“Penance” hatte unsere Protagonist:innen in einer schwierigen Lage und mit einem klaren Auftrag zurückgelassen. Leider müssen wir diesen Cliffhanger in dieser Besprechung von “Assimilation” teilweise auflösen, um sinnvoll über den Rest der Folge sprechen zu können. Wer also nicht einmal Handlungsfetzen bis zum Vorspann erfahren möchte, sollte hier aussteigen. Wir besprechen aber nichts, was nicht bereits im Vorfeld durch Vorschauclips oder Trailer bekannt geworden wäre.
Die Konföderation hat die La Sirena abgefangen, bevor sie ihren Zeitsprung vornehmen konnte. Ich hatte die Befürchtung, dass diese Episode als eine Art Bottle-Show die Handlung mit einem unspannenden Katz-und-Maus-Spiel strecken würde, was glücklicherweise nicht der Fall ist.
Mit Hilfe der Borgkönigin gelingt noch vor dem Vorspann der Sprung zurück in die Vergangenheit, allerdings nicht ohne gravierende Konsequenzen für die Crew der La Sirena. Und so beginnt die Suche nach dem “Watcher” im Los Angeles des Jahres 2024, um die Änderung der Zeitlinie zu reparieren.
Auf Wiedersehen, Konföderation – auf Wiedersehen 2402
Nachdem die Episoden der letzten beiden Wochen im Wesentlichen (zugegebenermaßen tadellos ausgeführte) Medleys bekannter “Star Trek”-Evergreens waren, hatte “Assimilation” es dringend nötig, etwas mehr Eigenständigkeit zu entwickeln. Die Auflösung des Cliffhangers war leider wenig originell, aber dafür dankbar schnell erledigt.
Aber auch im 21. Jahrhundert bleibt “Picard” noch zu stark alten Vorlagen wie “The City on the Edge of Forever”, “The Voyage Home” oder “Future’s End” verhaftet, beginnt jedoch zaghaft, eigene Akzente zu setzen. Insbesondere eine Gruppenszene am Anfang der Episode, in der Raffi und Picard in einen Konflikt geraten, wirft meines Erachtens ein erstes Licht darauf, warum Q Picard wieder einmal aufsucht. Es ist zwar reine Spekulation meinerseits, aber es würde mich nicht wundern, wenn wir wie in “All Good Things” auf ein Prädestinationsparadoxon zusteuern, und Picards Pflichtbewusstsein bzw. emotionale Unbeholfenheit sich als die auslösende Krux erweisen sollte.
Borgkönigin
Der interessanteste Zweig der Folge dreht sich um Picard, Jurati und die Borgkönigin. Die Integration der Königin in den Plot der Staffel erweist sich allerdings schon in dieser Folge als problematisch für das Drehbuch. Einerseits kennen wir sie als nahezu allmächtige Gegnerin, die ungeachtet ihres äußeren Erscheinungsbildes weit mehr ist, als ein unserer Crew ebenbürtiges Individuum. Im ersten Akt stellt sie dies auch eindringlich unter Beweis. Im Rest der Episode hingegen wird die Königin vom Plot entmachtet, und auch sonst recht viel etablierter Kanon über die Borg zurechtgebogen, damit es zu einer sehr sehenswerten Reihe von Szenen zwischen Jurati, Picard und der Königin kommen kann. Alison Pill spielt dabei ihre Partner:innen völlig gegen die Wand – ja, auch Stewart hat dabei nur eine eher dekorative Rolle.
Es ist eine pure Freude zu sehen, wie Alison Pill nach einer gefühlten Ewigkeit “von der Leine” gelassen wird, und die Bandbreite ihrer Fähigkeiten demonstrieren darf, statt immer nur als nervöse Slapstick-Pointe herhalten zu müssen. Leider ist die Szene wiederum nur das zu kurz geratene und letztlich weniger berührende Remake einer ziemlich ikonischen Begebenheit aus “The Next Generation” (in der Patrick Stewart eine Meisterleistung zum Besten gab).
Zudem lässt “Assimilation” die Borgkönigin zumindest für den Moment unwahrscheinlich dumm aussehen und nimmt sich sehr viele Freiheiten bezüglich Eigenschaften der Borg heraus, die in “First Contact” und “Voyager” dutzendfach anders dargestellt wurden. Wo wir beim Thema sind: In dieser Episode werden die Nachteile von Werschings neugestaltetem Makeup und Kostümierung in mehreren Szenen deutlich. Silikonprothesen werfen Falten, wo sie es sicher nicht sollten, und die Illusion des Torsos ohne Unterleib funktioniert in einigen Trickaufnahmen nicht, weil sie die Gesetze der Schwerkraft zu auffällig ignorieren.
Schließlich wird die Borgkönigin vom Drehbuch weiter verzwergt, als sie kurz vor Ende der Episode einen völlig unpassenden Satz als schnurrbartzwirbende Schurkin aufsagen muss, um einen Cliffhanger für ihren Handlungsstrang zu platzieren. Egal ob Borg oder nicht: Gute Antagonist:innen halten sich für die Held:innen ihrer eigenen Geschichte. Sich selbst als gefährliche Bedrohung zu inszenieren, passt so überhaupt nicht in das ansonsten artikulierte Perfektions-, Erlöser- und Harmonie-Selbstbild der Borg.
Je länger ich der Handlung zusah, desto stärker drängte sich ein sprichwörtlicher Elefant in den Laderaum der La Sirena: Besteht nicht die akute Gefahr, dass die Borgkönigin einfach das Schiff, ihre Crew und anschließend eine vergleichsweise wehrlose Erde anno 2024 assimiliert? War das nicht in “First Contact” der Plan für 2063? Das halte ich schon seit der letzten Episode für eine sehr drängende Frage. Aber es scheinen alle Figuren wild entschlossen, dieses naheliegendste aller wahrscheinlichen Szenarien zu ignorieren.
Stattdessen wollen die Autoren unsere Aufmerksamkeit auf die sich intensivierende Beziehung zwischen Jurati und der Borgkönigin lenken, die tatsächlich noch durchaus interessante Züge annehmen kann.
Willkommen 2024
Derweil erkundet der Rest der Crew das Los Angeles des frühen 21. Jahrhunderts auf der Suche nach dem Watcher. Es passieren die üblichen Dinge, die man nach 55 Jahren “Star Trek”-Zeitreisegeschichten erwartet. Jede einzelne Szene ist dabei routiniert, straff und manchmal gar charmant erzählt. Auch die Zeitreise selbst ist technisch einwandfrei umgesetzt.
Am Ende besteht die Folge in diesem Handlungsstrang aber wieder vorrangig aus Variationen von Versatzstücken, die wir alle schon einmal gesehen haben. Diese zweite Staffel “Picard” läuft damit Gefahr berechtigterweise als überflüssiger Nostalgietrip charakterisiert zu werden. So sehr ich mich darüber freue, dass thematisch und visuell “Picard” endlich wieder an die “Next Generation” anschließt, würde ich mir etwas mehr Originalität bei der eigentlichen Story wünschen. Aber nochmal: Vor und hinter der Kamera läuft es handwerklich rund. Die Folge geht runter wie Öl, und jede Szene sitzt.
Easter-Egg-Sammler kommen auch wieder auf ihre Kosten. Die La Sirena wird 2402 von zwei Schiffen der Nova- und einem der Steamrunner-Klasse gejagt, obwohl es (wie in jeder Alternativrealität) unglaubwürdig scheint, dass die Konföderation nach 400 Jahren Divergenz das exakt selbe Raumschiffdesign entwickeln würde wie die Sternenflotte. Gleichsam unglaubwürdig ist die Widerstands- und Kampfkraft der La Sirena gegenüber den drei Verfolgerschiffen.
Dagegen perfekt lanciert ist ein Schild in Los Angeles, das einen “Sanctuary District” ausweist. Genau dort sind im September 2024 Sisko, Bashir und Dax unterwegs, um das Eingehen der Bell-Unruhen in die Geschichtsbücher sicherzustellen (“Past Tense, Part I + II”). Es wäre schon ein sehr seltsamer Zufall, wenn beide Zeitreisegeschichten so dicht an dicht nicht in Berührung zueinander geraten würden. Aber auch das ist reine Spekulation.
Lesetipps zum Wochenende: Matthias Suzan hat eine sehr lesenswerte dreiteilige Reihe über die 2020er-Jahre in Star Trek verfasst, die ich unbedingt noch einmal zur Lektüre empfehlen möchte: Teil 1, Teil 2 und Teil 3. Über die Hintergründe der “Sanctury Districts” und die akute Relevanz von “Past Tense” kann man in diesem englischsprachigen Artikel von vox.com mehr erfahren.