In “Monsters” muss sich Picard einem tiefsitzenden Kindheitstrauma stellen. Ob sich die Charakterstudie lohnt, klärt unsere ausführliche Episodenkritik. Achtung, SPOILER!
Handlung
Picard (Patrick Stewart) liegt nach dem Attentat von Adam Soong noch immer in der Clinica Las Mariposas. Obwohl seine körperlichen Wunden von Dr. Teresa Ramirez (Sol Rodriguez) behandelt wurden, schwebt Picard noch immer in Lebensgefahr, denn sein Gehirn zeigt ungewöhnliche neurale Aktivitäten, die einen komatösen Zustand verursachen. Tallinn (Orla Brady) schlägt Rios (Santiago Cabrera), Seven (Jeri Ryan) und Raffi (Michelle Hurd) eine spezielle Prozedur vor, mit der sie in Picards Psyche eindringen kann, um ihm dort behilflich zu sein – bei was auch immer.
Derweil durchlebt der schlafende Picard einen seltsamen Traum. Er befindet sich in seinem Bereitschaftsraum und führt ein sehr persönliches Gespräch mit einem ihm unbekannten, aber vertraut wirkenden Sternenflotten-Therapeuten (James Callis). Dieser möchte herausfinden, weshalb Picard zeitlebens Probleme hatte, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Im Laufe der Therapiesitzung wird deutlich, dass Picards Mutter Yvette (Madeline Wise) unter einer bipolaren Störung litt, was auch Picards Kindheit und dessen Beziehung zu seinem Vater Maurice (ebenfalls James Callis) seinerzeit schwer belastete. Picard sah in seinem Vater ein “Monster”, weil er fälschlicherweise glaubte, Maurice hätte Yvette damals Gewalt angetan.
Mit Tallinns und Dr. Ramirez’ Hilfe gelingt es schließlich, Picard aus dem Koma zu holen. Der wiederum glaubt, dass Q hinter alledem steckt. Folglich sucht Picard abermals Guinan (Ito Aghayere) auf, damit sie ihm dabei hilft, Q herbeizurufen. Doch das Vorhaben scheitert und Picard und Guinan werden stattdessen vom FBI festgenommen.
Unterdessen müssen Seven und Raffi entsetzt feststellen, dass die Borg-Königin nicht nur den Bordcomputer der La Sirena verschlüsselt hat, sondern auch Agnes (Alison Pill) assimiliert zu haben scheint. Der Assimilationsprozess ist allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen, sodass den beiden noch etwas Zeit bleibt, um Jurati zu finden und unschädlich zu machen, bevor die Borg-Königin endgültig die Oberhand über Agnes’ Körper gewinnt und damit beginnen kann, L.A. in ein neues Borg-Kollektiv zu verwandeln…
Drehbuch & Kanon
Das Drehbuch zu “Monsters” stammt abermals von Jane Maggs, die somit nach “Watcher” und “Two of One” schon den dritten Writer’s Credit in Staffel 2 für sich verbuchen kann. Wie ich bereits in meiner Rezension zu “Watcher” festgestellt habe: Wenn man sich Jane Maggs’ Filmografie auf IMDb anschaut, dann wird recht deutlich, dass sie sich vor allem in den Genres Drama, Thriller und Mystery zuhause fühlt. Dies dürfte wohl auch erklären, warum “Monsters” leider so gut wie nichts mit der Art von Science-Fiction zu tun hat, die man über mehr als vier Jahrzehnte mit “Star Trek” in Verbindung gebracht hat. Maggs’ Drehbuch ist nämlich – wieder einmal – ein inhaltlich recht flaches Potpourri aus derzeit angesagten Genres: Mystery, Fantasy, Drama. Aber es ist eben kein Science-Fiction.
Sicher, die Serie heißt “Picard”, weshalb es auch auf der Hand liegt, dass wir hier eine 30-teilige Charakterstudie über Jean-Luc Picard sehen. Oder ist es vielleicht doch eher eine filmische Quasi-Biografie über Sir Patrick Stewart? Wie dem auch sei, die Serie trägt nun einmal auch die Worte “Star Trek” im Titel. Aber abgesehen von ein paar Sternen, die durch das Fenster von Picards Ready Room zu sehen sind, habe ich in dieser Episode – wie auch im Großteil der gesamten zweiten Staffel – nichts von einer Reise zu den Sternen gesehen. Leider. Denn nach “Mission: Impossible” in der Vorwoche bekommen wir dieses Mal eine Episode aufgetischt, die mir in Teilen wie eine wenig inspirierte Trek-Interpretation von “Alice im Wunderland”, “Pans Labyrinth”, “Der Zauberer von Oz” und “ES” oder was auch immer vorkommt. Ein Prise Märchen plus eine Prise Horror…und fertig ist das Kindheitstrauma des kleinen Jean-Luc.
An dieser Stelle spare ich mir jetzt einfach mal die Höflichkeitsfloskeln und sage es ganz frei heraus: Diese Autorin ist leider eine totale Fehlbesetzung für eine Serie, die den Anspruch hat, “Star Trek” sein zu wollen. Das ist Fantasy und kein Science-Fiction! Natürlich könnte man jetzt sagen, dass “Star Trek” auch mal anders sein darf. Stimmt. Aber nicht, wenn der SciFi-Anteil an der gesamte Staffel bisher verschwindend gering gewesen ist.
Dabei wird diese absolut generische Horror-Fantasy-Show im Keller des Château Picard sogar noch von den pseudo-intellektuellen Dialogen, die Picard mit seinem Therapeuten führt, getoppt. Nur weil ein genialer Schauspieler wie James Callis (oder ist das hier vielleicht doch Richard David Precht? 🤔) diese Textzeilen spricht, wird aus Oberflächlichkeit beziehungsweise erzählerischer Redundanz nicht plötzlich philosophischer Tiefgang. Und auch sonst besteht das Drehbuch wieder einmal aus etlichen flachen Dialogen, offensichtlichen Plot Holes und peinlichen Fremdanleihen, auf die ich im Folgenden noch etwas genauer eingehen werde. Ärgerlich ist auch, dass die Handlungsstränge um Q, die Soongs und Renée Picard in dieser Episode einfach ausgespart werden.
Kurzum: Diese Serie hat hinsichtlich Erzählinhalt und Erzählstil ein ganz massives Identitätsproblem. Scheinbar hatte Sir Patrick Stewart keine Lust mehr auf jenes Science-Fiction-Konzept, das “The Next Generation” einst so erfolgreich machte. Stattdessen wollte er sich auf seine alten Tage wohl nochmal Genre-übergreifend so richtig austoben. Von diesem “Nichts Halbes und nichts Ganzes”-Ansatz lebt auch das Drehbuch zu “Monsters”. Verwundert frage ich mich, warum u.a. Wikipedia “Picard” immer noch als Science-Fiction-Serie listet. Die Fantasy-Anteile überwiegen mittlerweile, so mein persönlicher Eindruck.
Figuren & Dramaturgie
Raffi & Seven: Planlos in L.A.
Es wird von Folge zu Folge immer offensichtlicher, wie erschreckend wenig Staffel 2 mit den ursprünglich für Season 1 konzipierten Hauptcharakteren anzufangen weiß. Elnor und Soji sind komplett aus der Gleichung genommen und der gute Rios hat bisher auch mehr Probleme verursacht, als dass er irgendwie produktiv gewesen wäre. Und Seven und Raffi? Die trapsen nun schon seit mehreren Folgen relativ ereignislos in L.A. rum, um irgendwen zu suchen. Erst war es Rios, jetzt ist es eben Jurati. Meine Güte, ist das inhaltlich flach und langweilig. 🥱
Und dann sind da noch diese alibimäßigen Dialoge über deren Beziehungsstatus. Ganz ehrlich, seichter und belangloser geht es kaum. Es interessiert mich auch einfach nicht; schon allein deshalb, weil hier absolut nichts vorankommt. Und wenn man sich dann auch noch vor Augen führt, dass wir von dieser “Beziehung” nur wenige Sekunden Händchenhalten (PIC 1×10 “Et In Arcadia Ego, Part 2”) gesehen haben – ohne Anbahnung – dann fällt mir zu diesem Story-Arc einfach nur ein Wort ein: armselig! Irgendwie müssen die Drehbücher eben gestreckt werden…
Rios & Teresa: Wen juckt schon die Temporale Direktive?
Noch nutzloser wirkt da Rios, der wirklich so gut wie nichts zum Gelingen der Mission beiträgt. Stattdessen pflegt “Picard” hier lieber das Klischee des ‘Latin Lover’, denn Rios flirtet weiter ausgiebig mit der Ärztin Dr. Teresa Ramirez. Auch an dieser Stelle ist sich die Autorin für kein noch so abgedroschenes Klischee zu schade. Wie oft hat man nun schon Romanzen erzählt, in denen die Umworbene zunächst launisch, unnahbar und abweisend reagiert, nur um am Ende der Story dann dem Charme des Schürzenjägers zu erliegen? Auch wenn es hier wahrscheinlich noch zu einer konfliktreichen Dreierkonstellation mit Agnes kommen wird: Das ist doch wirklich ganz, ganz schwaches, da ideenloses Copy & Paste-Schreiben. Darüber kann auch die “Star Trek IV”-Zitatreferenz nicht hinwegtäuschen. Oder wie mein Redaktionskollege Christopher es neulich so treffend formulierte: So langsam ist die Luft raus aus dem Nostalgie-Ballon.
Und natürlich darf in “Monsters” auch das obligatorische Kurtzman-Trek-Wundergerät nicht fehlen, das so einfach zu bedienen ist, dass es den 24th Century Native Rios überfordert, für die Ärztin aus dem 21. Jahrhundert aber kein Problem darstellt. Wie ich bereits sagte: Das ist Fantasy, kein Science-Fiction! Und es ist auch einfach banal geschrieben, zumal es eine Szene zuvor noch hieß, der Bordcomputer der La Sirena sei durch die Borg-Königin verschlüsselt worden. Aber halt! Die Queen war ja so nett und hat wenigstens die Replikatoren funktionstüchtig gelassen. Wieder so ein offensichtliches Plot Hole, da fühlt man sich als Zuschauer einfach nur noch verschaukelt.
Und was darf hier auch nicht fehlen? Natürlich, ein pathetischer Dialog darüber, wie sehr sich Rios wünscht, Picard sähe in ihm eine Art Ziehsohn. Auch das ist leider maximal unglaubwürdig, weil die hier angedeutete enge Beziehung zwischen Rios und Picard aus den gemeinsamen Szenen in Staffel 1 nicht ansatzweise ersichtlich wurde. Zumindest nicht für mich. Und was in den rund zwei Jahren danach passiert sein mag, haben wir halt wieder nicht gesehen. Dasselbe Problem wie im Fall von Picard/Raffi, Raffi/Seven oder Raffi/Elnor: Man zeigt nichts, man erzählt es nur. Die alte Leier seit “Discovery”, aber es ändert sich einfach nichts.
Auch das Thema “unprofessionelles Verhalten” bleibt weiterhin ein Dauerbrenner in “NuTrek”. Wie kommt Rios eigentlich auf die völlig hirnrissige Idee, dass es nach der Aufdeckung seiner wahren Identität nun völlig okay sei, den Bruch der Obersten Temporalen Direkte sogar noch weiterzutreiben und Teresa und deren Sohn die La Sirena zu zeigen? Eigentlich mochte ich Rios bisher als neuen Trek-Charakter, aber in Staffel 2 hat er sich als Captain eines Sternenflottenschiffes eigentlich total disqualifiziert. Er wird hier weder seiner Vorbildfunktion als Captain noch seiner Verantwortung als Sternenflottenoffizier gerecht.
Tallinn goes Mind Meld
Und so langsam nähern wir uns den ‘Höhepunkten’ der Episode. Tallinn ist als “Supervisor” selbstverständlich super ausgerüstet und kann somit in Picards Psyche eindringen, um ihm dabei zu helfen, aus seinem Koma zu erwachen. Klingt irgendwie abgedroschen? Ja, das ist es auch. Wir erinnern uns an Staffel 1 und Sutra (PIC 1×10 “Et in Arcadia Ego, Part 1”) oder an die dritte Staffel “Discovery” (DIS 3×04 “Forget Me Not”), um nur zwei Beispiele aus der jüngeren Trek-Vergangenheit zu nennen, die eine ähnliche Geschichte erzählen. Hinsichtlich der weißen Augen kupfert man sogar (wieder einmal) bei sich selbst ab (siehe Bildervergleich unten).
Nebenbei erfahren wir auch, dass Tallinn von romulanischer Herkunft ist und deshalb wahrscheinlich eine Vorfahrin von Laris sein muss, schließlich ist sie ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Es sind mittlerweile recht viele Zufälle, die uns “Picard” zuletzt gezeigt hat. Man kann es mit dem ‘Fanservice’ beziehungsweise mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für den Cast auch übertreiben. Da gäbe es eine ganz einfache Lösung, wenn man die Schauspieler aus Season 1 behalten möchte: Lasst die Staffel doch einfach in der Gegenwart, also im 25. Jahrhundert, spielen und nicht in der Vergangenheit. Dann muss man nämlich auch nicht ständig neue Rollen für die Schauspieler erfinden, sondern kann etwas praktizieren, das sich “Charakterentwicklung” nennt.
Auch in Bezug auf Tallinn muss man leider feststellen, dass die Autorin mit dieser Figur leider nicht allzu viel anzufangen weiß. Extrem konstruiert finde ich auch Picards Schlussfolgerungen in Bezug auf Q. An dieser Stelle nimmt die Handlung gezwungenermaßen Fahrt auf, weil man vorher wieder unnötig Screen Time für belanglose Nebenhandlungen vergeudet hat. So langsam habe ich die Befürchtung, dass der Q-Story-Arc eine Luftnummer werden könnte. Hoffentlich irre ich mich diesbezüglich!
Jean-Luc im Monsterland
Im Zentrum der Handlung steht Picards Kindheitstrauma, das als Erklärung dafür herhalten muss, dass der gute Jean-Luc zeitlebens Probleme damit hatte, seine Gefühle zu zeigen. Mal abgesehen von der Art und Weise, wie uns das hier präsentiert wird, habe ich auch ein Problem mit dem Inhalt dieses Handlungsstrangs.
Dass Picard in “The Next Generation” manchmal arrogant, ruppig, verschlossen und distanziert war, ist uns wohl allen bekannt. Nach meinem Dafürhalten hat er sich im Laufe der Serie und der Kinofilme diesbezüglich aber weiterentwickelt. Er begann nach und nach, sich anderen Menschen zu öffnen, zumindest seinen engsten Kollegen und Freunden gegenüber. Denken wir doch nur an die vielen (teils privaten) Gespräche mit Beverly, Guinan und Troi. Und allen voran an seine Trauerszene in “Star Trek: Generations”, in welcher er sogar im Beisein von Counselor Troi weinte. Auch in “Star Trek: Insurrection” öffnet er sich Anij, in “Star Trek: Nemesis” sprach er – leider in einer der entfallenen Szenen – ganz offen mit Troi darüber, was Shinzons Existenz für ihn bedeutet – und zwar auf der ganz persönlichen, emotionalen Ebene (“It was like a part of me had been stolen…”). In “Lessons” (TNG 6×19 “Der Feuersturm”) ging Picard sogar eine romantische Beziehung ein. Und diese scheiterte am Ende weder an Picards emotionaler Verschlossenheit noch seiner vermeintlichen Bindungsangst, sondern schlicht an der Tatsache, dass er als Captain dazu gezwungen sein könnte, Lt. Cmdr. Nella Daren auf eine tödliche Mission schicken zu müssen. Es waren also die Strukturen der Sternenflotte und Picards Beruf, die dazu führten, dass er letztendlich Single blieb.
Folglich kommen mir einige Aspekte des Gesprächs mit dem Therapeuten auch irgendwie redundant, überholt und stellenweise auch etwas übertrieben vor. Bereits in Season 1 war mir sauer aufgestoßen, dass man einige der in TNG und den Filmen gezeigten Entwicklungsschritte Picards, wie etwa jene hinsichtlich seines Borg-Traumas, einfach ignoriert hat, nur damit Picard so agieren konnte, wie es das “Picard”-Drehbuch gerne haben wollte. Denn auch schon in TNG und “Nemesis” hat sich Picard mit einer dunkleren Version seiner selbst auseinandersetzen müssen, nämlich mit seiner eitlen und überheblichen Art als junger Mann (TNG 6×15 “Tapestry” / “Willkommen im Leben nach dem Tode”) sowie mit seinem bösen Klon-Spiegelbild Shinzon (“Star Trek: Nemesis”). Was will uns “Monsters” hier eigentlich noch Besonderes erzählen, was wir nicht schon längst wüssten? Dass alles im dunklen Keller der Picards begann? Und dafür ist Stewart nach fast 20 Jahren in seine alte Rolle zurückgekehrt? Ernsthaft?!
Auch Patrick Stewarts neuerlicher Hang zum Overacting macht die Szenen zwischen ihm und James Callis für mich leider zu einem zweischneidigen Schwert. Sicher, hier spielen zwei (eigentlich) großartige Schauspieler und das Gespräch ist kameratechnisch auch grandios inszeniert. Und dennoch erkenne ich hier den alten Jean-Luc Picard nur teilweise wieder. Wie gesagt, die Dialoge zeigen mir zu wenig Respekt für Picards Entwicklung in den 15 Jahren zwischen “Mission Farpoint” und “Nemesis”. Und Stewart übertreibt es hier auch mit seinem Versuch, Picard arrogant und unnahbar erscheinen zu lassen.
Über das phantastische Monsterland im Keller der Picards will ich gar nicht mehr viele Worte verlieren. Dass Träume wirr sein können, wissen wir alle. Von daher kann ich mit dem Setting auch leben. Und wer auf ein solch surreales Szenario im Stile moderner Mystery-, Fantasy- und Horror-Produktionen steht, kommt hier gewiss auf seine Kosten. Aber wenn moderne Science-Fiction das alles wirklich nötig haben sollte, dann bleib’ ich lieber bei den alten Sachen. Wenn ich “Star Trek” einschalte, will ich halt kein Fantasy-Zeug sehen. Traumsequenzen gab es auch schon früher in “Star Trek”, aber irgendwie war das trotzdem immer noch primär Science-Fiction.
James Callis’ Maurice Picard redet übrigens davon, dass sein Sohn Jean-Luc eine Glatze hat, er selbst aber bis zuletzt seine Haare behalten habe (“You lived longer than I did. But I got to keep my hair.”). Mal abgesehen vom niedrigen Niveau dieser Dialogzeile muss man an dieser Stelle leider monieren, dass Maurice Picard, seinerzeit von Clive Church (TNG 6×15) gespielt, eben doch kahlköpfig war und auch ein Alter erreicht haben dürfte, das ähnlich hoch gewesen sein muss wie das von Jean-Luc im Jahr 2401.
Dass der rund zehnjährige Picard (Dylan Von Halle) damals nicht verstanden hat, was mit seiner Mutter los ist, ist nachvollziehbar. Aber dass der erwachsene Jean-Luc bis in seine späten Neunziger hinein noch nicht auf die Idee gekommen sein soll, dass sein Vater hier womöglich nicht das “Monster” war, das er damals in ihm gesehen hat, erscheint mir doch etwas zweifelhaft. Mich hat dieser Handlungsstrang bisher jedenfalls noch nicht überzeugen können, zumal Picard auch schon früher durchblicken ließ, dass er es bedauert, dass es niemals zu einer Aussprache mit seinem Vater gekommen ist. Mal abgesehen davon, hatte bekanntlich auch Picards Bruder Robert durchaus Probleme, seine Gefühle freimütig auszudrücken. Wie gesagt, das ist doch alles wirklich nichts, was die Zuschauer überraschen sollte.
Aber hier scheint wohl noch ein Epilog zu folgen, darauf deutet zumindest die “verschlossene Tür” hin. Mal sehen, vielleicht kann mich dieser Story-Arc am Ende doch noch abholen…
Honky Tonk mit Agnes
Der Handlungsstrang um Agnes und die Borg Queen kommt indes auch nur schleppend voran. In “Monsters” läuft Agnes einfach nur durch das nächtliche L.A., demoliert eine Bar und verschafft dadurch der aktuellen Ehefrau von Patrick Stewart, Sunny Ozell, einen Mini-Gastauftritt. Außer Spesen nichts gewesen.
Agnes durchläuft einen Transformationsprozess, an dessen Ende eine neue Borg-Königin stehen wird. Dass dieser länger dauert als bei gewöhnlichen Drohnen, ist wohl eher dem (angedachten) Spannungsbogen als einer glaubwürdigen In-universe-Erklärung geschuldet. Auch hier gilt leider: Der Story-Arc wird unnötig in die Länge gezogen, man hätte sich diesen Teil der Handlung auch problemlos für die letzten drei, vier Episoden aufheben können.
Guinan – Total verhext!
Der absolute Tiefpunkt der Folge ist für mich allerdings Guinans neuerlicher Auftritt. In “Watchers” fand ich Ito Aghayeres Performance eigentlich noch recht gut, aber sowohl das Drehbuch als auch Aghayeres grenzwertiges Overacting (das in Folge 2×08 wohl noch krasser werden dürfte) führen leider dazu, dass die Figur Guinan in “Monsters” karikiert wird. Guinan war gewiss schon immer eine mysteriöse Person gewesen, die von einer Art “Aura des Magischen” umgeben war. Aber in “Monsters” macht man aus ihr eine Art Weltraum-Hexe. Und das hier hat einfach nichts mehr mit “Star Trek” zu tun, das ist “Harry Potter”, “Lord of the Rings” oder auch “I Dream of Jeannie”.
“Metal and liquid can capture the half-life of a moment.” 🙄🙆♂️🤦♂️ Das Gefasel von Guinan gehört für mich jedenfalls zu den dümmlichsten Dialogen, die ich bisher in “Star Trek” gehört habe. Getoppt wird dieser verbale Bullshit nur noch durch das, was anschließend passiert. Die Erde bebt, das Licht flackert. Willkommen in “Fantasy Trek”…
Und es kommt sogar noch dicker. Die Zeitreisenden werden mal wieder beim Verwenden ihrer futuristischen Technologie ertappt, was sodann die hiesigen Sicherheitsbehörden auf den Plan ruft. Auch das ist wieder total abgedroschen, ausgelutscht…einfach schon x-mal gezeigt worden. Kreativität? Fehlanzeige!
Hier baut man scheinbar den nächsten Story-Arc auf (siehe Trailer zu 2×08), in welchem Vulkanier wohl eine Rolle spielen. Ob Agent Wells in irgendeiner Verbindung zu Lieutenant Ducane (VOY 5×24 “Relativity” / “Zeitschiff Relativity”) steht – immerhin wird auch er von Jay Karnes verkörpert, da muss man die nächste Folge abwarten. Nach Ansicht des Previews gehe ich allerdings nicht mehr davon aus.
Gesellschaftskommentar
“Monsters” widmet sich dem gesellschaftlichen Thema ‘Depressionen’ bzw. ‘BAS (bipolare affektive Störung)’. Das ist sicherlich lobenswert, aber passt das wirklich in dieser Form zu “Star Trek”?
Ich kann mich an dieser Stelle leider nur wiederholen, aber mir gefallen die Sozialkommentare in “Star Trek” besser, wenn es sich hierbei um eine Form von Parabel unter Rückgriff auf Verfremdungsmotive handelt. “Picard” und auch “Discovery” adressieren eher direkt, was der ganzen Sache auch irgendwie den Reiz nimmt. Man muss “Monsters” allerdings zugutehalten, dass das Gezeigte durchaus Raum für Interpretationen lässt und weniger Holzhammer-mäßig daherkommt als etwa die Story mit dem Department of Homeland Security. Mir fehlen aber auch hier einfach die Science-Fiction-Elemente.
Inszenierung
Mit “Monsters” feiert Joe Menendez sein “Star Trek”-Debüt. Handwerklich gibt es erneut nichts zu meckern, ich finde die Inszenierung sehr solide, vor allem die Dialogszenen zwischen Stewart und Callis oder auch die Gruselszenen in den Kellerräumen des Château Picard sind optisch ansprechend. Allerdings fand ich Datas Traumsequenzen in “Birthright, Part 1” (TNG 6×16 “Der Moment der Erkenntnis”; Regie: Winrich Kolbe) deutlich kreativer und auch cooler umgesetzt.
So verheißungsvoll die zweite Staffel begann, so sehr habe ich das Interesse mit dem Fortschreiten der Folgen fast verloren. Als die Endszene kam, wunderte ich mich über die Kürze der Folge, bis ich gemerkt habe, dass ich bei Picards Traumakram wohl eingenickt bin. Es bleibt nur zu Hoffen, dass Strange New Worlds interessanter und weniger “woke” wird.
Ist doch dasselbe wie bei Disco: Alle Protagonisten haben jetzt Traumata und/oder Beziehungsproblemchen und müssen darüber quatschen. Ist halt “modern”.
Da wird der Vorspulknopf zum besten Kumpel! Traurig aber wahr.
Gute Rezension! Katastrophe, was wurde bloß aus Picard gemacht?!