von Tallin ist total sinnlos. Ebenso wie sie sich von Soong bereitwillig töten lässt, hätte sie ihn auch gemeinsam mit beiden Picards aufhalten können. Die Serie zeigt nicht, wie Tallins Tod irgendwas dazu beiträgt oder warum er zwingend nötig ist, damit die Europamission Erfolg hat. Soong bis zum Start geknebelt irgendwo in der Ecke sitzen zu lassen, hätte der Zukunft überhaupt nicht geschadet. Ergo einfach nur ein Mittel, um Drama zu erzeugen. Rios’ Entscheidung in der Vergangenheit zu bleiben kommt sowas von … Rios: “Ich bleib hier.” Und Picard so “Okay.” Die Begründung, sein Leben sei ohnehin doof,… Weiterlesen »
Ich beginne mit dem Positiven: Die Episode hatte 1-2 schön inszenierte Momente.
Der Rest der Handlung löst sich natürlich völlig unbefriedigend wie mit einem Q-Fingerschnipp im Nichts auf. Am Ende ergibt nichts wirklich Sinn. Das, was an Handlungssubstrat in dieser Staffel da ist, hätte man in eine einzelne Folge packen können.
Das Problem von Nu Trek liegt eindeutig bei den Autoren.
Das Ende ist dann so banal, dass ich tatsächlich zurück spulen mussten, weil ich nicht glauben konnte, wie “seicht”, um ein nettes Wort zu benutzen, sie alles auflösen.
Fazit der Staffel: “Zéro Point”, um es auf französisch zu sagen.
Ach ja, und vergessen wir bitte nicht, dass Q Picard in “Leben nach dem Tod” eine sehr ähnliche Lektion schon mal erteilt hat – die eigene Fehlbarkeit anzunehmen. Was hier als Lektion verkauft wird, ist nichts Neues.
Auch wenn nichts Sinn ergibt – schön am Ende auf die (Melo-)Drama-Drüse gedrückt. Das können sie (ähm – wie oft habe ich jetzt Burnham pathetische Reden halten hören? Wie oft hat man sie flennen sehen?…). Trotzdem sind die Erwartungen an die Handlung überhaupt nicht erfüllt worden. Man nehme Q und was er sagte zu Beginn der Staffel und halte es gegen diese 10. Episode. Alles nur, um Picard einen großen persönlichen Gefallen zu tun? Weil er nur noch mal ein letztes Mal seinen heißgeliebten “mon capitaine” liebkosen wollte? Schwer zu glauben. Ach ja, und abgesehen davon blieben so ziemlich alle… Weiterlesen »