Handlung
Jurati (Alison Pill) ist gemeinsam mit Adam Soong (Brent Spiner) und einer Gruppe von borgifizierten Soldaten der “Spearhead Operations” zur La Sirena gebeamt, um die Kontrolle über das Schiff zu erlangen und anschließend die “Europa-Mission” zu sabotieren. Während Soong eine glorreiche persönliche Zukunft anstrebt, plant die Borg-Königin (Annie Wersching), das Kollektiv auf die bevorstehende Bedrohung durch die Konföderation vorzubereiten.
Picard (Patrick Stewart) und Tallinn (Orla Brady) verstecken sich im Château vor den angreifenden Soldaten. Hierbei durchlebt Picard erneut alte Kindheitserinnerungen aus der Zeit, als sich seine Mutter Yvette (Madeline Wise) das Leben nahm.
Seven (Jeri Ryan), Raffi (Michelle Hurd) und eine holografische Version von Elnor (Evan Evagora) gehen derweil zum Gegenangriff über. Bei diesem Unterfangen wird Seven lebensgefährlich verletzt.
In Juratis Bewusstsein tobt noch immer der Kampf zwischen Agnes und der Queen. Obwohl es anfänglich nicht danach aussieht, gewinnt Agnes mehr und mehr die Kontrolle zurück. Das führt sogar dazu, dass die Borg-Königin Sevens Leben verschont.
Mit Rios’ (Santiago Cabrera) Hilfe gelingt es schließlich, die Angreifer zu besiegen, sodass Soong die Flucht ergreift.
Nun muss sich zeigen, ob die alte Zeitlinie wiederhergestellt werden kann…
Drehbuch & Inszenierung
Story und Drehbuch zu “Hide and Seek” sind das Gemeinschaftswerk von Matthew Okumura & Christopher B. Derrick. Derrick schreibt nicht nur Drehbücher, sondern ist darüber hinaus auch als Produzent und Regisseur tätig, wobei seine Referenzen in Hollywood bisher noch recht überschaubar sind. Sein Co-Autor Matt Okumura hat da schon etwas mehr Erfahrung vorzuweisen, sowohl als Autor (u.a. “Leverage: Redemption”) als auch als Produzent (u.a. “Into the Badlands”). Okumura schreibt also hauptsächlich für Action/Adventure-Drama-Serien und diese Stilrichtung spiegelt sich dementsprechend auch in “Hide and Seek” wider.
Regie führte Michael Weaver, die Folge war seine erste Arbeit für “Star Trek”. Weaver kann mit Fug und Recht als ein Tausendsassa der Filmbranche bezeichnet werden, seine Vita auf IMDb ist beeindruckend. In seiner über 30-jährigen Karriere hat er schon als Kameramann, Sound- und Effektspezialist, Produzent und Regisseur gearbeitet. Allerdings schlägt sich diese große Erfahrung des Regisseurs in “Hide and Seek” nur bedingt nieder.
In Sachen Erzähltempo und Erzählstringenz hat mir die Folge deutlich besser gefallen als die doch sehr zähen Episoden 7 und 8. Auf der visuellen Ebene kommt die Episode aber leider über eine “Bottle Show” nicht hinaus, die Szenen finden ausschließlich im Château Picard, auf der La Sirena und in Tallinns Wohnung statt. Auch die visuellen Effekte waren in “Picard” schon einmal besser, so mein Eindruck. Nach meinem Dafürhalten ist auch das weitestgehend dunkle Setting der Episode unvorteilhaft ausgeleuchtet. Stellenweise hatte ich Probleme, Einzelheiten zu erkennen.
Inhaltlich enthält auch dieses Drehbuch wieder einige Plot Holes und unterkomplexe Lösungsansätze, wirkt aber dennoch etwas stringenter und fokussierter als die jüngsten Bücher von Jane Maggs und Cindy Appel. Die beiden Haupthandlungsstränge – das aktuelle Geschehen auf dem Château sowie Picards Flashbacks – sind zwar fließend miteinander verwoben, das führt aber teilweise zu skurrilen Situationen. Auf der einen Seite sind die Kindheits-Flashbacks, die man im Hintergrund von Picard sieht, durchaus originell inszeniert. Auf der anderen Seite wirkt es schon extrem unglaubwürdig, dass Picard mitten in einem Schusswechsel so völlig den Fokus verliert und in einen Tagtraum abgleitet. Das müsste an dieser Stelle eigentlich tödlich enden.
Auch in Bezug auf die die Dialoge gibt es wieder mal Licht und Schatten. Der in meinen Augen dunkelste Fleck der Episode ist aber die über weite Strecken fehlende humanistische Färbung des Gezeigten. Wie leider in “Nu Trek” üblich, stehen auch in “Hide and Seek” Reden und Tun in einem krassen Widerspruch. Denn während in den Dialogen zwischen Jurati und der Borg-Königin viel von “Erbarmen”, “Menschlichkeit” und “Leben retten” die Rede ist, handeln unsere Helden leider mal wieder völlig konträr zu diesem Credo. Da werden die Spearhead-Soldaten erbarmungslos abgestochen oder in die Mauer gebeamt. Man macht sich gar nicht mehr die Mühe, nicht-letale Wege zu suchen, um die Angreifer unschädlich zu machen. Zu Zeiten von “The Next Generation” hätten Seven und Raffi eben nicht gemeinsam die Klinge in den Körper des Soldaten gedrückt, sondern ihn stattdessen mit einem vulkanischen Nervengriff ausgeschaltet. Und Seven hätte die Soldaten auch nicht in die Wand gebeamt, sondern einfach nur weit, weit weg.
Ich bin nicht naiv, ich mache mir nichts vor: Auch “Star Trek” muss – und das zu meinem großen Bedauern – den Gesetzen des Marktes folgen. Die heutige Gesellschaft hat leider ein weitaus weniger distanziertes Verhältnis zu Gewaltdarstellungen als das noch in den 90ern der Fall war. Auch Eskapismus ist offensichtlich nicht mehr gefragt. Welche Action-, Fantasy- oder Science-Fiction-Serie kommt denn heutzutage noch ohne rabiate Gewaltdarstellungen aus?
Es macht mich aber einfach nur wütend, wenn man das Publikum für dumm verkaufen will. Den Autoren ist nämlich durchaus bewusst, dass das, was sie schreiben, nicht mehr das ist, was einst den Kern von “Star Trek” ausmachte. Also versuchen sie es mit einem billigen Trick: Die Burnhams und Picards (oder hier eben: Jurati) halten pathetische Monologe, in denen sie die Überlegenheit einer humanistischen Ethik anpreisen, damit auch “Nu Trek” von sich behaupten kann: “Seht her, liebe Alt-Trekkies! Wir sind so humanistisch wie die alten Serien.” Doch dies ist nur eine Finte, denn am Ende zählt das Handeln und nicht das Lippenbekenntnis. Und das Handeln spricht in “Nu Trek” zumeist eine eindeutige Sprache: Letale Gewalt ist notwendig. Letale Gewalt ist legitim. Letale Gewalt sieht cooler aus als Betäubungsschüsse oder vulkanische Nackengriffe.
Und bevor jetzt der Einwand kommt: “Aber in “Deep Space Nine….”. Ja, in “DS9” wurde vor allem in den letzten beiden Staffeln auch tödliche Gewalt anwendet, aber das wurde auch immer reflektiert und hat unsere Helden stets belastet. Exemplarisch sind hier “Rocks and Shoals” (DS9 6×02) und “The Siege of AR-558” (DS9 7×08) zu nennen. Bei Seven, Raffi und Co. kann ich leider keine aufrichtigen Skrupel erkennen. Und das stimmt mich sehr nachdenklich.
Kanon
Auch hinsichtlich des etablierten Kanons nimmt sich “Hide and Seek” wieder so einige Freiheiten heraus. Der frühe Tod von Picards Mutter Yvette kann hierbei sicherlich noch unter “Soft Retcon” verbucht werden. Einige andere Story-Elemente widersprechen aber nicht nur jahrzehntelang hochgehaltenen “Star Trek”-Prämissen, sondern sogar dem in dieser Serie Erzählten.
Ich bin immer wieder fassungslos darüber, dass der Writer’s Room sein eigenes Serien-Lore nicht kennt. So wissen die beiden Autoren von Folge 18 scheinbar nicht, was in Folge 5 (“Stardust City Rag”) erzählt wurde. Folglich dichtet man der Sternenflotte hier eine tiefsitzende Borg-Phobie an, was dazu geführt haben soll, dass Seven seinerzeit nicht in die Sternenflotte aufgenommen wurde. Dumm nur, dass Icheb – ebenfalls ein xB – in besagter Episode aus der 1. Staffel ganz eindeutig eine Sternenflottenuniform trug.
Überhaupt ist das Narrativ, die Sternenflotte sei nach dem Dominion-Krieg zu einer exklusiven, xenophoben Organisation geworden, mehr als unglaubwürdig. Man erweckt hier den Eindruck, als seien innerhalb der Admiralität von Starfleet Menschen wie Norah Satie (TNG 4×21 “The Drumhead) nicht der Ausnahme-, sondern der Regelfall. Auch die am Ende von “Star Trek: Nemesis” angedeuteten Friedensverhandlungen zwischen der Föderation und den Romulanern standen von Anfang an im Widerspruch zum dem, was uns “Picard”-über die Sternenflotte des ausgehenden 24. Jahrhunderts einreden möchte.
Hinsichtlich der Borg ist mir der Begriff “Entmystifizierung” fast schon zu harmlos. “Picard” hat die Borg schlichtweg dekonstruiert, regelrecht lächerlich gemacht. “Nu Trek” schafft es immer wieder, die kluge Gesellschaftskritik von “Old Trek” in ein stupides, austauschbares Nullachtfünfzehn-Story-Element zu verwandeln, das ausschließlich dem Zwecke dient, Action zu generieren und den Bedarf nach simpler Popcorn-Kino-Unterhaltung zu befriedigen.
Wer geglaubt hat, dass unter Showrunner Terry Matalas, einem Trek-Veteranen, alles besser wird, der ist nun endgültig auf die Nase gefallen – auch ich. Easter Egges wie die NX-01 Refit oder andere Nostalgie-Ansätze können nicht kaschieren, dass die Autoren von “Picard” weder dezidierte Kanon-Kenntnisse haben noch sich diesem in besonderer Weise verbunden fühlen. Eigentlich agieren sie diesbezüglich wie die Borg: Was nützlich ist, wird assimiliert. Und der Rest wird einfach eliminiert.
Figuren & Dramaturgie
Raffi, Seven und Rios
Raffi, Rios und Seven laufen auch in dieser Folge weiterhin auf Sparflamme, wobei wir endlich mal etwas Neues aus Sevens Post-Voyager-Ära erfahren. Doch bitte nicht zu früh freuen, denn im Grunde genommen ist es auch dieses Mal wieder das ewiggleiche Gesäusel: Sevens Borg-Vergangenheit macht sie zum ewigen Außenseiter, lässt ihre Lebensträume platzen und führt zu einer inneren Selbstablehnung. Von der optimistischen Zukunftsversion vergangener “Star Trek”-Zeiten ist demnach nichts mehr übrig geblieben, weil die Föderation ihre Werte zumindest zeitweise komplett aufgegeben hat.
Die Charaktere von “Picard” haben also mehr oder minder dieselben Probleme wie wir Menschen im 21. Jahrhundert. Wer braucht schon Utopie? Und das muss auch so sein, denn sonst funktioniert der fragwürdige Drama-Ansatz von “Picard” eben nicht. Also “make it so”, lasst uns fleißig Roddenberrys Utopie dekonstruieren.
Auch bei Raffi gibt’s nichts Neues. Sie hängt weiterhin in ihrer Depri-Dauerschleife fest und Elnors ‘Wiederauferstehung’ führt dann zu einer weiteren, herbeikonstruierten Drama-Szene, die man in ähnlicher Form schon x-mal in “Picard” oder “Discovery” gesehen hat. Auf Cryham folgt nun Weepy-Raffi. Wie gesagt, ich finde das einfach nur noch ermüdend. Wenn man kein cooles Science-Fiction schreiben kann, dann muss man eben immer und immer wieder die emotionale Schiene fahren.
Und Rios? Der muss sich zwischen Liebe und Pflicht entscheiden und wählt am Ende (wohl) Letzteres. Wow, wie unfassbar originell!
Holo-Elnor
Nach Golem-Picard darf nun auch Elnor als Künstliche Intelligenz wieder auferstehen. Auch diese photonische Auferweckung reduziert die Person Elnors abermals auf dessen Gedächtnisengramme, die mal schnell vor dem Eintreten des biologischen Todes in eine Holomatrix transferiert wurden. “Komplett identisches neurales Substrat” und so, die Allzweckwunderwaffe der “Picard”-Autoren.
Mir stellt sich da mittlerweile schon die Frage, ob im Writer’s Room mehrheitlich überzeugte Trans- und Posthumanisten sitzen. Ich habe nämlich schon den Eindruck, dass uns “Picard” fortlaufend einzureden versucht, wie segensreich es doch wäre, wenn wir künftig unser “ach so defizitäres” Mensch-Sein hinter uns lassen könnten. Weil es sich als Androide oder Hologramm einfach besser lebt, so ganz ohne genetischen Defekte, Krankheiten und andere Gefahren für die körperliche Existenz.
Es ist schon erschreckend, in welcher Regelmäßigkeit “Nu Trek” den Tod bagatellisiert, nur um billige WTF-Momente kreieren zu können. In diesen beiden Serien hat er Tod eigentlich fast nie dauerhafte Konsequenzen, ständig kommt es zu irgendwelchen ‘Wiederauferstehungen’ – in welcher Form auch immer.
Zudem ist Elnor der wohl eindimensionalste Stammcharakter, den es in fünfeinhalb Jahrzehnten “Star Trek” je gegeben hat. Wie platt kann man eine Figur eigentlich schreiben?! Mehr fällt mir dazu einfach nicht mehr ein, da bin ich schlicht sprachlos. Kaum zu glauben, dass er das Werk professioneller Autoren sein soll.
Jurati & Borg Queen
Der Story-Arc um Jurati und die Borg-Königin war anfangs noch spannend, aber seit einigen Folgen ist auch dieser leider total in sich zusammengefallen. Nach der “Number Six”-Konstellation in “Two of One” und der Terminator T-X-Kopie in “Mercy” bekommen wir nun eine (vorläufige) Auflösung präsentiert, die dem Fass den Boden ausschlägt. Wieder ist es ein pathetischer Schwall gespickt mit küchenpsychologischen Phrasen, der die Wende zum Guten bringt. Es ist einfach nur noch lächerlich, was “Nu Trek” – und insbesondere “Picard” – uns hier vorsetzt. Schon die wundersame Wandlung von Agent Wells in der letzten Folge war total unglaubwürdig, aber das hier ist wirklich die Spitze des Eisbergs.
Was will man uns hier eigentlich suggerieren? Dass die Borg demnächst auf Freiwilligkeit setzen? Dass sie aber trotzdem keine Angst vor einem Untergang ihrer Kultur haben müssen, weil Kollektivismus und Transhumanismus ja so supergeil sind, und man ihnen deshalb auch in Zukunft die Bude einrennen wird? Ein Okularimplantat hier, ein Kortikalknoten dort…wer hat noch nicht, wer will nochmal?
Die Borg sind tot, Widerstand ist zwecklos! Schon “Voyager” hatte sie getötet, aber “Picard” hat sie nun endgültig zu Grabe getragen. Ich hoffe inständig, dass wir nach dem Ende dieser Staffel nie mehr was von den Borg sehen und hören werden in “Star Trek”!
Podcast zu “Star Trek: Picard” – Staffel 2
Am 09.05.2022 zeichnen wir gemeinsam mit dem Discovery Panel einen Podcast auf, in welchem wir die zweite Staffel von “Picard” noch einmal Revue passieren lassen. Hinterlasst uns gerne in den Kommentaren Themen, Fragen oder Meinungen, die Sebastian, Andreas, Tom, Matthias und Christopher diskutieren sollen.
Wir freuen uns auf euren Input!
Adam Soong
Wahrscheinlich noch platter als der Borg Queen-Twist ist die Figur des Adam Soong inklusive “Spearhead”-Soldaten. Was hätte man hier nicht für eine coole Story erzählen können, beispielsweise über Für und Wider der Eugenik. Oder über eine zeitgemäße Wissenschaftsethik angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das Feld war bestellt, aber es bleibt dabei: Die gegenwärtigen Trek-Autoren sind einfach zu faul (oder auch intellektuell überfordert?), um eine tiefgreifende Geschichte zu erzählen.
Soong und Konsorten sind jedenfalls nur generische Mainstream-Action und die Reproduktion von jahrzehntealten Hollywood-Stereotypen. Denn über das Abziehbild eines Bösewichtes kommt dieser Antagonist einfach nicht hinaus. Auch das ist ein wiederkehrendes Merkmal von “Nu Trek”. Man kann einfach keine vielschichtigen Gegenspieler mehr schreiben.
Und auch die borgifizierten Elite-Soldaten sind nichts weiter als eine plumpe “Star Trek”-Version dessen, was jede x-beliebe Action- oder SciFi-Produktion seit Jahren und Jahrzehnten aufbietet. Von der Borg-Assimilation merkt man eigentlich nichts, aber es waren ja auch defizitäre Nanosonden. Besser nicht drüber nachdenken, Hauptsache die Pseudo-Borg wirken gefährlich und gruselig. Naja, wer’s kauft…
Brent Spiner hätte gewiss eine andere Rolle verdient gehabt, zumal Adam Soong nicht einmal an Lores Bösartigkeit heranreicht. Der gesamte Story-Arc ist flacher als die Niederlande und so unfassbar generisch, dass man sich ernsthaft fragen muss, warum sich Spiner und Stewart für so einen Müll überhaupt hergeben. Werden sie so gut bezahlt, dass sie das einfach so schlucken? Beide müssen doch auch merken, dass das nicht ansatzweise an das erzählerische und intellektuelle Niveau von “The Next Generation” herankommt.
Picard
Das geringste Übel der Episode ist tatsächlich der Handlungsstrang um Picards Kindheit und den tragischen Selbstmord seiner Mutter. Dieser ist wiederum ein weicher Retcon, denn Picards Begegnung mit einer älteren Version seiner Mutter (TNG 1×05 “Where No One Has Gone Before”) war bekanntlich das Produkt seiner Phantasie. Damit kann ich leben.
Unproblematisch ist der Story-Arc aber trotzdem nicht. Es ist zumindest fragwürdig, warum Yvettes Selbstmord bisher nie zur Sprache gekommen ist, nicht einmal in “Family” (TNG 4×02). Und warum braucht Picard gut 85 Jahre und ein “Versteckspiel” auf dem Château, um sich dieser Katharsis zu stellen? Und das dann auch noch inmitten einer Gefahrensituation. Nur weil ihn der Keller des Château getriggert hat?
Zudem bringe ich diese Geschichte irgendwie nicht mit dem zusammen, wie “The Next Generation” sowohl den jugendlichen Jean-Luc als auch den alten Maurice charakterisiert hat. Sowohl Picard als auch sein Bruder Robert beschrieben Maurice in “Family” als einen sehr strengen, traditionsbewussten Mann. Aber so, wie James Callis Maurice in “Hide and Seek” darstellt, wirkt eine Wandlung vom verständnisvollen und fürsorglichen Ehemann und Vater hin zum autoritären Familienpatriarchen zunächst einmal unglaubwürdig. Die einzig nachvollziehbare Erklärung wäre für mich, dass Maurice seinen Sohn Jean-Luc für den Tod seiner Frau verantwortlich machte und dies das Verhältnis beider nachhaltig belastet hat. Also müsste hier eigentlich noch etwas nachgeschoben werden in “Farewell” (2×10).
Insgesamt betrachtet, ist dieser Story-Arc durchaus bewegend, hat in meinen Augen aber auch keinen außerordentlichen Mehrwert für die Figurenzeichnung Picards. Das liegt zum einen daran, dass ich den Charakter Jean-Luc Picard jetzt auch nicht besser “verstehe” als vorher. Zum anderen bin ich bei der Ankündigung der Serie “Star Trek: Picard” eigentlich davon ausgegangen, dass man uns die Gegenwart von Picard zeigt. Die Galaxis des beginnenden 25. Jahrhunderts hätte hier sicherlich so einiges Erzählenswertes zu bieten gehabt. Stattdessen zeigt man uns hier eine Episode aus Picards Vergangenheit, die mich eigentlich nicht besonders interessiert. Da wären seine Jahre auf der Akademie oder auf der Stargazer interessanter gewesen.
Gesellschaftskommentar
“Star Trek” war eigentlich immer dafür bekannt, uns eine Zukunft zu zeigen, in der es der Menschheit gelungen ist, die Probleme unserer Gegenwart zu beseitigen und einen humaneren Umgang miteinander zu finden. Geschlecht, Herkunft, körperliche Beeinträchtigungen, Krankheiten – all das waren keine Hinderungsgründe für gesellschaftliche Teilhabe mehr.
“Nu Trek” geht hier bedauerlicherweise einen anderen Weg. Das 24. Jahrhundert, das uns “Picard” zeigt, ist nur noch ein Schatten dessen, für was es in “The Next Generation” stand. Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile sind hier keine Ausnahmeerscheinungen mehr, sondern der Regelfall. Und auch Medizin und Psychotherapie sind scheinbar auf den Stand des 20. Jahrhunderts zurückgefallen und scheitern an der Aufgabe, psychisch kranken Menschen zu helfen. Soll uns das Hoffnung für die Zukunft machen? Mir fehlt an dieser Stelle der Utopismus, die positive Zukunftsperspektive.
Auch viele andere humanistische Grundwerte sind in “Picard” scheinbar obsolet geworden. Das Töten von Menschen ruft bei Picard, Seven und Raffi offensichtlich keine großartigen moralischen Bedenken mehr hervor.
Auch die Anthropologie dieser Serie lässt mich ratlos zurück: Der Mensch ist keine Besonderheit mehr und der Tod ist nur noch eine Lappalie. Man sucht den Sinn des Lebens nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern strebt stattdessen posthumane Daseinsweisen an, etwa als Bio-Androide ohne Krankheiten oder als praktisch unzerstörbares Hologramm.
Wenn man aus “Hide and Seek” wenigstens eine positive Botschaft herauslesen kann, dann die, dass man niemals aufgeben sollte, die “Bösen” zur Umkehr aufzurufen. Wie die Episode das allerdings macht, ist durch und durch unglaubwürdig.
Offene Fragen
“Farewell” (dt. “Abschied”) lautet der Titel der zehnten und letzten Episode der zweiten Staffel. Angesichts der Tatsache, dass “Hide and Seek” es versäumt hat, Ordnung in das Chaos der verschiedenen Handlungsstränge zu bringen, müssen wir uns wohl auf ein wirres und inhaltlich überladenes Staffelfinale einstellen.
Wie so oft in “Nu Trek” greift auch “Hide and Seek” wieder in bequemer Weise auf simple Ad-Hoc-Lösungen zurück, die im Plausibilitätstest gnadenlos durchfallen. Die Episode vermag es nicht, das Zeitparadox, das Agieren der Borg-Königin, Picards Kindheit, Soongs historische Rolle sowie Qs Funktion in dem ganzen Tohuwabohu zu verzahnen und den Staffel-Arc somit konsistent weiterzuerzählen. Diese Staffel hat eine gänzlich andere Richtung genommen, als ich nach Folge 1 erwartet und gehofft hatte. Ich muss gestehen, dass ich noch immer keinen Plan habe, was die Autoren eigentlich erzählen wollen. Entweder die Auflösung ist genial oder sie wird der totale Reinfall. Ich befürchte Letzteres. In meinen Augen hat diese Serie weiterhin ein ernsthaftes Identitäts- und Autorenproblem.
Folgende Handlungsfäden bleiben weiterhin offen:
- Was bringt Renée Picard von der “Europa Mission” zurück, das den Lauf der Geschichte positiv verändert?
- Warum wird Soong in der alternativen Zeitlinie zum “Vater der Menschheit”?
- Welche Rolle spielt Kore?
- Wer wird die neue Borg-Königin: Jurati oder doch vielleicht Renée (Indiz: Picard hat ihr in “Two of One” das Zitat seiner Mutter erzählt)?
- Wird die ursprüngliche Zeitlinie wiederhergestellt oder entsteht eine dritte?
- Stirbt Q oder wird er überleben?
- Was ist die Motivation von Q und inwieweit ist er in die Geschehnisse involviert?
- Bleibt Elnor tot oder bringt ihn die Veränderung der Zeitlinie zurück ins Leben?
Eine sehr gelungene Rezension, die über lange Passagen hinweg genau das schildert, was ich über diese missglückte Serie denke. Die folgenden beiden Passagen sind absolut treffend: “Hinsichtlich der Borg ist mir der Begriff “Entmystifizierung” fast schon zu harmlos. “Picard” hat die Borg schlichtweg dekonstruiert, regelrecht lächerlich gemacht. “Nu Trek” schafft es immer wieder, die kluge Gesellschaftskritik von “Old Trek” in ein stupides, austauschbares Nullachtfünfzehn-Story-Element zu verwandeln, das ausschließlich dem Zwecke dient, Action zu generieren und den Bedarf nach simpler Popcorn-Kino-Unterhaltung zu befriedigen. Wer geglaubt hat, dass unter Showrunner Terry Matalas, einem Trek-Veteranen, alles besser wird, der ist nun endgültig auf… Weiterlesen »
Spannend, einer Folge von Picard etwas vorzuwerfen. Was längst passiert ist. Renee Picard findet leben was die Sicht der Menschen verändert ein quasie vor erster Kontakt. Naja und Q ist auch Gast in Staffel 3. Wenn Staffel 2 mit nem offenen Ende in die Pause geht, springt der Autor dieser schwachen Zusammenfassung aus dem Fenster?
Hallo Captain.Hunt,
danke für deinen Kommentar. Vielleicht könntest du den ersten Satz noch etwas genauer erläutern. Terry Matalas hat übrigens auf Twitter bestätigt, dass Season 2 in sich abgeschlossen sein wird.
LLAP Matthias (TZN-Redaktion)
Sehr gute Rezension. Sie spiegelt meinen Ärger über diesen Müll wider. Ich staune nur über die Wertung von 1,5. Dem Inhalt der Rezi nach dürfte es maximal eine 0,5 sein (für mich sogar 0 – in Worten NULL Punke).
Hallo Kira,
danke für deine Rückmeldung. Die Gesamtwertung wird automatisch aus den verschiedenen Einzelkriterien berechnet. Tatsächlich wollte ich zuerst deutlich weniger Punkte vergeben, aber die Story um Picards Mutter war einigermaßen bewegend und hier möchte ich zumindest den guten Willen honorieren, das Thema „Depressionen“ anzuschneiden.
LLAP Matthias (TZN-Redaktion)
Vielen Dank für die Rezension. Ich frage mich ja, wie groß die Begeisterung für das neue Trek wirklich ist. Es wird ein Dauerfeuer an Werbung abgebrannt, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Ständig wird irgendetwas Neues angekündigt. Aber am Ende ist die Enttäuschung auch dort riesig, denn es stecken überall die gleichen Hohlbirnen dahinter, die nicht mal in der Lage sind, eine Staffel von bloß 10 Episoden konsequent und kohärent zu erzählen. Ich habe wohl keine so schlechte gemachte Sci-Fi-Serie in den letzten Jahren gesehen wie PICARD. Manchmal sollte man Legenden einfach ruhen lassen. Und wenn Stewart nicht… Weiterlesen »