Mit einer ereignisreichen Folge startet “Discovery” vielversprechend ins Jahr 2021. “There Is a Tide…” leitet den zweiteiligen Epilog der 3. Staffel ein. Ob alle Handlungsfäden der Staffel hier wirklich konsistent zusammenlaufen, klärt unsere ausführliche Rezension. Spoiler-Alarm!
Bevor wir in die Episodenbesprechung einsteigen, hier noch eine kleine, aber feine Randnotiz: Mit “There Is a Tide…” feiert das Franchise ein beachtliches Jubiläum. Nimmt man alle zehn TV-Serien, 37 Staffeln und 13 Kinofilme zusammen, dann stellt “Discovery”-Folge Nummer 41 das insgesamt 800. “Star Trek”-Abenteuer dar. Herzlichen Glückwunsch und mögen noch mindestens weitere 800 folgen!
Doch nun zu “Es gibt Gezeiten…”.
Bekannte Erzählmuster
Das Drehbuch zu Episode 3×12 stammt von Kenneth Lin und wurde abermals von Jonathan Frakes inszeniert. Letzterer nimmt in Season 3 somit bereits zum dritten Mal im Regiestuhl Platz, während Lin nach “Sanctuary” auch schon den zweiten Story-Credit für sich verbuchen kann. Auch Lin gehört übrigens zu einer größeren Riege von Personen, die als “Co-Executive Producer” von “Star Trek: Discovery” geführt werden.
Lins Story-Grundlage kommt ähnlich geradlinig daher wie die letztwöchige Story von Anne Cofell Saunders, denn auch er setzt auf ein recht übersichtliches duales Storytelling. Die Szenerie vollzieht sich dieses Mal einerseits auf der Discovery und andererseits im Starfleet HQ. Dass die Geschehnisse auf der Khi’eth im Verubin-Nebel vollständig außen vor bleiben, mag auf den ersten Blick vielleicht etwas überraschend sein, ist aber – wie Christopher bereits in seiner Kurzrezension völlig zurecht festgestellt hat – der Dramaturgie des Staffelfinales absolut zuträglich. Folglich wird auch der ‘Brand’ nur noch am Rande erwähnt.
Während die Inszenierung der Folge durch Frakes erwartungsgemäß keinen Anlass zur Kritik bietet, lassen sich in Sachen Drehbuch abermals einige Schwächen ausmachen, die wohl unter die Kategorie “Discovery Standard” fallen.
Dazu zählen erneut diverse Plot Holes, die mitunter doch sehr augenfällig sind. So wirkt die Technik des 32. Jahrhunderts an einigen Stellen wiederholt widersprüchlich, allen voran die Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten. Inkonsequent ist das Storytelling auch in Bezug auf die Charakterisierung der Föderation, die zu Beginn der Staffel noch als “Geist” (Booker) bezeichnet worden war und in der Galaxis des 32. Jahrhunderts demnach kaum noch wahrnehmbar sein dürfte. Zudem erinnern wir uns: Die Föderation galt sogar auf der Erde als “unbekannt verzogen” und musste erst über eine umständliche Quest (Erde, Trill) ausfindig gemacht werden. Davon ist nun plötzlich keine Rede mehr. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, rekurriert Osyraa doch explizit auf den guten Ruf der Föderation in der Galaxis. Auch die Notlandung von Books Schiff in der Shuttlerampe der Discovery wirkt etwas unglaubwürdig, da deutlich spektakulärer inszeniert als beispielsweise die Notlandung der Raumfähre in “Star Trek V”.
Andererseits greift auch “There Is a Tide…” wieder sehr freimütig auf diverse Dei ex machina zurück. Zu nennen ist hier vor allem der Transwarpkanal, der zufälligerweise genau zum Starfleet HQ führt und den zeitlichen Vorsprung der Discovery und deren Sporenantrieb postwendend egalisiert, damit Burnham und Book noch rechtzeitig rettend eingreifen können. Das hat mich doch stark an das Staffelfinale von “Picard”-Season 1 erinnert. Nebenbei stellt sich hier die Frage, wie Osyraas gigantisches Schiff da unbeschadet durchgekommen sein soll.
Und dann ist da natürlich auch noch das, was man in der Film- und Fernsehbranche gemeinhin als ‘Schreibfaulheit’ bezeichnet. Alles in allem folgt die A-Story auf der Discovery nämlich geradlinig den klassischen Erzählmustern einer typischen Recapture-Story, was zwangsläufig dazu führt, dass dieser Handlungsstrang dann auch den erwartbaren Gang nimmt. Zu den oben angesprochenen klassischen Mustern zähle ich dumm agierende Eindringlinge (hier: Wachen); mindestens einen unter ihnen, der moralisch integer (oder zumindest anfällig für Suggestionen) ist und sich sodann “bekehren” lassen könnte (hier: Aurellio); und last but not least einen Deus ex Machina, der sich – zusätzlich zum Überläufer-Charakter – als Game Changer erweisen dürfte (hier: Sphärendaten/Zora & Mutter Burnham bzw. Flotte von Ni’var , Grudge oder Nhan). Diese Erzählmuster finden sich nämlich auffällig oft auch in vielen anderen “Star Trek”-Geschichten dieser Art. Zu nennen sind hier neben den bereits von Christopher erwähnten Episoden sicherlich auch “Rascals” / “Erwachsene Kinder” (TNG 6×07), “One Little Ship” / “Das winzige Schiff” (DS9 6×14), “Basics, Part 2” / “Der Kampf ums Dasein, Teil 2” (VOY 3×01) oder auch “Chosen Realm” / “Das auserwählte Reich” (ENT 3×12).
Bezeichnend für diese stereotypisch aufgezogene Handlung ist vor allem der Umstand, dass die Sicherheitsagenten der Smaragdkette sehr erwartbar (und offensichtlich!) all jene Fehler begehen, die man in einer solchen Situation begehen kann. Hier stellt sich unweigerlich die Frage: Gibt es im 32. Jahrhundert keine Arrestzellen oder Lähmungskraftfelder für Gefangene mehr? Und warum kann Burnham die Konsolen auch dann noch bedienen, nachdem das Betriebssystem der Discovery schon auf Emerald Chain-Technik umgestellt worden ist? Die erste Sicherheitsvorkehrung, die ich als Hijacker eines Raumschiffes treffen würde, wäre die Verschlüsselung der vitalen Schiffssysteme. Das wussten schon die Borg von vor 800 Jahren!
Doch damit ist das ˈlazy writingˈ noch nicht abgeschlossen. Denn Lin lässt uns leider auch weitestgehend im Unklaren darüber, wie Zareh (Jake Weber) seine Wanderung durch das angeblich so tödliche parasitäre Eis (DSC 3×02 “Far From Home“) überleben konnte. Die von Erfrierungen gezeichnete Hand (inklusive klischeehaftem schwarzen Villain-Lederhandschuh) finde ich als Background-Info zu dieser in den Raum geworfenen Frage dann doch etwas mager. Überhaupt kommt Zareh auch in dieser Episode nur schwerlich über jene generische Schurken-Charakterisierung hinaus, die ihn schon in Folge 2 zu einem eher schwachen Antagonisten gemacht hat. Sein fieser Zynismus wird hier um das ebenfalls klischeehafte Motiv der Rache ergänzt. Dass er sich dann in Abwesenheit von Osyraa auch noch als unfähiger Handlanger erweist, gibt dieser Figur nach meinem Dafürhalten eigentlich den Rest. Welches Schicksal Zareh in Episode 13 wohl erleiden wird, dürfte somit auf der (erfrorenen) Hand liegen.
Zwischen Emotion und Profession
Sauer aufgestoßen ist mir einmal mehr Stamets, wobei mich hier nicht das Writing der Episode stört, sondern vielmehr die grundsätzliche Zeichnung dieses Charakters. Man muss den Autoren gewiss zugutehalten, dass sie Stamets seit Serienstart absolut konsistent und konsequent geschrieben haben. Er ist und bleibt durch seine kompromisslose Prioritätensetzung – Privatleben vor Pflichterfüllung – emotional kompromittiert. In meinen Augen ist er ein Egoist, der in Extremsituationen sofort die Nerven verliert und darüber hinaus zu manipulativem Psycho-Bashing neigt. Folgerichtig erweist er sich einmal mehr als enormes Sicherheitsrisiko für Schiff und Crew – und sogar für die gesamte Föderation. Selten habe ich in einer Episode so dermaßen auf der Seite von Burnham gestanden wie hier.
Natürlich macht diese Charakterisierung auch den Reiz dieser Figur aus, aber es stellt sich mir dann doch die Frage, wie Stamets es mit diesem unprofessionellen Habitus bis zum Lt. Commander geschafft hat. Eventuell wäre es besser gewesen, wenn man ihn von Anfang an als zivilen Wissenschaftler eingeführt hätte und nicht als Offizier der Sternenflotte. Als Sternenflottenoffizier ist er für mich durch und durch unglaubwürdig.
Auch dass Stamets Adira nach dieser kurzen Zeit bereits als “sein Kind” betrachtet, ist auch wieder so eine fragwürdige Überdramatisierung der Situation – typisches ‘Discovery-Writing’ eben: überzeichnet und unglaubwürdig. Oder härter ausgedrückt: nahe am Niveau einer Seifenoper.
Gleichwohl freut es mich, dass die Autoren gegen Ende der Staffel dann doch noch eingesehen haben, dass man Stamets vielleicht doch noch etwas häufiger ins Zentrum der Handlung stellen könnte. Bei aller Kritik an diesem Charakter soll hier auch nicht die starke Performance von Anthony Rapp unter den Tisch fallen. Der Dialog mit Burnham war wirklich gut geschrieben und auch toll performt.
Deutlich positiver fällt hingegen mein dieswöchiges Urteil über Burnham aus, die sich in “There Is a Tide…” deutlich souveräner verkauft als sonst. Auch Stametsˈ unfaire und verletzende Verbalattacken bringen sie nicht davon ab, ihre Pflicht zum Wohle der Föderation zu erfüllen. Die hier mitschwingende, latente Anspielung auf ihr Versagen in “Projekt Daedalus” (DSC 2×09) hat mir gut gefallen. Hätte man sie schon ab Episode 3×03 deutlich gereifter und emotional kontrollierter geschrieben und nicht erst im letzten Drittel der Staffel, dann hätte ich dem Writers Room ihren Entwicklungsschritt hin zum Leader vielleicht sogar doch noch abgekauft. So wirkt diese angedeutete Progression in ihrem Verhalten jedoch vielmehr wie ein übers Knie gebrochener Persönlichkeitsboost denn wie eine organisch gewachsene Persönlichkeitsentwicklung. Schade!
Die schnulzigen Szenen mit Booker hätte ich jetzt nicht unbedingt gebraucht, gehört aber (leider) zu dieser Serie unweigerlich dazu. Zudem habe ich mich gefragt, warum Burnham das Messer aus dem Oberschenkel zieht, ohne einen Geweberegenerator zur Hand zu haben. Man weiß doch, dass man das nicht tun sollte. Was lernen die eigentlich auf der Sternenflottenakademie?!
Leider zeigt auch diese Episode wieder letale Gewaltanwendung, wobei Burnham dieses Mal wenigstens an einer Stelle die Betäubungsfunktion ihres Phasers benutzt. Dieses Mal erwischt es Ryn, dessen Rolle (kein Doppelagent!) mich positiv überrascht hat. Auch wenn sein finaler Monolog wieder ganz Discovery-like nur so vor Pathos trieft, hat mir diese Figur in “There Is A Tide…” wirklich gut gefallen.
Der Stephen Hawking des 32. Jahrhunderts
Neben Jake Weber (Zareh) taucht mit Kenneth Mitchell noch ein weiteres bekanntes Gesicht in der Episode auf. Wobei so bekannt ist Mitchells Gesicht vermutlich gar nicht, denn der 46-jährige Schauspieler war in “Discovery” bisher nur mit Make-up zu sehen gewesen, spielte er doch stets Klingonen (Kol, Kol-Sha, Tenavik). In “There Is a Tide…” verkörpert Mitchell den menschlichen Ausnahmewissenschaftler Aurellio, der in Diensten der Smaragdkette steht. Aurellio leidet unter einem auch im 32. Jahrhundert noch (oder wieder?) unheilbaren genetischen Defekt, der ihn an den Rollstuhl fesselt. Es war Osyraa, die ihm einst eine neue Lebensperspektive geschenkt und eine Karriere als Wissenschaftler ermöglicht hat – mit den Ressourcen der Smaragdkette wohlgemerkt.
Dass Aurellio das Herz am rechten Fleck zu haben scheint, wird derweil schnell ersichtlich. Seine Geschichte lässt zugleich aber auch Osyraa in einem neuen Licht erscheinen, was dieser Figur nun endlich auch etwas Ambivalenz verleiht. Aurellios Dialoge mit Stamets gehören sicher zu den Highlights der Episode und kommen ganz “Discovery”-untypisch gänzlich ohne übertriebene Melodramatik aus.
Zugleich spiegelt dieser Charakter meiner Ansicht nach zwei dramatische Biografien aus der Realität wider.
Da ist einerseits der weltberühmte und 2018 verstorbene theoretische Physiker und Astrophysiker Stephen Hawking, der aufgrund seiner ALS-Erkrankung schon ab 1968 vollständig auf den Rollstuhl angewiesen war. Obwohl man ihm Mitte der 60er-Jahre einen frühen Tod prognostiziert hatte, wurde Hawking nicht nur 76 Jahre alt, sondern im Laufe seines Lebens auch zu einem der bedeutendsten Wissenschaftler des 20. und 21. Jahrhunderts. Aurellio stellt hier in meinen Augen eine Hommage an Hawking dar, der 1993 in “Angriff der Borg, Teil 1” / “Descent” (TNG 6×26) einen Gastauftritt hatte.
Die zweite Biografie ist die des Aurellio-Darstellers Kenneth Mitchell. Bei Mitchell wurde 2018 ebenfalls ALS diagnostiziert. Auch er ist mittlerweile auf einen Rollstuhl angewiesen. Umso bemerkenswerter ist sein Auftritt hier in “Discovery” und zwar in einer Rolle, die sein trauriges Schicksal spiegelt, aber zugleich verdeutlicht, dass es Menschen gibt, die ihren Lebensmut trotz eines solchen Schicksalsschlags nicht verlieren. Das ist wirklich sehr bewegend und steht in bester “Star Trek“-Tradition!
Ist der Drops schon gelutscht?
Unter dem Strich ist die Handlung auf der Discovery gewiss unterhaltsam, aber bis auf die Aurellio-Stamets-Dialoge wenig inspiriert. Hier hätte ich mir einfach noch deutlich mehr Kreativität gewünscht. Und so ist zu befürchten, dass der Recapture-Arc in Folge 13 auch in den erwartbaren Erzählstrukturen aufgelöst werden wird. Achtung, es folgen mögliche Spoiler!
Meine Prognose (inklusive Trailer-Wissen) lautet daher wie folgt: Die DOT-23-Droiden werden Burnham und Co. dabei helfen, die verbliebenen Wachen auszuschalten. Doch Zareh nimmt Burnham dann doch noch in Gewahrsam und ist gerade im Begriff sie zu töten, als plötzlich… Aurellio auf sein Gewissen hört, eingreift und Burnham in letzter Sekunde rettet. Außerdem greift die Flotte von Ni’var rettend ein, ähnlich wie die Ba’ul/Kelpianer im Finale von Season 2 oder die Sternenflotte im Finale von “Picard”-Season 1.
Osyraa bittet zum Tanz
Die B-Handlung im Starfleet HQ ist der zweifellos stärkere Handlungsstrang der Episode. Osyraa (Janet Kidder) nutzt die Discovery als ‘Trojanisches Pferd’, um ins Herz der Föderation zu gelangen. Doch Osyraa ist zur großen Überraschung des Zuschauers gar nicht in destruktiver Mission unterwegs, sondern in diplomatischer. Die Smaragdkette hat die Ressourcen und die Strukturen, die Föderation immer noch die beste Reputation. Also warum nicht ein Joint Venture starten, so der Vorschlag der selbstbewussten Orionerin.
Lin ist an dieser Stelle etwas gelungen, was ich nicht mehr erwartet hätte: Osyraa gewinnt endlich an Profil und hebt sich als politisches Mastermind der Emerald Chain wohltuend ab von den bisher in Staffel 3 in Erscheinung getretenen Standard-Bösewichten. Admiral Vance (Oded Fehr) lässt sich zunächst auf diesen diplomatischen Tanz ein und erweist sich im Folgenden als würdiger Widersacher. Er lässt sich nicht einlullen, weiß aber auch um die Tragweite seiner Entscheidung, sodass er nicht sofort ablehnt. Diese Konstellation ist stark geschrieben und auch exzellent gespielt und weckt freudige Erinnerungen an die legendären Wortgefechte eines Jean-Luc Picard, Benjamin Sisko oder einer Kathryn Janeway in ähnlichen Verhandlungssituationen.
Leider haben es die Autoren in den elf Folgen zuvor verpasst, uns das Universum des 32. Jahrhunderts in möglichst vielen verschiedenen Facetten vorzustellen. Eine bipolare Galaxis, in der nur noch die beiden Hegemone Emerald Chain und Föderation den Ton angeben sollen, ist für mich nur schwer zu schlucken – und auch etwas monoton. Eine multipolare Konstellation wäre – auch als Anspielung auf unsere Zeit – deutlich glaubwürdiger und spannender gewesen, wenngleich hier natürlich die Gefahr bestanden hätte, sich erzählerisch zu verzetteln. Aber dass man Großmächte wie die Klingonen, das Dominion oder gar die Borg vollkommen links liegen gelassen hat, ist schon etwas enttäuschend. Für die Zeit zwischen dem 25. und 31. Jahrhundert hätte ich einfach erwartet, dass die Galaxis schon aufgrund der technischen Entwicklung noch enger zusammenwächst. So wirkt die Galaxis dieser Epoche deutlicher kleiner als die des 23. oder 24. Jahrhunderts – nicht nur räumlich, sondern auch politisch. Das geht aus kreativer Sicht gewiss in Ordnung, hätte meiner Einschätzung nach jedoch einer etwas umfangreicheren Erklärung bedurft.
Die Emerald Chain hätte in dieser Staffel durchaus ein großartiger Gegenspieler werden können, wenn man denn im Staffelverlauf noch deutlich mehr über dieses Bündnis erfahren hätte. Wir wissen lediglich, dass es sich hierbei (vermutlich) um eine Art Nachfolgeorganisation des Orion-Syndikats handeln muss; um eine Vereinigung (Kette) von Merkantilen, die von einer Art Ober-Warlord (“Ministerin” Osyraa) geführt wird, die wiederum regionale Warlords (u.a. Zareh) einsetzt. Das hört sich dann doch wieder mehr nach einem staatlichen statt nach einem nichtstaatlichen Akteur an. Die Kette sorgt zwar für die Verteilung von knappen Ressourcen, tut dies aber in einer Weise, die nicht mit den liberalen Werten und Prinzipien der Föderation zu vereinbaren ist. Das sind genau jene Grauschattierungen, die mir bisher bei der Emerald Chain gefehlt haben. Nur leider erzählt uns “Discovery” hier wieder nur davon, zeigt es uns aber nicht. Ein Manko, das sich nun schon seit drei Jahren durch diese Serie zieht. Ein Jammer, dass die Autoren noch immer kein Gefühl dafür entwickelt haben, was die Zuschauer gerne etwas ausführlich sehen würden und was nicht. Hier sollte man sich vielleicht daran orientieren, wie behutsam und clever man seinerzeit in “Deep Space Nine” das Dominion eingeführt hat.
Die Föderation in der “Thukydides-Falle”?
Die Föderation scheint in der Post-Brand-Ära allerdings auch keine blütenweiße Weste mehr zu haben. Osyraa macht jedenfalls gewisse Andeutungen, die Vance auch nicht wirklich zurückweist. Dies ist nicht nur eine sehr vielversprechende Konstellation für “Star Trek”, sondern auch eine spannende Parabel auf unsere Zeit. Spiegelt die Emerald Chain vielleicht jene BRICS-Staaten (Schwellenländer), die einerseits massiv an wirtschaftlichem Einfluss gewonnen haben, andererseits aber nicht viel Wert auf die Einhaltung des Völkerrechts legen? Und steht die Föderation hier womöglich für den Westen (und speziell die USA), dessen Außen- und Handelspolitik angesichts dieser neuen Konstellation mitunter zu einem (moralisch fragwürdigen) Utilitarismus neigt? Jedenfalls steht die Föderation hier vor der Wahl: Entweder sie steht zu ihren Werten und riskiert dafür notfalls auch den Wohlstand ihrer Gesellschaft. Oder sie reicht Osyraa und ihrem fragwürdigen Syndikat die Hand und verbessert dadurch ihre materielle und politische Situation, selbst wenn dieser Machtzuwachs auf Kosten der Moral geht. Ein Dilemma, das wieder das “Star Trek” ist, das ich einfach sehen möchte. Man nimmt sich unsere Gegenwart zur Brust und verpackt dies in einem spannenden Gleichnis, das verschiedene Aspekte der Realität in verfremdeter Form spiegelt.
Denn schon seit einiger Zeit ist vom “Decline of the West” und dem “Ende des amerikanischen Jahrhunderts” die Rede, während der globale Einfluss Chinas insbesondere im Welthandel stetig wächst. Eventuell sehen wir eine Parabel, die das schwierige Verhältnis zwischen den auf dem absteigenden Ast befindlichen USA (Föderation) und dem aufstrebenden China (Emerald Chain) spiegeln soll. Sozusagen die “Star Trek”-Version der sogenannten “Falle des Thukydides” (Graham Allison). Die Wortgefechte zwischen Vance und Osyraa sind jedenfalls absolut gelungen und tausendmal unterhaltsamer als irgendwelche Nullachtfünfzehn-Raumschlachten.
Vance erweist sich sodann als moralisch integer und stellt die Bedingung, dass sich Osyraa zunächst vor einem (interstellaren) Gericht für ihre Verbrechen rechtfertigen muss. Und dass die Kette die Oberste Direktive beachten und sich aus den Prä-Warp-Welten heraushalten muss. Auch hierin könnte eine Anspielung auf China (Smaragdkette) und die Entwicklungsländer (Prä-Warp-Zivilisationen) stecken. An dieser Stelle habe ich mich allerdings gefragt, welche Justiz Vance hier vorschwebt. Einen überparteilichen galaktischen Strafgerichtshof scheint es im 32. Jahrhundert wohl nicht zu geben. Aber dasselbe Problem hatten wir schon bei der Gründerin in “Deep Space Nine”. Demnach ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich Osyraa weigert, denn die Föderation maßt sich hier die Rolle des Richters an, die ihr womöglich gar nicht mehr zusteht. Toll geschrieben!
Auch an dieser Stelle habe ich mir allerdings gedacht: Hätten die Autoren im Staffelverlauf deutlich mehr Wert auf Worldbuilding und Exposition gelegt – allen voran in Bezug auf die Föderation, die Emerald Chain und die politische und soziale Lage in der Galaxis insgesamt – dann hätte Season 3 ein echter Kracher werden können. Aber so habe ich den Eindruck, dass man in der Staffelmitte einfach zu viele Geschichten erzählt hat, die es nicht zwangsläufig gebraucht hätte (von Ni’Var mal abgesehen). Gerade Aurellios Andeutungen, das Leben im 32. Jahrhundert sei in den Bereichen Wissenschaft und Soziales ein deutlicher Rückschritt im Vergleich zum 23. Jahrhundert, haben mich noch neugieriger auf diese Ära gemacht. Leider wird diese Neugier in Staffel 3 wohl nicht mehr befriedigt werden, sondern frühestens in Season 4. Auch hier gilt wieder: Schade, dass der Writersroom hier andere Prioritäten gesetzt hat!
Fazit
Trotz der oben aufgeführten Kritikpunkte hat mir Folge 12 von allen bisher ausgestrahlten Episoden der dritten Staffel tatsächlich am besten gefallen. Sieht man von der wenig inspirierten Recapture-Storyline auf der Discovery samt Plot Holes und Klischees einmal ab, dann hebt “There Is a Tide…” die Serie an vielen Stellen tatsächlich auf ein höheres Erzählniveau. Zu nennen ist hier vor allem das Verbalduett zwischen Admiral Vance und Osyraa, das sicherlich noch besser funktioniert hätte, wenn man in den Folgen zuvor etwas mehr Worldbuilding betrieben hätte. Andererseits macht es wohl auch Sinn, einige Geheimnisse um die Smaragdkette und die Föderation mit in die vierte Staffel zu nehmen.
Was die narrative Kohärenz des Staffelhandlungsbogens angeht, habe ich durchaus den Eindruck, dass die Fäden in Season 3 schon etwas besser zusammenlaufen als noch in den ersten beiden Staffeln. Andererseits hat man sich in den elf vorherigen Episoden viel zu oft an eher unwichtigen Geschichten abgearbeitet, anstatt diese für ein umfassendes Worldbuilding des 32. Jahrhunderts zu nutzen. Das fällt den Autoren nun am Staffelende etwas auf die Füße. Wobei ich Kenneth Linn gewiss nicht das Bemühen absprechen möchte, wenigstens einige der im Staffelverlauf gesetzten Wegmarken aufzugreifen und sinnvoll zu kontextualisieren.
Man darf auch nicht vergessen, dass der zweite Teil des Staffelepilogs noch fehlt. Erst dann kann man sich ein abschließendes Urteil bilden. Nichtsdestotrotz lässt mich diese absolut unterhaltsame Episode auch mit einem zwiespältigen Gefühl zurück. Selbst wenn “There Is A Tide…” eine der besseren “Discovery”-Episoden darstellt, bleibt für mich der Eindruck: Die Folge wäre noch deutlich besser geworden, wenn man nicht immer dieselben unnötigen Fehler begehen würde.
Bewertung
Handlung der Einzelepisode | [usr 5 max=”6″] |
Stringenz des staffel- und serienübergreifenden Handlungsstrangs | [usr 4.5 max=”6″] |
Stringenz des bekannten Kanons | [usr 4 max=”6″] |
Charakterentwicklung | [usr 5 max=”6″] |
Spannung | [usr 5 max=”6″] |
Action & Effekte | [usr 4 max=”6″] |
Humor | [usr 3 max=”6″] |
Intellektueller Anspruch | [usr 4.5 max=”6″] |
Gesamt | [usr 5 max=”6″] |
Episoden-Infos
Episodennummer | 41 (Staffel 3, Episode 12) |
Originaltitel | There Is A Tide… |
Deutscher Titel | Es gibt Gezeiten… |
Erstausstrahlung USA | Donnerstag, 31. Dezember 2020 |
Erstausstrahlung Deutschland | Freitag, 1. Januar 2021 |
Drehbuch | Kenneth Lin |
Regie | Jonathan Frakes |
Laufzeit | 55 Minuten |
Trekbarometer zu “Discovery” 3×12 – “There Is a Tide”
“Discovery” Season 3 geht auf die Zielgerade und eure Meinung ist auch dieses Mal wieder gefragt. Wie hat euch die vorletzte Episode der Staffel gefallen? Was waren eure Highlights, was hat euch missfallen? Stimmt ab!
Ich kann dem Autor der Rezension in einigen Bereichen nicht folgen. Er bemängelt, dass die Föderation als “Geist” in die Staffel eingeführt wurde, aber hier auf einmal die Smaragdkette eine Partnerschaft eingehen möchte, weil diese so mächtig sei. An anderer Stelle wird explizit angesprochen, dass es Schade sei wie die Galaxis jetzt als zweigeteilt dargestellt wird. Aber das ist doch falsch! Es wurde doch von Vance eindeutig seinerzeit erklärt, dass man nur noch zu einem ganz kleinen Rumpf der Föderation Zugang hat. Die UFP ist nur noch eine kleine lokal agierende Truppe. Womöglich gibt es noch andere Sprenkel, aber sie… Weiterlesen »
Ich kann dem Autor der Rezension in einigen Bereichen nicht folgen. Er bemängelt, dass die Föderation als “Geist” in die Staffel eingeführt wurde, aber hier auf einmal die Smaragdkette eine Partnerschaft eingehen möchte, weil diese so mächtig sei. An anderer Stelle wird explizit angesprochen, dass es Schade sei wie die Galaxis jetzt als zweigeteilt dargestellt wird. Aber das ist doch falsch! Es wurde doch von Vance eindeutig seinerzeit erklärt, dass man nur noch zu einem ganz kleinen Rumpf der Föderation Zugang hat. Die UFP ist nur noch eine kleine lokal agierende Truppe. Womöglich gibt es noch andere Sprenkel, aber sie… Weiterlesen »
Hier darf man aber Spoiler bringen 🙂 Den Anfang der neuen Folge fand ich recht gelungen. Ich finde es ziemlich spannend inszeniert wie die Bösewichtin das Schiff unter Kontrolle hat.. Das ausgerechnet der Bösewicht aus folge 2 der dritten Staffel wiederkehrte war eine coole wenn auch vorhersehbare Überraschung… Aber in zusammenhang mit Tilly ein logischer Kniff… Da er ihre Unsicherheit damals schon bemerkte… Der Flug durch den Transporttunnel fand ich gut inszeniert, vor allem mit dem vielen Trümmern darin… Zum Glück waren die Schilde der Discovery unten und so konnte Books Morphschiff in die Shutzlerampe der Discovery hinein krachen.. unrealistisch… Weiterlesen »
Hier darf man aber Spoiler bringen 🙂 Den Anfang der neuen Folge fand ich recht gelungen. Ich finde es ziemlich spannend inszeniert wie die Bösewichtin das Schiff unter Kontrolle hat.. Das ausgerechnet der Bösewicht aus folge 2 der dritten Staffel wiederkehrte war eine coole wenn auch vorhersehbare Überraschung… Aber in zusammenhang mit Tilly ein logischer Kniff… Da er ihre Unsicherheit damals schon bemerkte… Der Flug durch den Transporttunnel fand ich gut inszeniert, vor allem mit dem vielen Trümmern darin… Zum Glück waren die Schilde der Discovery unten und so konnte Books Morphschiff in die Shutzlerampe der Discovery hinein krachen.. unrealistisch… Weiterlesen »
Danke für die Rezension. Zeigt ja die vielen „Logiklöcher“ gut auf. „Aurellio ist eine Hommage an Kenneth Mitchell und Stephen Hawking“ Halte ich für Hawing sehr weit hergeholt. Ryn und Book zeigen mehr Individualität und Sternenflotteneigenschaften, wie die Crew der Disco. Ryn opfert sich für seine Ideale. Book mal wieder ein Gewinn. Von Book weiß ich inzwischen mehr, wie von den meisten der Brückencrew. Adm Vance am Anfang unentschlossen. Er wartet nur ohne zu handeln. Erkundungsteams?? Verhandlung Adm Vanc und Osyra ziehen sich in die Länge. Wie aufgezeigt fehlt hier dem Zuschauer auch der Hintergrund mangels „Erzählmasse“. Adm Vance liest… Weiterlesen »
Danke für die Rezension. Zeigt ja die vielen „Logiklöcher“ gut auf. „Aurellio ist eine Hommage an Kenneth Mitchell und Stephen Hawking“ Halte ich für Hawing sehr weit hergeholt. Ryn und Book zeigen mehr Individualität und Sternenflotteneigenschaften, wie die Crew der Disco. Ryn opfert sich für seine Ideale. Book mal wieder ein Gewinn. Von Book weiß ich inzwischen mehr, wie von den meisten der Brückencrew. Adm Vance am Anfang unentschlossen. Er wartet nur ohne zu handeln. Erkundungsteams?? Verhandlung Adm Vanc und Osyra ziehen sich in die Länge. Wie aufgezeigt fehlt hier dem Zuschauer auch der Hintergrund mangels „Erzählmasse“. Adm Vance liest… Weiterlesen »