Alle guten Dinge sind drei. “Star Trek: Lower Decks” tauscht in seiner neuen Folge pubertären Humor gegen schrille Satire. Wir reviewen “Temporal Edict” spoilerfrei.
Story
Captain Freeman möchte von der Sternenflotte endlich ernst genommen werden und versucht, die Besatzung auf Effizienz zu drillen. Während Tendi, Rutherford und Boimler mit den verschärften Arbeitsbedingungen zurecht kommen müssen, werden Mariner und Commander Ransom bei einer missglückten diplomatischen Mission auf Gelrak V gefangen genommen.
Diese Woche biegt “Lower Decks” im Strang der Boimler-Story in sozialkritisches Territorium ab, auch wenn dies serientypisch völlig überzeichnet wird. Als schrille Satire gelingt der Serie jedoch in der dritten Episode so erstmals ein ureigenes, relevantes Statement. Statt der seit 50 Jahren eingeübten “Trek”-Platitüden wagt die Serie einen eigenen Gedanken zu entwickeln. Zwar ist der nicht bahnbrechend revolutionär, aber dennoch sehen wir auch in Zukunft gerne mehr Ideen und Themen, die alte “Treks” nicht schon fünf mal vorgekaut haben.
Dialoge und Besetzung
Im Mariner-Plot geht es äußerlich indes recht unoriginell zu, aber das muss es auch nicht. Dient doch die missliche Lage des Außenteams nur als Kulisse, um den Charakteren eine schöne Möglichkeit zum Schlagabtausch zu liefern – und das in doppelter Hinsicht.
Wir erfahren ein bisschen mehr darüber, wie Mariner tickt, während sie sich am ersten Offizier Ransom abarbeitet. Dabei erweist sich Commander Ransom erfreulicherweise nicht als pure Witzfigur, sondern durchaus als empathischer Anführer.
Deutlich problematischer ist da hingegen die Charakterisierung von Captain Freeman. Auch wenn es mit der Darstellung aus dem Pilotfilm konsistent ist, erscheint sie doch als recht schwache Führungspersönlichkeit, die leicht kränk- und reizbar ist. Schwer wiegt auch, dass sie scheinbar wenig Vertrauen in die eigenen oder die Fähigkeiten ihrer Besatzung hat. Auch wenn es eine überzeichnete Arbeitsplatzkomödie ist, erscheint mir ein Michael-Scott-Typus im Captain’s Chair einer “Star Trek”-Serie als hochgradig unpassend und unplausibel. Es ist schwer vorstellbar, dass die Sternenflotte solchen Leuten ein Kommando anvertrauen sollte. Andererseits müssen die ganzen Badmirals der Live-Action-Serien ja auch irgendwo herkommen.
Leider haben Tendi und Rutherford in dieser Folge kaum etwas beizutragen, aber auf Grund der kurzen Laufzeit der Episoden, kann auch nicht jeder Woche jede Figur etwas Aufregendes zu tun bekommen.
Im Vergleich zu den letzten Folgen ist “Temporal Edict” für meinen Geschmack deutlich lustiger und humorvoller. Während mich “Envoys” nur zum Schmunzeln bringen konnte, sitzen Wortwitz und Situationskomik in dieser Folge bis zur letzten denkwürdigen Sekunde.
Kanon und Rahmenhandlung
“Temporal Edict” nutzt seine knappe halbe Stunde, um eine eigenständige Geschichte zu erzählen. Auch wenn der Mariner-Plot immer wieder Kirks Draufgängertum aus “The Original Series” zitiert, lauern diese Woche nicht in jedem Hintergrundbild Dutzende Easter Eggs.
Das tut der Episode aber keinen Abbruch. Stattdessen wirkt “Temporal Edict” wie eine sehr fokussierte Angelegenheit. Nicht nur das Drehbuch von Dave Ihlenfeld und David Wright hat eine klare innere und äußere Handlung. Es ist schön zu sehen, dass die Serie nicht krampfhaft fünf Kanonreferenzen pro Minute abfeuern muss und dennoch unterhalten kann.
Inszenierung
Eine Animationsserie hat bekanntlich den Vorteil, dass sie keine Sets bauen muss, und exotische Spezialeffekte nicht zwingend Kosten verursachen. Ob im Korridor, der Planetenoberfläche oder im Raumanzug auf der Schiffshülle, die Figuren und Hintergründe sind häufig mit vergleichbarem Aufwand zu zeichnen. “Temporal Edict” macht von diesem Umstand ausgiebig Gebrauch und nutzt dies für ein paar originelle Szenen, die wir in “Live-Action-Trek” so nicht unbedingt sehen.
Ein echtes Highlight ist diese Woche auch der Soundtrack von Chris Westlake, der in bester Tradition an Dennis McCarthys, Ron Jones’ und Jay Chattaways Arbeit anknüpfen kann.
Beobachtungen
- Wir sehen nach dem bekannten Raumdock aus “Second Contact” in dieser Folge das erste Kanon-Raumschiff im Zeichentrick-Look: einen klingonischen Bird-of-Prey
- Das LCARS auf der Cerritos scheint je nach Abteilung ein unterschiedliches Farbschema zu nutzen. Während gelb dominiert (schießlich wissen wir seit dem Piloten, dass das Schiff überwiegend “Ops”-Einrichtungen beherbergt), sind die Kontrollen auf der Krankenstation blau.
- Boimler summt im Turbolift die Titelmelodie von “The Next Generation”. Es wäre interessant zu erfahren, welche kanonische Rolle das Musikstück im “Star Trek”-Universum hat.
- Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die erste Szene auf Gelrak V “im Studio” gedreht wurde. Der Boden im Vordergrund endet nach wenigen Metern an einer “Wand”, auf der eine “Landschaftstapete” klebt. So wurden häufig außerirdische Planeten in den Live-Action-Serien gedreht, “Lower Decks” jedoch hat solche Beschränkungen ob des Animationsstils nicht. Sehr schöne, und gut gemachte Hommage.
- Einer der großen Vögel der Galaxie!
- Der letzte Satz der Folge ist einfach Gold wert.
Fazit
Merke: “Lower Decks” kann auch ohne Easter-Egg-Dauerfeuer funktionieren, und das sogar sehr gut. Die Boimler-Story ist eine schrille, aber relevante Satire. Allerdings schafft es dieser Handlungsstrang nicht mehr im Rahmen dessen zu bleiben, was im weitesten Sinne plausibel für die Führungskultur auf einen Sternenflottenschiff gelten kann. Dennoch wird hier erstmalig erkennbar, dass in “Lower Decks” vielleicht doch mehr Substanz steckt als die ersten zwei Folgen erahnen ließen.
Mariners Story mit Ransom unterstreicht indes, dass der Serie nicht daran gelegen ist, sich über ihre Figuren lustig zu machen. Auch wenn es verführerisch aussieht, die Senioroffiziere als Witzfiguren und Antagonisten zu inszenieren, erinnert die Serie immer wieder daran, dass wir es mit fähigen Leuten zu tun haben.
Das größte Problem damit kann aber auch die dritte Folge nicht lösen: Wenn ich die Seniorcrew im steten Wechsel als Plotdevice nutze, um den “Lower Decks” in überzeichneter Weise sehr sternenflottenuntypische Schwierigkeiten zu bereiten, kann ich schlecht an anderer Stelle den Korpsgeist auf der Cerritos heraufbeschwören. Es bleibt zu hoffen, dass die Autoren bald eine konsistente Stimme für die Senioroffiziere finden.
Bewertung
Handlung der Einzelepisode | [usr 4 max=”6″] |
Stringenz des staffel- und serienübergreifenden Handlungsstrangs | [usr 5 max=”6″] |
Stringenz des bekannten Kanons | [usr 3 max=”6″] |
Charakterentwicklung | [usr 4 max=”6″] |
Spannung | [usr 3 max=”6″] |
Action & Effekte | [usr 5 max=”6″] |
Humor | [usr 5 max=”6″] |
Intellektueller Anspruch | [usr 4 max=”6″] |
Gesamt | [usr 5 max=”6″] |
Episoden-Infos
Episodennummer | 1 (Staffel 1, Episode 3) |
Originaltitel | Temporal Edict |
Deutscher Titel | unbekannt |
Erstausstrahlung USA | Donnerstag, 20. August 2020 |
Erstausstrahlung Deutschland | unbekannt |
Drehbuch | Dave Ihlenfeld und David Wright |
Regie | Bob Suarez |
Laufzeit | 24 Minuten |
Mit Rücksicht auf andere Leser, die die Folge noch nicht gesehen haben, bitten wir, in den Kommentaren zu diesem Artikel auf Spoiler zu verzichten. Danke!
Vielen Dank für die Kurtz-Rezension. Hoffentlich müssen wir nicht mehr lange darauf warten, bis es irgendwo im deutschsprachigen Raum startet. Irgendwie glaube ich aus allen Kritiken zu lesen, dass die Serie sich doch Mühe gibt, ein wenig Trek zu sein. Und sie macht Trek nicht einfach “runter”, sondern es ist mit einem grossen Respekt. Ich kann es wirklich nicht mehr erwarten, die Folgen zu sehen.
Vielen Dank für die Kurtz-Rezension. Hoffentlich müssen wir nicht mehr lange darauf warten, bis es irgendwo im deutschsprachigen Raum startet. Irgendwie glaube ich aus allen Kritiken zu lesen, dass die Serie sich doch Mühe gibt, ein wenig Trek zu sein. Und sie macht Trek nicht einfach “runter”, sondern es ist mit einem grossen Respekt. Ich kann es wirklich nicht mehr erwarten, die Folgen zu sehen.