Wir sehen uns einen etwas anderen Sci-Fi-Roman mal genauer an.
Inhalt (Klappentext)
Wir schreiben das Jahr 2454. Die Menschheit befindet sich in einem hart erkämpften goldenen Zeitalter, in dem Religionen und auch Nationalstaaten keinen Platz mehr haben. Sieben Fraktionen – die sogenannten „Hives“ – regieren nun gemeinsam die Welt, deren Herrschaft durch eine wohlwollende Zensur, statistische Analysen und technologischen Reichtum gestützt wird. Aber das Fundament dieser neuen Welt ist brüchig … Verurteilt für seine Verbrechen und gefeiert für seine Talente gilt Mycroft Canner als das bevorzugte Instrument einiger der mächtigsten Menschen der Welt. Als er damit beauftragt wird, einen bizarren Diebstahl zu untersuchen, findet er sich auf der Spur einer Verschwörung wieder, die die Weltordnung der Hives in ihren Grundfesten erschüttern könnte
Kritik
“Dem Blitz zu nah” ist der erste Band der Terra Ignota-Reihe und in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Buch. Bevor wir näher auf den Inhalt eingehen, müssen wir uns nämlich den Schreibstil ansehen. Wie der Titel schon sagt, spielt das Buch im Jahr 2454 und ist als ein In-Universe-Buch geschrieben. Das heißt, man liest von den Ereignissen nur in einer Erzählung.
Das an und für sich ist vielleicht noch nicht ungewöhnlich, die Welt, die hier dargestellt wird, aber schon. So gibt es etwa kein Er/Sie mehr, in der Zukunft wird alles mit nin angesprochen, einem neutralen Bezeichner (also z.B. Menschnin oder Diensternin). Es gibt also nur noch ein Geschlecht für alle, was natürlich ein Fest ist für Non-Binäre. Der Roman erschien im englischen Original 2017 und das ist schon eine kleine Revolution – vor allem, da die Autorin wie gesagt seit 2012 an der Welt geschraubt hat. An der Stelle muss man allerdings auch anmerken, dass die ungewöhnliche Sprache und Welt für einige Leser durchaus abschreckend wirken kann. Denn es gilt immerhin fast 700 Seiten in diesem Stil zu lesen! Die Übersetzung an dieser Stelle war sicher auch nicht leicht.
Dass die Autorin fünf Jahre gebraucht hat, um diese Sprache und Welt zu entwickeln, nimmt man daher in jeder Faser des Buches ab. Ebenso ungewöhnlich ist, wenn man recherchiert, dass der englische Verlag wohl die “Katze im Sack” gekauft hatte, noch bevor klar war, wie sich das Buch entwickeln würde. Auch das ist ungewöhnlich in der heutigen Zeit, wo man meist seitenlange Treatments schreiben muss. Doch nun endlich zurück zur Welt an sich.
Wie bereits erwähnt, ist es das Jahr 2454 und die Erde hat keine territorialen Regierungen mehr. Zugehörigkeiten werden quasi durch den persönlichen Glauben bzw. den Arbeiter-Status in der Welt festgelegt. So existieren sieben Hives, die quasi die Regierungen bilden. Und hier gibt es, durch den Diebstahl eines Geräts, das die persönliche Signatur (hier: Tracker) tarnt, auch eine politische Verschwörung in dieser Geschichte. Allerdings gibt es da noch einen kleinen Jungen, der von den Protagonisten versteckt wird. Er besitzt die Fähigkeit, unbelebte Dinge zum Leben zu erwecken, und wird somit ebenfalls zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung.
Viel mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Zum einen, weil die Handlung, obwohl sie recht einfach klingt, durchaus recht komplex ist. Zum anderen gibt es aber auch ein paar überraschende Wendungen. Natürlich ist das Buch aus Sicht des Helden Mycroft erzählt, der daher auch den meisten Raum bekommt, es aber dennoch schafft, auch die anderen adäquat zu beschreiben. Das vielleicht nicht alle Charaktere dabei Tiefe erhalten, wird durch den ungewöhnlichen Schreibstil dabei mehr als kaschiert.
Was ebenso auffällt, ist, dass viele philosophische Themen in die Geschichte eingewoben sind. So nutzt der Erzähler Mycroft hier lange Passagen, um z.B. über den Tod oder das 18. Jahrhundert (de Sade) zu sprechen und seine Gedanken so den Lesern mitzuteilen. Das ganze wirkt dabei nicht aufdringlich, fällt im weiteren Verlauf des dicken Buches aber zusehends auf. Auch das aber natürlich eine interessante Art, das Buch umzusetzen. Wie es sich für einen ersten Teil gehört, endet das Buch offen, auch wenn man vielleicht noch nicht weiß, wohin die Reise gehen wird.