Prominente Cameos in “Star Trek” haben eine lange Tradition. Von Iggy Pop, über Stephen Hawking, Kelsey Grammer, König Abdullah II und Mae Jamison bis zu Jeff Bezos haben schon viele unerwartete Gaststars sich in Gene Roddenberrys Zukunftsvision verewigt.
Im Finale der vierten Staffel “Discovery” steigt die demokratische US-Politikerin Stacey Abrams als Präsidentin der vereinten Erde aus einem Shuttle. Man darf die Frage stellen, ob diese Besetzung eine gute Idee war.
Cameo Incognito
An den meisten deutschen Zuschauenden wird Abrams’ in “Coming Home” unerkannt vorbeigelaufen sein, zumal sie für die Serie eine deutlich andere Frisur als für ihre sonstigen öffentlichen Auftritte zeigte. Auch an mir ging der Auftritt zunächst vorbei, ich wunderte mich hauptsächlich über eine mir ziemlich unnötig erscheinende Szene zwischen Burnham und der Präsidentin der Erde und schob die Schuld dem zum schwülstigen Pathos neigenden Writers Room zu.
Auf Social Media wurde ich jedoch schnell auf das Cameo aufmerksam, und merkte, wie die Dominos bei mir purzelten.
Wer ist Stacey Abrams?
Für diejenigen, die mit dem Namen nichts anfangen können: Stacey Abrams war im US-Bundesstaat Georgia eine langjährige Abgeordnete, die sich 2018 zur Wahl als Gouverneurin gegen den republikanischen Innenminister von Georgia, Brian Kemp, stellte. Abrams gelangt zu nationaler Bekanntheit, weil sie sich beinahe erfolgreich mit einer unfangreichen Mobilisierungskampagne gegen Versuche von Kemps Innenministerium behauptete, ihre Wähler:innen durch zweifelhaften Taktiken an der Stimmabgabe für sie zu hindern. Alleine bei einer Maßnahme ließen Kemps Mitarbeiter 500.000 Bürger:innen aus den Wahlregistern streichen, in Summe wurden 1,4 Millionen Wähler:innen als vermeintliche Karteileichen aus den Registern entfernt.
Am Wahltag selbst blieben über 200 Wahllokale laut Washington Post in vorwiegend demokratisch wählenden Nachbarschaften geschlossen. Hochrechnungen der Atlanta Journal-Constitution zu Folge verhinderte dies 54.000 – 85.000 Stimmabgaben, davon rund drei Viertel für Abrams.
Abrams verlor die Wahl dennoch nur knapp mit weniger als 55.000 Stimmen Differenz. Sie hat ihre Niederlage gegen Kemp öffentlich nie erklärt und wiederholt die Wahl als gestohlen bezeichnet. Allerdings urteilen Experten und Wahlbeobachter, Abrams könne diesen Vorwurf nicht mit harten Fakten belegen. Ob Kemps vorsätzlich oder inkompetent agiert habe, ließe sich anhand der öffentlich verfügbaren Informationen nicht gesichert sagen, befand z.B. Professor Richard L. Hasen in seinem Buch “Election Meltdown”. Die Atlanta Journal-Constitution konnte durch ihre Untersuchung der Wahl ebenfalls keine Beweise dafür finden, dass das Handeln vorsätzlich die Wahl beeinflussen sollte, oder gar tatsächlich genügend Stimmen verfälscht habe, um eine Stichwahl erforderlich zu machen.
Seit ihrer Wahlniederlage machte sich Stacy Abrams national einen Namen, indem sie sich dem Wahlrecht aller Amerikaner:innen in ihrer politischen Arbeit widmete. Die republikanische Partei konnte in 7 der letzten 8 Präsidentschaftswahlen keine Stimmmehrheit gewinnen, aber dennoch wegen Besonderheiten des Wahlsystems drei Mal den Präsidenten stellen. Bei Wahlen zum Senat und Kongress gibt es strukturelle Vorteile für die Republikaner. Demokraten müssen hier 2-5% mehr Wählerstimmen erlangen, um die Hälfte der Sitze zu ergattern.
Derzeit werden vor allem in republikanisch regierten Bundesstaaten eine ganze Reihe von neuen Wahlgesetzen eingeführt. Diese haben die Tendenz, Wahlunterdrückung bei Personengruppen zu bewirken, die tendenziell demokratisch wählen. Auf diese Weise könnten die Republikaner künftig noch leichter und womöglich häufiger mit Minderheiten regieren.
Abrams ist mit der von ihr ins Leben gerufenen Fair Fight Action eine prominente Gegenerin dieser Strategien. In 2022 wird sie neuerlich gegen dann Amtsinhaber Brian Kemp als Bewerberin für das Amt der Gouverneurin von Georgia antreten.
Ist das Parteinahme?
Der oben geschilderte Hintergrund ist politisch interessierten Menschen in den USA recht geläufig, Abrams ist eine Person, die im öffentlichen Leben präsent ist. Entsprechend reflexhaft fiel die Reaktion in einem Teil des politischen Spektrums auf den Auftritt von Abrams in “Discovery” aus. Die Serie würde sich endgültig als liberal-demokratische Propaganda und Agitationsmaschine entlarven, Boykottaufrufe, Drohungen gegen Darsteller, Autoren und Produzenten inklusive.
Über Sinn und Unsinn solcher Kulturkampfübungen mag ich hier nicht weiter schwadornieren. “Star Trek” malt seit 55 Jahren eine humanistische, kritisch-rationale und durch Überflusswirtschaft sozialistisch angehauchte Zukunft aus. Wer Abrams’ Auftritt als Anlass braucht, um sich auf sozialen Medien mit gespielter Empörung über die links-grün-versiffte Gesinnung von “Star Trek” zu ereifern, möchte nichts zur Debatte betragen, sondern diese mit Krawall abwürgen.
Die Frage der offenen Parteinahme ist meines Erachtens keine. “Star Trek” trägt seit Jahrzehnten seine Überzeugungen offen zur Schau; und Selbstbestimmung empfindungsfähiger Lebensformen – sowohl individuell als auch politisch – ist das Thema zahlreicher Episoden. Darauf, dass die Autoren von “Discovery” Stacy Abrams politisch näher stehen als Brian Kemp, hätte jedes Wettbüro auch ohne den Cameo sicher vorhergesagt.
Was ebenfalls gerne bei der Kritik von Abrams’ Auftritt ausgeblendet wird: Sie ist ein waschechter Fan, und ist wie viele unserer Leser:innen als Kind der Faszination von “The Next Generation” erlegen.
Sie ist dem Franchise offenbar tief verbunden. Insofern wäre es sicherlich keine Rede wert, wenn Abrams – wie die meisten anderen prominenten Cameos – in “Discovery” eine Statisten- oder zumindest weit weniger prominente Sprechrolle erhalten hätte.
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Abrams sich selbst als Präsidentin der vereinten Erde ins Rennen gebracht hat. Die Entscheidung, sie in dieser Rolle auftreten zu lassen, war zumindest laut Darstellung der Beteiligten in der After Show “Ready Room” die Idee von Michelle Paradise & Co.
Dennoch halte ich, Abrams – eine zeitgenössische, progressive Politikerin – als Präsidentin einer vereinten Erde in fast 1000 Jahren zu zeigen, für nur eine mäßig gute Idee. Auch wenn “Star Trek” nicht zu politischer Neutralität verpflichtet ist (als künstlerischer Ausdruck ist nämlich das Gegenteil der Falls), hätte man alleine des unvorteilhaften Eindrucks wegen besser darauf verzichtet, Abrams die Rolle der Erdenpräsidentin spielen zu lassen. Der Gedanke, dass man hier plump Wahlkampfhilfe leisten könnte, liegt so verdammt nah – selbst wenn das gar nicht die Absicht ist.
Aber wirklich ärgerlicher finde ich die Besetzung von Abrams aus einem anderen Grund.
Symbolische Kommunikation statt guter Stories
Von den aktuellen “Star Trek”-Serien zeichnet sich insbesondere “Star Trek: Discovery” für mich dadurch aus, dass man im Writers Room gerne Momente schafft, in denen “Discovery” möglichst unübersehbar als politisch liberal-progressiv rüberkommt, ohne ein Mindestmaß an erzählerischer Vorarbeit oder Konsequenz zu leisten. “Picard” ist hier ebenfalls nicht ohne Tadel, allerdings ist das Problem dort in erheblich geringerem Ausmaß anzutreffen.
Im Englischen gibt es dafür den von konservativen Meinungsmenschen geprägten Modebegriff “Virtue Signaling” (wörtlich: Tugendsignalisierung), der herablassend gemeint ist und implizit Heuchlerei unterstellt. Das würde ich den Autor:innen von “Discovery” nicht andichten, wohl jedoch eine gewisse Bequemlichkeit beim Erzählen attestieren.
Ein Paradebeispiel hierfür ist die Adoption von Adira durch Stamets und Culber. Klar ist es längst überfällig, dass wir in “Star Trek” eine Familie jenseits des heteronormativen Einerleis sehen, und nicht nur am Rande z.B. von Phlox darüber hören. Aber die Umsetzung macht sich dramaturgisch einen extrem schlanken Fuß.
Wir sehen keine einzige Szene, in der sich Adira, Grey oder Culber zu Stamets Ansinnen positiv äußern, und dennoch sind die vier plötzlich eine soziale Einheit. Dass sich dadurch die Dynamik zwischen den vier Personen neu sortieren muss, und Konflikte auftreten, die einer Auflösung bedürfen, lassen die Autoren unter den Tisch fallen. “Star Trek” hat jetzt mit minimalem Aufwand eine hippe, nicht-cis-heteronormale Familieneinheit auf dem Schirm. Das reicht für die beabsichtigte Signalwirkung und ist also wohl keine weitere dramaturgische Beachtung wert. Nochmal: Ich halte eine solche prominente Repräsentation für absolut überfällig in “Star Trek”, aber die Umsetzung beleidigt die Intelligenz des Publikums.
Und so setzt “Discovery” mit der Besetzung von Stacey Abrams wieder einmal ein gut sichtbares Zeichen, ohne selbst dafür sonderlich viel zu tun. Aus Sicht der Macher:innen hinter der Kamera geht es meiner Meinung gar nicht darum, Abrams vor der Wahl im Herbst einen Gefallen zu tun. Nein, man möchte mit einer prominenten Aktivistin gesehen werden, die tatsächlich etwas für Bürger:innenrechte tut.
Wenn die ganze Szene einen Zweck verfolgt der darüber hinausgeht, einer prominenten Trekkerin einen Kindheitstraum zu erfüllen, dann den: Schaut her, wir haben eine echte politische Vorreiterin für unsere ach so visionäre Sci-Fi-Saga gewonnen. Abrams ist eine Art “Gütesiegel” für die “Discovery”-Macher:innen: Auch wir verändern die Welt zum Besseren!
Und so geadelt, können wir ignorieren, dass die Ereignisse der aktuellen Staffel eine dramatische Bestätigung von hundert Jahren menschlichen Isolationismus’ sein müssten. Aber wir erlauben uns zur Feier des Tages, die ganze harte erzählerische Arbeit zu überspringen, die wir zum Überwinden dieser politischen Dämonen als Parabel auf Brexit leisten müssten. Weil wir Abrams als Präsidentin haben, können wir einfach die vereinte Erde wieder der Föderation beitreten lassen, Thema durch.
Man vergleiche, welche erzählerische Arbeit “Deep Space Nine” rund um den Beitritt Bajors zur Föderation über sieben Jahre geleistet hat (und wir den Beitritt in dieser Zeit nicht erlebt haben).
Ziemlich belangloser PR-Stunt
Wenn ich ein Fazit aus dem Cameo ziehe, dann dass “Discovery” damit vor allem seinen Zuschauer:innen, die Abrams erkennen und zuordnen können, kommunizieren möchte, dass sie in ziemlich guter Gesellschaft sind.
Das wirklich ärgerliche aus meiner Warte ist die oberflächliche Belanglosigkeit der Szenen mit Abrams, und dass sich die “Discovery”-Macher:innen so selbst vergewissern wollen, das Fähnlein für eine bessere Zukunft hochzuhalten. Wenn es demnächst dramaturgisch wieder eng wird, schmeißen die selben Leute gedankenlos Selbstbestimmung in Form der Ersten Direktive (“The Sounds of Thunder”), die Wissenschaftliche Methode (“The Red Angel”/”Perpetual Infinity”) und das letzte Bisschen Anstand (“Terra Firma”) aus dem Drehbuch.
Die zur Schau gestellt “Gesinnung”, die vermeintlich hinter Stacey Abrams’ Auftritt steht, taugt m.E. nicht mal zum Skandälchen. Eine berichtenswerte Sensation wäre es stattdessen gewesen, wenn “Discovery” erzählerisch mehr geleistet hätte, als CG-Asteroiden auf die Erde regnen zu lassen, um den Wiedereintritt der Menschheit in die Föderation zu ermöglichen.
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^Ziemlich viele Worte für “ist schon ok, dass Discovery woke, progressiv und superduper inklusiv ist, aber die Serie ist trotzdem eher schwach”…
Dass da irgendeine linke Ami-Politikerin ein Cameo hat, spielt auch keine Rolle mehr.