Im Staffelfinale trifft die Crew der Enterprise abermals auf die Gorn. Ob Pike & Co. die jüngste Krise meistern, erfahrt ihr in unserer spoilerfreien Rezension.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
Die größte Schwäche der ersten Staffel von “Strange New Worlds” war die eindimensionale Darstellung der Gorn als purer Monster, die unsere Held:innen ohne Skrupel effekthaschend töten konnten. In der zweiten Staffel wurden die Gorn zwar immer wieder ins Gedächtnis gerufen, aber einen echten Auftritt der Echsenwesen hat sich der Writer’s Room für das Finale aufgehoben.
Hegemony der ungebremsten Gewalt
In unserem Interview mit Anson Mount zum Deutschlandstart von “Strange New Worlds” hatte ich den Schauspieler geradeheraus gefragt, wie das denn zusammenpasst: die Bejahung kompromissloser Gewaltanwendung einerseits und die vermeintlich optimistisch-humanistische Utopie andererseits. Mount, der damals schon die zweite Staffel abgedreht hatte, ließ uns mit der Aussicht zurück, dass genau dies durch die zweite Staffel aufgegriffen und thematisiert würde.
“Hegemony” stellt tatsächlich diese Fragen. Aber in bester “Strange New Worlds”-Manier belässt es die Serie auch dabei, sich gerade so selbstreflektiert zu geben, dass dieser offensichtliche Widerspruch von den Charakteren ausgesprochen wird. Die potentiell interessante Storyline wird angerissen, aber zügig zu Gunsten von emotionaler Effekthascherei wieder vergessen. Eine konstruktive oder gar selbstkritische Auseinandersetzung bietet das Staffelfinale dem Publikum nicht an.
Im Gegenteil. Nachdem die Gorn eine Kolonie auf Parnasus Beta außerhalb des Föderationsraumes überfallen und dabei die U.S.S. Cayuga zerstören, eilt die Enterprise zu Hilfe. Dabei ist der Einsatz für Pike und Spock besonders heikel, denn neben Captain Patel gehört auch Christine Chapel (auf der Durchreise zu Dr. Korby) zur Crew. Die Lage spitzt sich weiter zu, als die Gorn den Planeten mit potentiellen Überlebenden zu ihrem Territorium erklären und Sensoren, Transporter und Kommunikation im ganzen System stören.
Das Drehbuch von Henry Alonso Myers ist eine Räuberpistole, mit den üblichen Verwicklungen. Die Sternenflotte will keinen Krieg mit den Gorn vom Zaun brechen und verbietet Pike die Demarkationslinie zu überschreiten. Die Crew legt ihre Befehle daraufhin so lax aus, dass sie letztlich doch gornmordend in einen Rettungseinsatz aufbricht. Zwischendurch fragen sich allerdings einige Figuren, ob es nicht eine andere Möglichkeit geben müsste, mit den Gorn zu kommunizieren. Diese Gedanken führen gleichwohl zu nichts.
Gleichzeitig witzeln aber Sam Kirk und La’an darüber, dass der Xeno-Anthropologe seine Arbeit am besten mit einem Phaser erledigt. Das Außenteam erschießt ohne Vorwarnung ein Gornkind aus dem Hinterhalt und die Crew lässt Raumschifftrümmer auf die Gorn auf dem Planeten regnen. Wenn “Strange New Worlds” wirklich noch etwas Aufklärerisches zu sagen hat, dann nicht mehr in dieser Episode. “Hegemony” begnügt sich mit “Auge um Auge”-Reaktionismus.
Eine seltsame Inszenierung
Regisseurin Maja Vrivilo steht für ihre Inszenierung zwar ein größzügiges Budget bereit, aber einige der kreativen Entscheidungen dieser Folge finde ich arg verwirrend. Die Kolonie besteht aus Cos-Playern, die 20. Jahrhundert spielen. Der Verdacht liegt nahe, dass die absurde Annahme rechtfertigen soll, bestehende Sets in Toronto für die Aufnahmen zu verwenden, die wie die Bauten eines Vergnügungsparks aussehen. Wirklich überzeugend ist die Örtlichkeit nicht, insbesondere ein Diner mit verbarrikadierten Fenstern wirkt unglaubwürdig, weil das Set offensichtlich nur von einfarbig beleuchteten Stellwänden umgeben ist (ein ähnliches Problem war auch beim Bühnenbild von Luqs Zelt in “Lotos”Amon the Lotos Eaters” zu begutachten). Auch das Trümmerfeld der Cayuga scheint mit Ausnahme der Untertassensektion recht lieblos aus Stock-Assets von der Stange zusammengewürfelt zu sein.
Die schauspielerischen Leistungen stechen in Ermangelung von herausforderndem Material nicht sonderlich positiv hervor. Am stärksten kann sich in “Hegemonie” noch Rebecca Romijn als kompetente Nummer Eins profilieren. Sie hat in Abwesenheit von Anson Mounts Pike endlich einmal einen signifikanten Auftritt als Kommandantin der Enterprise. Auch Ethan Pecks Spock hat nach seiner neuerlichen Bejahung von Logik einen seiner stärkeren Auftritte.
Natürlich kann sich die Serie nicht verkneifen, in dieser letzten Folge noch eine Legacy-Figur neu besetzt aus dem Hut zu zaubern. The more, the marrier. Zur üblichen Dosis Nostalgie gehört dann natürlich auch noch ein Sammelsurium von Zitaten aus dem Soundtrack der “Original Series”. Trotz aller Kritik schafft “Hegemony” aber schon allein durch Schauwerte zu unterhalten.
Staffel 2 ist “Star Trek” in Krise
Gleichwohl bleibe ich auch nach dem zweiten Jahr “Strange New Worlds” bei meiner anfänglichen Einschätzung der Serie: Trotz aller Oberflächlichkeiten, die an die Treks der 90er erinnern sollen, verfolgt “Strange New Worlds” bisher eine völlig andere Agenda als die Bejahung eines humanistischen Weltbilds. Dieses “Star Trek” ist trotz seltener Ausreißer wie “Ad Astra per Aspera” ein durchgestyltes Produkt von Hollywoods Kulturindustrie, das beinahe alle subversiven Qualitäten vergessen und provokanten Kanten abgefeilt hat, um das Publikum mit dem der vermeintlichen Alternativlosigkeit des Status Quo zu versöhnen. Es behandelt weder seine Figuren noch sein Publikum wie intelligente Subjekte, sondern von Emotionen und unnahbaren Mächten fremdbestimmte Schachfiguren.
Dieser Zynismus mag verständlich sein, wenn man sieht, gegen welche unerhörten Arbeitsbedingungen insbesondere Autor:innen gerade in Hollywood streiken. Wer selbst dauerhaft Ohnmacht als Arbeitsrealität erfährt, schreibt vermutlich aus einer Position dieser Lebenserfahrung. Aber für “Star Trek” und die Menschen, die hier und jetzt mit dieser Form von Unterhaltung sozialisiert werden, ist dieses Gedankengut der Katalysator für die schlimmsten Krisen unserer Zeit: sei es gesellschaftliche Polarisierung, die kafkaeske Beeinflussung von kritischen Entscheidungen durch Algorithmen und künstlicher Intelligenz oder auch die sich beschleunigenden, menschengemachten Zerstörung von Lebensgrundlagen.
Wenn wir diesen und vielen anderen Herausforderungen konstruktiv begegnen wollen, dann ist es wenig hilfreich, wenn unsere Mitmenschen ununterbrochen mit einem bequemen Werteportfolio berieselt werden, das zwischen naiver Hoffnung auf elitäre Erlösungsfiguren, dem unkritischen Vertrauen in das eigene Bauchgefühl und hilfloser Aggression auf das Fremde schwankt. Immanuel Kant nannte das zu seiner Zeit “selbstverschuldete Unmündigkeit”. Wir brauchen mehr Aufklärung und nicht weniger – und “Strange New Worlds” zieht in seiner Gesamtheit nicht am richtigen Ende des Strangs.
Ich hoffe, dass sich “Strange New Worlds” in seiner dritten Staffel einen Ruck geben wird und uns wieder mehr zumutet. “Ad Astra per Aspera” hat gezeigt, dass die Serie kann, wenn sie will. Erfreulicherweise lässt das Ende von “Hegemony” dafür die Tür einen kleinen Spalt weit offen. Aber bis wir wissen, wie es mit Pikes Crew weitergeht, werden wir wohl auch bei einem schnellen Streikende mindestens bis Ende 2024 warten müssen.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Gute Kritik. Kann vieles davon unterstreichen, auch wenn ich mit der Folge weniger hart ins Gericht gehe als etwa mit “Der Schlächter von J`Gal”. Allerdings ist die kreative Entscheidung, aus den Gorn quasi einen Alien-Verschnitt zu machen, bislang mehr als billig. Vielleicht ist das aber auch Teil eines dramaturgischen Aufbaus, der Spezies erst nach und nach Tiefe zu verleihen. Wenn das der Fall ist, dann kann es sich noch als gut konstruiertes Storyelement beweisen, selbst die Zuseher mit einem sehr stereotypen Feindbild zu konfrontieren. Aber ja, SNW leidet auch an der Oberflächlichkeit seiner Geschichten. In vielerleih Hinsicht ist NuTrek zu… Weiterlesen »
Nun wir wissen ja in 120 Jahren bewegen sich Gorn friedlich neben allen anderen Spezies (Siehe Lower Decks) 🙂
Also muss es eine Entwicklung gegeben haben…
Vieles was Alex schreibt, ist absolut zutreffend. Nur bin ich etwas skeptisch, wie aus einem so bewusst generischen 08/15-Hollywood-Produkt noch eine Sci-Fi-Show mit ganz eigenem Charakter werden soll. Das ist ein reines Pop-Produkt ohne eigenen Markenkern, oft sehr oberflächlich und belanglos in seinen Aussagen. TOS war seinerzeit Lichtjahre weiter. Den direkten Niveau-Vergleich verliert SNW bei weitem. Nein, SNW ist kein TOS 2.0, das ist Irreführung. Am Anfang von Staffel 1 bestand Potenzial, ja, aber das ist wieder mal verflogen. Persönlich kann ich eine Figur wie Pike kaum noch ernst nehmen. Ich sehe ihn überhaupt nicht als konkurrenzfähig zu den alten… Weiterlesen »
Wow! Eine grandiose Kritik, die ich voll unterschreibe! Mir ist die Serie auch zu arm an Niveau, AUFKLÄRUNG… und der Message, dass man manchmal das Undenkbare wagen sollte, dass es sich lohnt, nach Lösungen im Sinne aller zu suchen. TNG aber teils auch TOS strahlten das aus. Es ist jedoch im neuen Trek verloren gegangen. Und jetzt fügen sich alle nur noch in ein vermeintliches Schicksal als es bewusst zu gestalten.
Ja ich fand auch die Kolonie sehr unpassend umgesetzt. Alles weitere wird Season 3 zeigen, denn es kann nicht nur Eine Folge “Gorn to be wild” nach der anderen geben. Eine Entwicklung/Kommunikation als nächsten Schritt bitte.
Vielen Dank für die Kritik. Liegt genau auf der Linie meiner Erwartungen. Sie können vieles anreißen, aber wirkliche Substanz abliefern, fällt ihnen zumeist schwer. Schade. Insgesamt hat mit Season 2 nicht wirklich abgeholt. Das Meiste geht unter in absolutem Mainstream-Sci-Fi.