Die zweite Staffel von “Strange New Worlds” wirft in ihrer Premiere unerwartet viele Bälle in die Luft. Ob sie auch sicher wieder landen, erklären wir in der spoilerfreien Kurzrezension.
Was meinen wir mit “spoilerfrei”?
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen dazu, was “spoilerfrei” bedeutet. Damit ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr die Rezension vorab lesen möchtet, machen wir hier transparent, was wir darunter verstehen:
- Wir verraten keine wichtigen und unerwarteten Wendungen der Handlung bzw. Informationen über die fiktiven Welt und ihre Figuren.
- Was im Vorfeld durch Vorschauclips und Trailer gezeigt wird, ist kein Spoiler.
- Was im Cold Open (vor dem Vorspann) bzw. im ersten Akt (bei Episoden ohne Cold Open) passiert, ist kein Spoiler.
- Handwerklichen Aspekte (Schauspiel, Drehbuch, Bühnenbild, Soundtrack, Spezialeffekte) sind keine Spoiler, sofern sie nichts Wichtiges über die Handlung verraten.
Ich habe nie so ganz den PR-Sprech geglaubt, dass “Picard” und “Discovery” in ihren Staffeln zehnstündige Filme und “Strange New Worlds” zehn einstündige Einzelabenteuer erzählen. Im Spektrum zwischen starker Serialisierung und Episodenformat wabert seit “The Next Generation” jede Live-Action-Serie mal ein wenig von der einen zur anderen Seite. Schon “Redemption” aus der vierten Staffel TNG funktionierte 1991 für das Publikum nur dann so wirklich richtig, wenn man die Storybögen von Worfs Entehrung, die Zeitreiseeskapaden rund um Tasha Yar und Datas ewigem Streben nach Menschsein auf dem Schirm hatte.
The Broken Circle
Und so muss man auch ein bisschen was im Hinterstübchen rauskramen, wenn man “The Broken Circle” verstehen will, denn es ist in vielerlei Hinsicht eine für sich genommen eher dünne Einzelfolge, die mit viel Bindegewebe in die Vergangenheit und für die Zukunft daherkommt.
Pike verlässt die Enterprise, um der verhafteten Una eine brauchbare Verteidigung zu organisieren, was das Schiff in den Händen von Spock im Raumdock zurück lässt. Als Uhura einen Notruf von La’an empfängt, bricht die übrige Crew entgegen expliziter Sternenflottenorder mit der Enterprise auf, um ihrer beurlaubten Kollegin zu helfen.
Die Autoren Henry Alonso Myers & Akiva Goldsman sind ein bisschen mutig, ihre beiden Hauptdarsteller:innen Anson Mount und Rebecca Romijn nach zwei kurzen Eröffnungsszenen vom Brett zu nehmen, und sich auf den Rest des Ensembles zu konzentrieren. Eine schöne kreative Entscheidung.
Weniger gelungen ist der formelhafte Rest von “The Broken Circle”, deren Beats man als alter Trekkie im Schlaf runterbeten kann. Spannend ist dabei nie der Plot, sondern immer nur die Frage, wie weit sich “Strange New Worlds” traut, sich im Detail von ausgetretenen Pfaden zu lösen.
Ansonsten holpert das Pacing der Episode, die Antagonisten sind anonym und austauschbar, und zwar reißt die Folge oberflächlich ein paar potentiell interessante Themen an, gefällt sich aber primär als weitgehend vorhersehbares und launiges Mantel-und-Degen-Abenteuer.
Charaktere
Im Writer’s Room entschiedet man sich offenbar dafür, sich ein Maximum an Beinfreiheit gegenüber dem etablierten Kanon bei der Entwicklung der Hauptfiguren zu nehmen, vor allen Dingen Christine Chapel und Spock. Nachdem die erste Staffel bereits alle Bewegungsspielräume ausgeschöpft hatte, die innerhalb der bekannten Kanongrenzen möglich waren, ist dies ein notwendiger Schritt, wenn die Figuren nicht auserzählt sein sollen – ein Problem auf das ich letztes Jahr explizit hingewiesen hatte. Aber es wird sicherlich viele Fans geben, die sich berechtigterweise fragen, warum man bei dieser Serie wieder das Konzept eines Prequels verfolgt hat (Antwort: Spock = Umsatz), wenn man nicht bereit ist, in den dadurch gegebenen Grenzen Geschichten und Charaktere zu erzählen.
Bei der Abwägung zwischen einer stagnierenden, aber kanontreuen Erzählung einerseits und potentiell besseren Geschichten, die nicht nahtlos an “The Original Series” anschließen andererseits, entscheide ich mich persönlich lieber für das zweite Übel, aber ich verstehe alle Fans, die das anders sehen.
Als Highlight erweist sich indes Carol Kane als Pelia, die in dieser Episode ihren ersten Auftritt hat, und sich der Crew als Chefingenieurin anschließen wird. Ich freue mich darauf, mehr über die Figur zu erfahren, die dem ersten Auftritt zu urteilen irgendwo zwischen Guinan und Odo angelegt zu sein scheint.
Inszenierung
“Strange New Worlds” bleibt auch in diesem Staffelauftakt die bestaussehendste der modernen “Star Trek”-Serien. Regisseur Chris Fisher inszeniert einige aufwändige Effekteinstellungen und überraschend viele Kampfchoreographien. Die meiste Zeit ist das sehr angenehm anzuschauen, aber in einer Szene macht die Kamera eine scheinbar unmotivierte 360°-Rolle, bei der ich mich frage, wozu mein Frühstück gerade Achterbahn fahren muss.
Die visuellen Effekte sind indes wie immer über jeden Zweifel erhaben. Als Bonus zu dem sehr sehenswerten und kinoreifen Spektakel in “The Broken Circle” spendiert die Episode der Staffel direkt ein paar neue Einstellungen für den nach wie vor spektakulären Vorspann.
Beim Set-Design verlässt man sich verständlicherweise viel auf die LED-Wände. Im Gegensatz zu den ersten Gehversuchen bei “Discovery” klappt das inzwischen absolut einwandfrei und nahtlos, aber noch immer kann man den Einsatz daran erkennen, dass die physischen Teile der Sets offensichtlich wie kleine Inseln in einem großen weiten Nichts angelegt sind.
Ein kleiner Kanon-Unfall hat sich in Set-Design und visuelle Effekte eingeschlichen: Das Drehbuch sah wohl vor, Teile der Episode auf einem Schwesterschiff der Discovery zu drehen, weshalb von einem Crossfield-Klasseraumschiff die Rede ist. Aber weder das Raumschiffmodell noch die Sets passen dazu. Wahrscheinlich waren die Sets von “Discovery” für die Dreharbeiten nicht verfügbar, weshalb man wieder auf Spielorte der Enterprise ausweichen musste. Aber jemand hat wohl vergessen, das Wort “Crossfield-Klasse” im Drehbuch zu ändern. Memory Alpha wird es freuen.
Update: Da habe ich einen groben Schnitzer begangen und Unsinn behauptet. Es handelt sich bei den Kulissen des Syndikats-Raumschiffes sehr wohl um umdekorierte “Discovery”-Sets, nicht die Korridore der Enterprise. Umso unverständlicher, dass das CGI-Modell stark von der Discovery abweicht.
Mit Rücksicht auf die Leser:innen, die die Episoden noch nicht gesehen haben, bitten wir in den Kommentaren zu diesem Beitrag auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Ich persöhnlich halte die Entwicklung zwischen Spock und Chapel noch gar nicht für einen Kanonbruch – schon in der ersten Staffel sahen wir einen Spock, der noch stark von seiner menschlichen Seite geprägt war – sehr deutlich wurde das in Folge 9. Es wirkt für mich so, als ob die Autoren eine Art tragische Lovestory kreieren wollen. Vielleicht kommt es wirklich zu einer Beziehung (wobei dann die Frage wäre wie mit T’Pring umgegangen wird – aber gut, Stonn ist ja schon mit von der Partie) – wie auch immer, irgendwann wird sich dann Spock entscheiden, seiner vulkanischen Seite den vollen… Weiterlesen »
Mich stört an dieser Folge am meisten, dass der zu dieser Zeit noch recht unerfahrene und junge Spock sich so leichtfertig über Sternenflottenvorschriften (inklusive Blutweinorgien) hinwegsetzt, was bei TOS einen langen Reifungsprozess voraussetzte (Talos IV) und eigentlich Kirk vorbehalten war. Etwas unglaubwürdig. Folge aber insgesamt Recht unterhaltsam und spannend..
Habe ich irgendwie die Info verpasst, das neue Folgen nun direkt am Donnerstag erscheinen?
Heimlich in einem Nachwort erwähnt.
Dazu sage ich mal jetzt nichts. Es ist ja schon klasse das zeitgleich (oder sogar noch Stunden vor US-Release?) veröffentlicht wird.
Hmm, sehr gemischter Auftakt zur 2. Staffel. An der Handlung könnte man jetzt eh nicht viel spoilern. Kritik bringe ich jetzt mal am Design an. Das ist mir immer noch zu sehr an DISC orientiert und passt einfach nicht in die Zeit. Bei PIC oder Lower Decks hat man den Design-Anschluss ans 24 Jahrhundert geschafft, bei STN noch nicht ganz.