Nach dem soliden, aber nicht begeisternden Einstand mit “Runaway” lässt “Short Treks” in der zweiten Folge Calypso die Muskeln spielen und zeigt, wie viel Saft noch in der alten Zitrone “Star Trek” steckt.
Mehr noch als “Runaway” erzählt “Calypso” eine abgeschlossene Geschichte, und dieses Mal scheinen Dauer und Erzähltempo angemessen. Durch die Beschränkung auf zwei dem Zuschauer bisher unbekannte Charaktere, außergewöhnliche Kameraarbeit und präzise Dialoge entfaltet “Calypso” schnell eine beachtliche Sogwirkung. Dazu trägt insbesondere die Schauspielleistung von Aldis Hodges bei, der die meiste Zeit alleine vor der Kamera steht.
Dazu demonstriert “Calypso” nachdrücklich, dass bei den “Short Treks” nicht am Budget gespart wird, und bringt einige bemerkenswerte Spezialeffekte auf die Mattscheibe. Zudem wird die Geschichte bezüglich ihrer inneren Handlung befriedigend aufgelöst. Bezüglich der äußeren Umstände der Geschichte bleiben einige offene Fragen, die sicherlich einige Fans noch lange beschäftigen und hoffentlich kreative Theorien im Internet hervorbringen werden.
Zwar könnte die Story rund um den geretteten Schiffbrüchigen auch außerhalb des Rahmens von “Star Trek”erzählt werden, doch ist ihr Kern in seiner klassischen Einfachheit auch großartig auf der Discovery aufgehoben. Dass die Autoren Sean Cochran und Michael Chabon Anleihen an Homers Odyssee genommen haben, bekennen sie freizügig im Titel: Kalypso ist die Meernymphe, welcher der schiffsbrüchigen Odysseus auf der ansonsten unbewohnten Insel Ogygia begegnet. Die Reinterpretation der Geschichte durch Cochrane und Chabon ist elegant und fast schon ein wenig transzendent. Schließlich scheint es dem Autorenduo doch nur nebensächlich, an welchen Ort oder welcher Zeit sich ihre Geschichte im “Star Trek”-Universum verorten lässt. Es scheint wichtiger, dass die Geschichte auf der Discovery – als zeitlose, klassische Idee – stattfindet, als nun einen konkreten Punkt im Raum-Zeit-Kontinuum für die Handlung anzugeben (auch wenn es hierzu eine kurze Erklärung gibt).
Kurzum rechtfertigt “Calypso” praktisch im Alleingang das “Short Treks”-Format. Unabhängig von den weiteren Folgen, können wir alleine für diesen stimmigen Kurzfilm dankbar für die Kurzfilmserie sein. Es zeigt nach einigen Enttäuschungen der letzten Jahre vor allem wieder nachdrücklich, welche Wirkung neue, renommierte Autoren in “Star Trek” entfalten können. Für die noch unbetitelte neue Serie um Jean-Luc Picard heißt dies nur Gutes. Michael Chabon schreibt nämlich in deren Autorenstab mit an der ersten Staffel.
Achtung, Spoiler im Folgenden
Der schiffsbrüchige Craft wird von der U.S.S. Discovery gerettet und erwacht in einer scheinbar völlig verlassenen Krankenstation. Schnell erweist sich, dass seine einzige Gesellschaft die K.I. Zora ist, offenbar hervorgegangen aus der Selbstbeschäftigung des seit 1000 Jahren alleingelassenen Hauptcomputers. Zora freut sich hörbar über den Besucher und gibt sich redlich Mühe, Craft die Anwesenheit so angenehm wie möglich zu gestalten, denn ihr eigentliches Dasein ist tragisch. Vor 1000 Jahren erhielt sie den Befehl, das Schiff in einem Nebel versteckt betriebsbereit zu halten, um die vermeintliche Rückkehr der Crew zu erwarten. Darin liegt der rührende Kern der Geschichte: Dank Craft, in den Sie sich schnell verliebt, entkommt Zora der Monotonie Ihrer nie enden wollenden Mission, während Craft nach einem Weg sucht, das Schiff zu verlassen und Heim zu kehren.
Entgegen aller Klischees über mörderische K.I.s ist Zora keine verständnislose, psychopathische Maschine, die Craft, gegen seinen Willen an sich binden will. Auch wenn ihr all-sehendes Auge ein wenig an HAL erinnert, wird Zora als komplexe und durchaus verletzliche Präsenz dargestellt. Dagegen lernen wir Craft als verschlossenen, und vom Krieg gezeichneten Soldaten kennen, der bei aller Sympathie für seine Gastgeberin den Weg zu seiner Familie zurückfinden muss. Innerhalb weniger Minuten schafft “Calypso” so ein stimmiges, anrührendes und menschliches Drama, dass wie “Das zweite Leben” oder “Griff in die Geschichte” den Zuschauer bewegt. Regisseur Olantunde Osunsanmi hat wahrscheinlich einen neuen Klassiker geschaffen.
Für einige Hardcore-Fans wird vermutlich der äußere Rahmen der Kurzgeschichte schwer zu fassen oder gar kontrovers sein. Die Geschichte spielt – Zoras Aussagen nach – 1000 Jahre nach Beginn ihrer Mission, also frühestens im 33. Jh. Das wirft unweigerliche Fragen danach auf, wie das Schiff so lange funktionstüchtig bleiben konnte, und unter welchen Umständen die Discovery aufgegeben wurde.
Wahrscheinlich haben Cochran und Chabon keinerlei Interesse, diese Lücken jemals kanonisch zu füllen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Zeitangabe stattdessen eine direkte Referenz zur griechischen Sage ist, denn in ihr muss die Nymphe Kalypso 1000 Jahre auf die Ankunft eines Besuchers auf ihrer verlassenen Insel warten. Die Autoren wollen keine Geschichte über das 33. Jh. erzählen, sondern mit Zora und Craft an die klassischen Figuren Kalypso und Odysseus anknüpfen. Andere postmoderne Versatzstücke sind Zoras Inzenierung in Anlehnung an HAL aus “2001 – Odyssee im All” und natürlich explizit “Betty Boop” und “Funny Face”.
Dass Craft und Zora sich auf der Discovery begegnen ist dann auch mehr symbolisch zu verstehen. Die Geschichte ist sozusagen zeitlos. Dass sie sich auf Discovery – einem Föderationsraumschiff – abspielt, darf man als Selbstreflektion verstehen. Was sich auf Disovery zuträgt, ist Sinnbild für die “Seele” von “Star Trek”, 50 Jahre nach seiner Entstehung.
Das Schiff, dass gegen seit 1000 Jahren seine Befehle befolgt und im Wartungsmodus regungsunfähig an Ort und Stelle verweilt, erinnert frappierend an ein gelähmtes Franchise unter Rick Berman, der kompromisslos an seinem Verständnis von Gene Roddenberrys Zukunftsvision festhielt und unbeholfen versuchte, nur die äußere Form zu verjüngen.
Auf der anderen Seite ein vorübergehender Besucher, der von Zora zwar tiefst berührt wird, aber dennoch vom menschlichsten aller Bedürfnisse getrieben ist, zu einem neuen, wichtigeren Ziel aufzubrechen – und in dieser Kurzen Zeit selbst Spuren zu hinterlassen. Wenn man z.B. Ronald D. Moore (ehemaliger Autor für “The Next Generation” und “Deep Space Nine”, später Schöpfer von “Battlestar Galactica” und heute “Outlander”) zuhört, erinnert Crafts Entwicklung an den Lebensweg vieler Kreativer, die “Star Trek” über die Jahre begleitet haben. Mehr noch: Craft wird von den V’dresh verfolgt, einer Zivilisation, die von alten Dingen besessen sei. Einige kluge Beobachter haben bemerkt, dass “V’dresh” ein über die Jahrtausende degeneriertes Wort für “Föderation” sein könnte. Ein Schelm, wer da an den heiligen Zorn der eingefleischten Trekkies denkt, die bei vermeintlichen Kanonverletzungen auf sozialen Netzwerken aktiv werden.
Sieht man “Calypso” als Kommentar von Star Trek über sich selbst, sind die 18 Minuten eine unheimlich melancholische und zugleich mutige Offenbarung. Gleichzeitig ist die Folge ein Bekenntnis zur wahrhaftigen Weiterentwicklung des Franchises. Aus der Feder des Quereinsteigers und Pulizer-Preisträgers Chabon ist dies sowohl eine scharfsinnige und klug konstruierte Folge Fernsehen und ein Vorgeschmack auf seine Arbeit an der neuen Picard-Serie. Wir dürfen uns einmal mehr auf intelligentes Fernsehen freuen.
Eine angebrachte Filmrezension, was die schauspielerische Leistung der Charaktere mit sich verknüpfen lässt. Zudem wird durch diese Filmrezension der Übergang von Short Treks zum Calypse hervorgehoben. Dies ermöglicht den Zuschauern sich eine Meinung über dieser zu Bilden.