Der Schreibstreik ist vorbei, der Schauspielstreik könnte sich hinziehen. Während hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, zieht es die Kreativen Hollywoods weiterhin auf die Straße: ganze Schauspiel-Ensembles, TV- und Radioredaktionen, Stunt- und MakeUp-Teams demonstrieren, hupen, geben Interviews und halten ihre Schilder hoch. Aber wie lange noch? Die Streikthemen sind von großer Bedeutung.
Das obige Foto trägt den Titel “Space family stands strong” (zu Deutsch “die Weltraumfamilie bleibt standhaft”) und stammt von Todd Stashwicks (Shaw, “Picard”) Twitteraccount. Bilddatum: 3. Oktober 2023.
Rück- und Ausblick
Der Schreibstreik begann im Mai und dehnte sich im Juli zum Hollywoodstreik aus. Die allermeisten US-Produktionen für Serien und Filme stehen seither still, einschließlich “Star Trek”-Produktionen. Es ist zu erwarten, dass die streikbedingten Verzögerungen viele Veröffentlichungstermine weit nach hinten verschiebt. Beispielweise wird “Strange New Worlds” sicherlich nicht vor 2025 eine dritte Staffel abliefern können. Der Schreibstreik ist quasi beendet, der Hollywoodstreik setzt sich de facto fort.
Hollywoodstreik: Gespräche seit Oktober
Die US-Gewerkschaft der darstellenden Künste und die großen Studios kehrten am 2. Oktober nach 2½ Monaten Funkstille an den Verhandlungstisch zurück. Die heiklen Fragen, die Mitte Juli den Hollywoodstreik ausgelöst hatten, wurden vermutlich noch nicht verhandelt. Laut THE WRAP konzentrierten sich die ersten beiden Verhandlungstage weitgehend darauf, jenes Team, das bereits die Verhandlungen mit der Schreibgewerkschaft geführt hatte — Bob Iger von Disney, David Zaslav von Warner Bros. Discovery, Donna Langley von NBC Universal und Ted Sarandos von Netflix — “auf den neuesten Stand” zu bringen. Themen des Freitagmeetings wurden noch nicht offiziell kommuniziert. Es wird nicht täglich verhandelt.
Schreibstreik-Ende musste erst bestätigt werden
Es gab wohl keine ernsthaften Verhandlungen mit der Gewerkschaft für darstellende Künste stattfinden, bis der Schreibstreik offiziell beendet war; er war erst dann in trockenen Tüchern, wenn alle Mitglieder der Schreibgewerkschaft dies per Abstimmung abnickten: am 9. Oktober 2023.
Hollywoodstreik setzt sich also fort
– eben ohne die Autor:innen
Die “Gewinne” der Schreibgewerkschaft, die Ende September ihr Streik-Ende ausrief, scheinen ermutigend: höhere Restgehälter und Schutz vor Ersetzung durch künstliche Intelligenz. Gut! Laut der LA TIMES haben Studiomanager sogar vorgeschlagen, dass der Deal mit den Autor:innen einen Rahmen bieten könne, um die Probleme der Schauspieler:innen anzugehen. Gewerkschaftspräsidentin Fran Drescher (“Die Nanny”) möchte jedoch Erwartungen dämpfen. Sie betonte:
“Dieselbe Schuhgröße passt nicht allen!”
Die Forderungen der beiden Gewerkschaften sind verschieden. Vor allem sollte man sich vor Augen halten, dass die “Schauspielgewerkschaft” mehrere Berufe vertritt, mehrere darstellende Künste. Sie ist die Dachgewerkschaft für die Schauspielkunst, den Tanz, die Stunt-Industrie; selbst Radio- und Fernsehredaktionen sind mit einbezogen. Entsprechende Verhandlungen mit dem Branchenverband der Studios, der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP), können deswegen durchaus andauern.
Verhandlungspunkt KI
Künstliche Intelligenz ist eine besonders existenzielle Bedrohung für Hintergrunddarsteller:innen, von denen einige bereuen, dass sie ihre Körper bereits für eine Wiederverwendung haben scannen lassen.
Verhandlungspunkt Vergütung
Beide Seiten werden in den nächsten Wochen oder gar Monaten intensive Gespräche über den größten Streitpunkt führen: Streaming! Die Gewerkschaft drängt auf erhebliche Änderungen bei der Vergütung von Darsteller:innen. Sie fordert eine neue Struktur, die sowohl den Status von Streaming als wichtigstem Unterhaltungsmedium als auch die sehr hohen Lebenshaltungskosten widerspiegelt, mit denen Gewerkschaftsmitglieder in Hollywood konfrontiert sind.
Im Juni hatten Studios und Streamingdienste das von der Gewerkschaft vorgeschlagene Modell rundweg abgelehnt; sie verneinten, in Erwägung zu ziehen, einen Prozentsatz der Einnahmen an die Gewerkschaft abzuführen, damit sie diese dann unter ihren Mitgliedern aufteilen könnte. Basis der Verteilung wären die wahren Publikumsdaten, deren Herausgabe schon immer problematisch war. Studios und Streamingdienste bevorzugen, sie geheim zu halten bzw. sie nur gegen Bezahlung vorzulegen. Die Herausgabe von Erfolgsdaten ist eine Einnahmequelle für sich, die sie womöglich nicht aufgeben möchten.
Ob die Studios und Streamingdienste einlenken und wie viele Kompromisse die Gewerkschaft eingeht, wird sich zeigen.
Beunruhigende Äußerungen im Sommer 2023
Über “Rest-Gagen”, “Restauszahlungen”, “Residuals” und “Tantiemen”: Diese Begriffe sind hier gleichbedeutend. Viele Kreative in Hollywood verdienen den größten Teil ihres Geldes mit Restauszahlungen. Jedes Mal, wenn z.B. eine Serienepisode erneut ausgestrahlt wird, erhalten sie einen Scheck und damit einen Prozentsatz der Gewinne der Episode. Seit Jahrzehnten gleichen solche Schecks den Unterverdienst aus, der an anderen Enden Hollywoods normalisiert wurde. Der erste Scheck z.B., also die Hauptgage, ist oft nicht genug für die Miete und die Krankenversicherung (jener Zeit/Dauer, die z.B. den Schauspieler:innen abverlangt wurde, um für die Episode vorzusprechen und an ihrer Produktion mitzuwirken). Wenn jemand eine Sendung auf Streamingdiensten statt im Fernsehen schaut, erhalten die Darsteller:innen für die Einschaltquote so gut wie keine Restauszahlung. Diesen Umstand (u.a.) möchte die Gewerkschaft vertraglich ändern.
- Als erste Verhandlungen am 12. Juli scheiterten, schimpfte ein Vertreter der Streaming/Studio-Allianz, man würde nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren, solange die Gewerkschaft sich “nicht zivilisiert” verhalte. Am Folgetag gingen Zitate von Disneys Robert Iger durch die Medien, der darauf bestand, dass die Forderungen beider Gewerkschaften “unzeitgemäß” und “nicht realistisch” seien.
- Kamil McFadden, der in drei Staffeln bei Disneys “K.C. Undercover” mitspielte, veröffentlichte eine Bildschirmaufnahme seiner Restgage (“Residuals”), die mehrere negative Dollarbeträge aufwies. Er sagte, sein Nettoeinkommen aus Restgagen betrage 2,77 Dollar.
- Aaron Paul verriet, dass er trotz der konstanten Zahlen von “Breaking Bad” keine Einnahmen davon erhalte. “Ich bekomme keinen Anteil von Netflix an ‘Breaking Bad’. Um ganz ehrlich zu sein, für mich ist das verrückt.”
- Jana Schmieding, die in der FX-Serie “Reservation Dogs” die Rolle der Bev spielte, informierte, dass sie jedes Quartal 3 Cent für die auf Hulu gestreamte Serie erhält.
Ähnliche schockierende, wohl repräsentative Rückmeldungen, vornehmlich von Kreativen aus dem “Star Trek”-Franchise, über Restauszahlungen und die mangelnde Zahlungsmoral der Streamingdienste hatten wir bereits in anderen Beiträgen zum Streikthema übersetzt (hier und hier). Auszüge:
- “Discovery”-Autor Carlos Cisco bemängelte z.B. in einem Austausch auf Twitter den Umstand, dass Showrunner oft bei Mitarbeiter:innen nachfragen müssen, ob sie überhaupt schon bezahlt wurden; falls nicht, rufen sie dann bei den Studios an, um an die Gehaltsauszahlung zu erinnern: “Es dauerte 2,5 Monate, bis ich meinen ersten Gehaltsscheck für Staffel 5 von ‘Discovery’ erhielt.”
- Terry Matalas, “Showrunner” der dritten “Picard”-Staffel, beschrieb Ähnliches: “Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich ein Studio anrufen musste, um das Geld für einen meiner Autor:innen einzufordern. Bei mehreren Studios, wohlgemerkt. Einmal hat es fast fünf Monate gedauert, bis ich für ein Drehbuch bezahlt wurde.“
Matalas hatte damit auf Jenny Bicks (u.a. bekannt als “Sex in the City”-Drehbuchautorin) geantwortet, die davon erzählt hatte, dass sie vor nicht all zu langer Zeit zweieinhalb Monate auf ihren Gehaltscheck hat warten müssen. Zitat: “Als ich [die Verantwortlichen] darauf ansprach und sie zugaben, dass es ihre Schuld war, verlangte ich Zinsen. Sie erwiderten, sie seien ‘noch nie so beleidigt worden’.”
- Aaron J. Waltke, Showrunner von “Star Trek: Prodigy”, klinkte sich in den Austausch ein: “Mein Rekord liegt bei einem Jahr und zwei Monaten.”