In Folge 8 muss sich Dr. M’Benga seinem Kriegstrauma stellen. Lest hier unsere dritte SPOILER-Rezension.
Raktajino für einen Kriegsverbrecher
Die Enterprise soll Föderationsbotschafter Dak’Rah (Robert Wisdom) zur Sternenbasis 12 bringen. Das sorgt unter den Kriegsveteranen an Bord für Bitterkeit, denn Dak‘Rah war im Krieg ein klingonischer General, der furchtbare Kriegsverbrechen begangen haben soll und seither als “Schlächter von J’Gal” bekannt ist. Nach seinem Überlaufen zur Föderation machte er sich allerdings auch als erfolgreicher Friedensvermittler einen Namen.
So ambivalent Dak’Rahs Vita auch ist, so eindeutig lautet die Order der Sternenflotte: Captain Pike (Anson Mount) und seine Crew sollen ihm die Ehre erweisen, denn der geläuterte Ex-General könnte der Schlüssel zu einem dauerhaften Frieden mit den Klingonen sein, so die Hoffnung der Föderation. Während sich bei Dr. M‘Benga (Babs Olusanmokun) und Nurse Chapel (Jess Bush), seinerzeit gemeinsam auf J‘Gal stationiert, traumatische Kriegserinnerungen Bahn brechen, holen die Nicht-Veteranen das goldene Besteck heraus: Spock bereitet dem Ehrengast einen Raktajino zu und Pike lädt den Botschafter samt Führungsoffiziere zum feierlichen Dinner in sein Quartier ein. Die Enterprise-Crew ist gespaltener denn je.
Als Rah während des Dinners erfährt, dass auch Dr. M’Benga auf J‘Gal war, sucht er bewusst den Kontakt mit ihm. Aber was will der Botschafter von M’Benga: nur dessen Unterstützung im Kampf für den Frieden oder doch dessen Absolution? Als ihm M‘Benga Letzteres verweigert, eskaliert die Situation…
Sünder und Gerechter zugleich?
Nach gleich mehreren eher seichten Geschichten in den vergangenen Wochen wagt sich “Strange New Worlds“ mit dieser Folge nun endlich wieder an ein richtig großes Thema heran: Krieg und dessen Folgen. “Under the Cloak of War” (“Der Schlächter von J’Gal”) stammt aus der Feder von Davy Perez und stellt gleich mehrere Fragen in den Mittelpunkt der Handlung: Kann aus einem Sünder ein Gerechter werden? Oder anders ausgedrückt: Kann man durch das Tun guter Werke schwere Schuld ausgleichen? Und hat auch der schlimmste Verbrecher eine zweite Chance verdient – selbst von denen, die am meisten unter ihm gelitten haben?
Alle diese Fragen waren schon mehrmals Gegenstand einer “Star Trek”-Episode. Zu nennen sind hier u.a. “Kodos, der Henker” (TOS 1×12), “Star Trek VI: Das unentdeckte Land”, “Der Überläufer” (TNG 3×10), “Der Rachefeldzug” (TNG 4×12), “Der undurchschaubare Marritza” (DS9 1×19), “Dr. Jetrels Experiment” (VOY 1×14), “Inhumane Praktiken” (VOY 5×08) und “Reue” (VOY 7×13). “Under the Cloak of War” versucht aber durchaus, ganz eigene Akzente zu setzen. Und das gelingt der Episode an vielen Stellen auch, ohne dass ich mich dazu veranlasst sehe, die Folge sogleich als einen neuen ‘Klassiker’ anzupreisen.
Die jüngste SNW-Folge bietet aber mit Sicherheit den wohl ambivalentesten Gegenspieler seit langer Zeit auf. Auch wenn Dak’Rah vielleicht nicht an die charakterliche Tiefe von Admiral Jarok aus “Der Überläufer” oder an jene von Marritza heranreicht, gelingt es Robert Wisdom dennoch auf durchaus überzeugende Weise, die Widersprüchlichkeit seiner Figur glaubwürdig darzustellen. Man hat als Zuschauer – ähnlich wie M‘Benga, Chapel und Ortegas – irgendwie den Eindruck, dass der Ex-General ein falsches Spiel spielt. Dessen schonungslose Kritik an der klingonischen Kultur, sein Dauergrinsen und vor allem seine ständige Schleimerei (Weyoun lässt grüßen) verfehlen ihre Wirkung nicht.
Ein weiteres starkes Charakterelement ist dessen krankhaftes Verlangen nach Absolution. In seiner Obsession, auch von Dr. M’Benga Vergebung zu erhalten, ähnelt Dak’Rah gewissermaßen Gul Dukat, der in DS9 nach Anerkennung durch die Bajoraner gierte. Nichtsdestotrotz kann man nicht gänzlich ausschließen, dass sich der Ex-General tatsächlich vom Saulus und Paulus gewandelt haben könnte. Und gerade in diesem Fünkchen Restzweifel liegt auch die Essenz dieser Figur.
Angesichts der vielen klischeehaften und eindimensionalen Antagonisten, die “Star Trek” in den vergangenen Jahren aus dem Hut gezaubert hat, ist die Figur des Dak’Rah hier ohne jeden Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn die Prämisse dieses Charakters etwas unglaubwürdig anmutet: Dass die Föderation sich so schnell von Rahs Sinneswandel hat überzeugen lassen, würde ich der Geschichte noch abkaufen. Nicht aber, dass die Klingonen einen Überläufer aus ihren eigenen Reihen als Föderationsgesandten akzeptieren. Aus “Der Weg des Kriegers” (DS9 4×01) wissen wir nämlich, dass ein solcher Verrat mindestens mit einer Entehrung sanktioniert wird. Aber sei’s drum, sonst würde die Geschichte wohl nicht funktionieren.
Und vergib uns unsere Schuld…
Die Frage nach Schuld und Vergebung ist einer der erzählerischen Grundpfeiler dieser Episode. Die Geschichte macht deutlich, dass Vergebung eine zwingende Notwendigkeit ist, um den eigenen Heilungsprozess voranzutreiben. Sowohl für das Opfer als auch für den Täter.
“Frieden ist eine Reise. Eine Geisteshaltung”
Botschafter Dak’Rah
Dr. M’Benga kann weder sich selbst noch Rah verzeihen, wodurch er in einem Teufelskreis des (Selbst-)Hasses und des dauerhaften Gebrochenseins feststeckt. Rah wiederum scheint von dem Wunsch nach vollständiger Absolution derart getrieben zu sein, dass er nicht erkennen kann, dass man das schlimmste Unrecht nicht einfach dadurch vergessen machen kann, indem man anschließend nur noch Gutes tut.
Die Episode stellt folglich auch den Ansatz der Satisfaktion und der Resozialisierung zur kritischen Diskussion. Und lässt offen, ob wir Menschen überhaupt die Fähigkeit besitzen, vollständig vergeben zu können.
Überlebt und doch gestorben
Ein anderes zentrales Thema der Episode ist PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung), eine psychische Erkrankung, die u.a. bei Kriegsveteranen häufig in Erscheinung tritt. Dr. M‘Benga und Nurse Chapel leiden noch immer unter dem, was sie im Krieg sahen. Und vor allem unter dem, was sie in den Wirren des Krieges so alles tun mussten.
Die Rückblenden, die den Kriegsalltag im Lazarett auf J’Gal zeigen, erinnern derweil an die “Deep Space Nine”-Klassiker “Die Schlacht um Ajilon Prime” (DS9 5×04) und “Die Belagerung von AR-558” (DS9 7×08). Im Mittelpunkt stehen die praktischen und ethischen Herausforderungen, mit denen sich Feldärzte konfrontiert sehen: Versorgungsengpässe, Triage; und der krasse Widerspruch, töten zu müssen, obwohl man als Arzt doch eigentlich Leben retten will.
“J’Gal hat mich verändert.”
“Sie haben ein Monster aus mir gemacht. Ich bin der Schlächter von J’Gal.”
Dr. Joseph M’Benga
Babs Olusanmokun und Jess Bush spielen hier groß auf. Ihre beiden Figuren machen derweil deutlich, dass der Krieg für Veteranen niemals endet, selbst wenn die Kampfhandlungen schon lange eingestellt worden sind. Der Krieg tobt in der Psyche weiter und selbst diejenigen, die den Krieg physisch überlebt haben, sterben einen langsamen seelischen Tod. Die Episode lässt durchblicken, dass es für Veteranen schlicht keine Heilung geben kann. Denn im Krieg ist etwas kaputt gegangen, das sich niemals mehr vollständig reparieren lässt. Das dysfunktionale Biobett ist hierfür eine sehr schön gewählte Metapher.
“Under the Cloak of War” kann im Hinblick auf Bildgewalt, Emotionalisierung und Charaktertiefe zwar nicht mit preisgekrönten Kriegsdramen wie “Saving Private Ryan” (1998), “Band of Brothers” (2001) oder “The Pacific” (2010) Schritt halten, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt. Dass sich “Strange New Worlds” aber mal wieder an unbequeme Themen des Menschseins heranwagt und die Zuschauer zum Nachdenken anregt, ist gewiss das größte Faustpfand dieser Episode.
Das Wohl von vielen…
Die Episode etabliert in diesem Kontext einen spannenden Dualismus zwischen dem Fortschrittsoptimismus der Nicht-Veteranen (Pike, Uhura, Spock) und der Desillusion und Resignation der Kriegsveteranen (M‘Benga, Chapel, Ortegas), dessen Höhepunkt ein Gespräch zwischen M’Benga und Pike am Ende der Episode darstellt. Hier wird die Frage aufgeworfen, ob man sich Optimismus nicht auch leisten können muss. Und ob diejenigen, die eher die Sonnenseiten des Lebens gesehen haben, nicht vielleicht zu ignorant gegenüber denjenigen sind, die Furchtbares erleben mussten – auch und vor allem zum Wohle der gesamten Gesellschaft.
In diesen Zusammenhang stellt sich nämlich die Frage, ob eine gesellschaftliche Mehrheit ihre Freiheit und ihre Prosperität auf der Opferbereitschaft und dem Unglück einer Minderheit aufbauen darf. Und genau an dieser entscheidenden Stelle versagt die Folge leider ein wenig. Denn die Szenen auf J’Gal sind wieder gespickt mit deterministischem Schicksalsgefasel und heroisierenden Narrativen, die einem kollektivistischen Utilitarismus nach dem Mund reden.
Auf der einen Seite macht die Episode deutlich, welche menschlichen Abgründe sich im Krieg auftun oder dass Kriegstraumata letztendlich unheilbar sind. Auf der anderen Seite traut sich “Under the Cloak of War” aber nicht wirklich, die entsprechende unbequeme Konsequenz daraus zu ziehen: Nämlich kritisch zu hinterfragen, ob es angesichts dieses Leids dann überhaupt moralisch vertretbar ist, eine Minderheit zum Wohle einer Mehrheit einem solchen Martyrium auszusetzen. Also Menschen in einen Krieg zu schicken – auch in einen Verteidigungskrieg. Stattdessen argumentiert M‘Benga hier mit den üblichen patriotischen Narrativen, wodurch die Episode stellenweise auf das Niveau eines durchschnittlichen amerikanischen Kriegshelden-Epos absinkt. Gegengewalt und die ultimative Opferbereitschaft werden als alternativlose Szenarien beschrieben. Man macht sich nicht einmal mehr die Mühe, nach gewaltlosen Lösungsansätzen zu fragen.
“Wenn wir die Klingonen jede Kolonie im Sektor erobern lassen, hören sie nicht auf. Dann kehren sie nicht nach Qo’noS zurück. […] Doch wenn wir nicht kämpfen, verlieren wir. Dann greift die Krankheit weiter um sich. Und dann hat niemand mehr von uns eine Heimat. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Menschen, die wir lieben, die Chance haben, in Frieden zu leben. Deshalb sind wir hier.”
Dr. M’Benga zum zweifelnden Ensign Inman
Sauer aufgestoßen ist mir zudem, dass “Star Trek” hier abermals die Ansicht vertritt, dass viele Leben per se mehr wert sind als wenige oder ein einziges. So wird das Muster von Alvarado aus dem Musterpuffer gelöscht, um mehrere andere Soldaten dadurch retten zu können. M’Benga kommentiert diesen Vorgang auch noch zynisch mit der Bemerkung, man habe dadurch Leben gerettet. Auch an dieser Stelle hätte ich mir doch noch etwas mehr Reflexion und Diskussion gewünscht. Eventuell auch Widerspruch von Chapel.
“Wir bleiben Klingonen!”
Ein weiteres Manko ist die recht plumpe Darstellung der Klingonen als kriegstreibende, Zivilisten und Kinder ermordende Barbaren. Die Folge macht es sich hier sehr leicht, zwischen Gut (Föderation) und Böse (Klingonen) zu unterscheiden, wobei Grautönen nur wenig Raum gegeben wird. Jedenfalls wäre es schön gewesen, wenn Dak’Rah kleine Einblicke in die Gefühlswelt und Bedrohungswahrnehmung des Imperiums gegeben hätte, als Ortegas während des Abendessens im “Star Trek VI”-Stil auf T’Kuvmas Kriegsmotto “tlhIngan mataHjaj” (“Wir bleiben Klingonen”) zu sprechen kommt.
In einer Folge von “Discovery” (oder den “Short Treks”?) wurde jedenfalls mal erwähnt, dass sich die Klingonen durch die ständige Expansion der Föderation bedroht fühlen. Leider hat man diesen spannenden Erzählpfad später nicht mehr weiter beschritten. Hier hätte sich die perfekte Gelegenheit dafür geboten. So bleibt der Blick auf den Föderal-Klingonischen Krieg leider etwas einseitig, wodurch auch das Narrativ von der Alternativlosigkeit des Verteidigungskrieges gefestigt wird.
Recht und Gerechtigkeit
Das Episodenfinale dürfte im Fandom ähnlich kontrovers aufgenommen worden sein wie Janeways Verdikt über Tuvix oder Sevens Mord an Bjayzl. Denn es deutet einiges darauf hin, dass Dak’Rah nicht etwa unglücklich in sein D’k tahg gefallen ist, sondern dass Dr. M’Benga es ihm mit Vorsatz in die Brust gerammt hat. Und Chapel diese Tat nun deckt.
“Star Trek” entscheidet sich auch hier wieder für einen Weg, der den Advanced Human des 23. Jahrhunderts massiv dekonstruiert. Das mag realistisch sein, bestätigt aber abermals den Eindruck, dass das moderne “Star Trek” eigentlich keine echte Utopie mehr sein möchte. Gleichwohl ist es der Folge hoch anzurechnen, dass sie – ähnlich wie seinerzeit DS9 – den moralischen Zeigefinger gesenkt lässt und es stattdessen dem Zuschauer überlässt, über M’Bengas Sicht- und Handlungsweise moralisch zu urteilen.
Über allem steht die überaus schwierige Frage, wie Opfer damit leben sollen, wenn der Staat daran scheitert (oder es unterlässt), einen Täter angemessen zu bestrafen. Wenn das Recht nicht für Gerechtigkeit sorgen kann, wer tut es dann?
Jedenfalls agiert die Föderation auch hier wieder enorm utilitaristisch, ohne dabei Rücksicht auf die Empfindungen von Dak’Rahs Opfer zu nehmen. Also auf diejenigen, die für die Freiheit der Föderation den eigenen Kopf hingehalten und die eigene Moral geopfert haben. Das ist schon ein starkes Stück.
M’Benga entscheidet sich wohl auch deswegen für den Weg der Selbstjustiz, wenn auch aus einer emotionalen Extremsituation heraus. Doch der Richter wird zugleich selbst zum Verurteilten: Dak’Rahs Tod bringt ihm am Ende keine dauerhafte Erlösung, sondern nur neue Schuldgefühle. Auch das ist eine Message der Episode.
Glaubwürdiges Kriegsszenario
Etwas gestört hat mich derweil die Marvelisierung von Dr. M’Benga, der mit seiner Superdroge und seiner übertriebenen Kampfkunst hier schon wie eine Art Superheld in Sternenflottenuniform wirkt. Dass ein Mann ohne Unterstützung hinter die feindlichen Linien durchbricht und im Alleingang mehrere Warlords metzelt, ist unglaubwürdig und zieht eine ansonsten äußerst seriöse Episode leider auch ein Stück weit ins Lächerliche.
Durchweg gelungen ist wiederum die Inszenierung von Jeff W. Byrd, allen voran der beeindruckende Kriegsschauplatz auf J’Gal. Der Episode gelingt es dank des pausenlosen Phaser-Flakfeuers im Hintergrund des Lazaretts weitaus besser als in “Deep Space Nine”, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie ein futuristischer Krieg aussehen könnte. Hier hat sich der Einsatz der AR-Wall definitiv bezahlt gemacht.
Bei den Kostümen haben sich allerdings zwei Fehler eingeschlichen. Einerseits orientieren sich die Felduniformen an “Strange New Worlds” und nicht an “Discovery” und andererseits tragen die Feldärzte allesamt den Mission Patch der Enterprise auf dem Ärmel.
Davon mal abgesehen ist die Folge auf der visuellen Ebene aber mal wieder über jeden Zweifel erhaben. Die Stimmung der jeweiligen Szenen wird bestmöglich eingefangen, auch dank des erneut starken Soundtracks.
Stimme zu. Die beste Folge der Staffel für mich. Vor Allem atmosphärisch sehr stark.