Gut zwei Jahrzehnte lang war es still geworden um Jean-Luc Picard, legendärer Captain des Raumschiffs Enterprise und Vorbild für eine ganze Generation. Mit “Star Trek: Picard” kehrt diese Kultfigur des Science-Fiction-Genres nun zurück auf die heimischen Bildschirme. Und mit der Pilotepisode “Remembrance” legt die neuesten “Star Trek”-Serie dann auch gleich einen gelungenen Start hin, der vor allem bei langjährigen Fans von “The Next Generation” wahre Glücksgefühle auslösen dürfte. Aber auch für Neulinge hat “Picard” einiges zu bieten.
Vorsicht, Spoiler und Spekulation!
Picard wie Matula
Seit dem Moment, an dem ich das grundlegende Serienkonzept von “Star Trek: Picard” erfuhr, hatte ich immer irgendwie das Gefühl, ein kleines Déjà-vu zu erleben: Ein beliebter Schauspieler, der über Jahrzehnte mit einer Serien-Kultfigur in Verbindung gebracht wird, kehrt im hohen Alter in seine Paraderolle zurück, um seinem Alter Ego in etwas veränderter Form zu einem unerwarteten Comeback zu verhelfen. Moment! Das gab es doch schon einmal und zwar vor noch nicht allzu langer Zeit.
Und dann hat es am Freitag bei mir plötzlich “klick” gemacht: Was Jean-Luc Picard für Patrick Stewart ist, ist Josef Matula für Claus Theo Gärtner. Gärtner ermittelte über 30 Jahre lang als lässig-cooler Privatdetektiv gemeinsam mit seinen mehrmals wechselnden Anwaltspartnern in Frankfurt am Main. “Ein Fall für zwei” schrieb deutsche Fernsehgeschichte und Josef Matula war für mich seit meiner Kindheit die unangefochtene Nummer Eins unter den TV-Ermittlern. Doch als vor einigen Jahren der “Ein Fall für zwei”-Ableger “Matula” für das Jahr 2017 – rund vier Jahre nach dem Ende der Serie – angekündigt wurde, war ich freudig und skeptisch zugleich: Kann Claus Theo Gärtner den all die Jahre so robusten Privatdetektiv auch noch mit Mitte 70 verkörpern? Wirkt es nicht vielleicht peinlich, wenn ein rüstiger Rentner einen auf Privatschnüffler macht? Und wird die Kultfigur Matula damit nicht vielleicht sogar nachträglich zerstört werden?
Zugegeben, “Matula” ist schon allein in Bezug auf das Serienkonzept deutlich anders als “Ein Fall für zwei”. Und die Figur Matula ist in “Matula” auch irgendwie anders als in der Vorgängerserie, eben älter und weniger dynamisch. Aber mir hat es trotzdem gefallen, wie man Matula neue Facetten hinzugefügt hat. Denn im Kern ist Matula einfach Matula geblieben.
Und tatsächlich ähneln sich die Konzepte von “Matula” und “Picard” auf verblüffende Weise. Beide Serie zeigen einen gealterten Protagonisten in einer völlig neuen Lebenssituation. Und in beiden Serien ist dieser Protagonist dann auch sehr unzufrieden mit seinem neuen Leben. Ebenso wie Matula sucht auch Picard eine neue Aufgabe, beide spüren die innere Verpflichtung, einem Rätsel – einer Ungerechtigkeit – nachzugehen. Und beide haben einen Hund an ihrer Seite – Matula hat Dr. Renz, Picard hat Number One.
“Be the captain they remember!”
Zhaban
Und wie zuvor schon bei “Matula” durfte ich auch am vergangenen Freitag erleichtert feststellen, dass der Jean-Luc Picard, der gemeinsam mit Lt. Commander Data der Held meiner Kindheit war, auch in “Picard” immer noch derjenige Mann ist, an den ich mich mit großer Freude zurückerinnere. Sicher, der wiedergekehrte Picard ist älter, körperlich gebrechlicher und pessimistischer als früher. Und er ist auch ganz schön verbittert. Aber so viele Facetten dieses ikonischen Charakters sind doch geblieben, wie die rund 45 Minuten von “Remembrance” eindrucksvoll belegen: Der ehrbare Humanist, der begabte Rhetoriker, der zuhörende Philanthrop, der Gerechtigkeitsfanatiker, der (groß-)väterliche Freund und vor allem der reflektierte Philosoph, der die Gesellschaft, aber auch sich selbst stets im Kontext einer ganzen Welt (oder besser: Galaxis) denkt. Cogito ergo sum – “Ich denke, also bin ich”.
“Sitting here, all these years nursing my offended dignity (…) I never asked anything of myself at all. I haven’t been living. I’ve been waiting to die.”
Jean-Luc Picard
Doch dieser Picard hat etwas erlebt, das sein Leben und sein Selbstbild völlig aus den Angeln gehoben hat. Oder ist es vielmehr die Summe von Ereignissen? Nimmt man die vergangenen zwei Jahrzehnte zur Grundlage, dann sind hier einerseits der Tod seines engen Freundes Data sowie zweitens die fehlgeschlagene Mission zur Rettung der Romulaner zu nennen. Vor allem sein persönliches Scheitern, so Picards Selbstwahrnehmung, verursacht beim Admiral a.D. auch nach mehr als einer Dekade immer noch großen Schmerz. Daran kann auch die Tatsache, dass Picard selbst zwei romulanischen Flüchtlingen ein neues Zuhause geschenkt hat, nichts ändern.
Aber wenn man Picard in “Remembrance” genau zuhört, dann ist da noch etwas anderes, das ihn tief betrübt. Seit dem desaströsen Angriff auf den Mars gelten sogenannte “Synthetische”, ein Synonym für Androiden (und andere kybernetische Lebensformen, wohl aber keine Hologramme), in der Föderation als Ausgeburt des Bösen. Dementsprechend sind alle verbliebenen Exemplare dieser Art aus der Lebenswelt der Föderation (und wohl auch darüber hinaus) verbannt worden. Und eben jede Tatsache quält Picard auf zweierlei Weise: Zum einen wird das Lebenswerk von Data, der sich in “Nemesis” für Picard, die Enterprise-Crew und letztendlich wohl auch für die gesamte Menschheit opferte, nicht nur entwürdigt, sondern gar in den Schmutz gezogen. Picards entsetzte Reaktion auf den latenten Vorwurf der FNN-Journalisten gegenüber Data spricht hier Bände. Zum anderen wird damit auch ein für Picard sehr wichtiges Lebenswerk zerstört, denn er war es schließlich, der sich immer mit voller Inbrunst für die Persönlichkeitsrechte von Data eingesetzt hatte – auch unter Gefährdung seiner eigenen Karriere (“The Next Generation”-Folgen 2×09 “Wem gehört Data” und 3×16 “Datas Nachkomme”).
Trotz alledem ist dieser Jean-Luc Picard ganz sicher nicht der gebrochene Mann, den viele langjährige “TNG”-Fans nach Patrick Stewarts Ankündigungen erwartet (oder eher befürchtet) hatten. Ja, dieser Picard ist nicht mehr derjenige aus “TNG”, aber er ist auch kein eremitisch lebender Exilant, der sich in Frankreich ein Refugium vor einer dystopischen Version der Föderation suchen musste. Was man bisher von der Föderation gesehen hat, deutet darauf hin, dass sich die politischen Verhältnisse scheinbar etwas verschoben haben – aber wohl innerhalb und nicht außerhalb des demokratischen Spektrums. Einen radikalen Systemwechsel hat es innerhalb der Föderation wohl eher nicht gegeben, wohl aber einen dezidierten Politikwechsel. Und Picard lebt weit weniger zurückgezogen, als dies etwa bei Bruce Wayne in “The Dark Knight Rises” der Fall gewesen ist. Picards Heimat ist nun eben La Barre und nicht mehr das All. Und trotzdem lebt er in Gesellschaft und nicht isoliert. Vielmehr wirkt seine Beziehung zu Zhaban und Laris sehr familiär, beide stehen ihm loyal und fürsorglich zur Seite.
Über die Schauspielkunst von Sir Patrick Stewart muss man an dieser Stelle eigentlich keine weiteren Worte verlieren. Dieser Mann versteht sein Handwerk einfach. Und auch wenn seine Stimme vielleicht etwas an Kraft verloren hat, so weiß er doch in jeder Szene, wie er dies durch Intonation, Gestik und Mimik kompensieren kann. Es ist bemerkenswert, dass Stewart nach fast zwei Jahrzehnten Picard-Pause überhaupt keine Anlaufzeit benötigt, um in seine alte Rolle zurückzufinden. Aber 15 Jahre Jean-Luc Picard schüttelt man glücklicherweise auch nicht so einfach aus den Kleidern.
Data reloaded?
Als eine junge Frau namens Dahj Picard nun um Hilfe bittet und Picard in ihr eine “Essenz” von Data erkennt, muss Picard einmal mehr binnen zwei Jahrzehnten die bittere Erfahrung machen, dass er hilflos mit ansehen muss, wie eine Tragödie ihren Lauf nimmt. In “Nemesis” war Picard mental paralysiert und konnte deshalb Datas Tod nicht verhindern. Im Falle der romulanischen Supernova hinderten ihn die Strukturen daran, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Und in “Remembrance” ist es nun sein gealterter Körper, der es ihm unmöglich macht, rettend einzugreifen.
Doch Picard wäre nicht Picard, wenn er nach nur einem Rückschlag schon die Flinte ins Korn werfen würde. Und so reist Picard nach Okinawa, um im Daystrom Institut, der renommiertesten Forschungseinrichtung der Föderation, Antworten zu finden. Dort trifft er auf die etwas “weird” wirkende Agnes Jurati (Alison Pill), eine desillusionierte Kybernetikerin, die sich nach dem Androiden-Bann mit langweiliger Theorie-Arbeit rumschlagen muss.
Mir hat der kurze Auftritt dieser Figur sehr gut gefallen. Sie wirkt klug, sympathisch, aber bedient auch irgendwie das bekannte Klischee eines “verrückten Professors”. Das dürfte in den kommenden Episoden sicher für einige witzige Momente sorgen und die erkennbaren charakterlichen Parallelen zu Dr. Noonian Soong sind wohl auch nicht zufälligerweise Bestandteil dieses Charakters.
“Maddox‘s (…) theory was that Data’s entire code, even his memories, could be reconstituted from a single positronic neuron.”
Dr. Agnes Jurati
“Then Data, or some part of him – an essence of him – would be alive.”
Jean-Luc Picard
Bedeutend mehr als ein simpler Fan-Service ist ganz sicher die Erwähnung von Bruce Maddox, jenem Kybernetiker, der schon vor über 30 Jahren Data vervielfältigen wollte, aber stets an dieser Aufgabe gescheitert war. Zumindest bis “Picard”. Bereits im Vorfeld war im Fandom über eine Rückkehr von Maddox spekuliert worden und es scheint so, als werden wir diesen Charakter tatsächlich nach 32 Jahren (!) wieder in “Star Trek” zu Gesicht bekommen.
An dieser Stelle kann ich meine Begeisterung kaum in Worte fassen: Die Autoren haben wirklich tief in die “Star Trek”-Historie hineingeschaut und sich in dem schier unendlichen Fundus an spannenden Kanon-Anknüpfungspunkten bedient. Ob die Geschichte um Dahj, Soji, Data, Maddox und das “fractal neuronic cloning” am Ende wirklich etwas taugt oder vielleicht doch ein Rohrkrepierer wie der “Rote Engel” in der zweiten “Discovery”-Staffel werden wird, muss die restliche Staffel zeigen. Auch wenn diesbezüglich gewisse Ungereimtheiten (warum hat ein Klon mit positronischem Gehirn Superkräfte?) und Kanon-Schwierigkeiten (Hallo, schon mal was von Juliana Tainer gehört?) zu monieren sind, bin ich von der Story doch durchaus angetan und denke, dass diese Geschichte eine geeignete Grundlage für einen spannenden Trek zu den Sternen werden könnte.
Erfreulicherweise hat man in den neu eingeführten Handlungssträngen viele Bezüge zu den vorherigen “Star Trek”-Produktionen hergestellt, wie etwa Datas Bestreben sich “fortzupflanzen”, Picards Familientradition und natürlich auch die Thematik der romulanischen Supernova aus “Star Trek” von 2009. Viele Alt-Fans werden sich zudem noch an Lal aus “Datas Nachkomme” erinnern, deren Leben leider nur von kurzer Dauer gewesen war. Ein Gemälde, das Data einst von ihr malte, war für Maddox wohl die Grundlage für die Erschaffung zweier “neuer Lals”.
Absolut erfreut bin ich zudem über die Tatsache, dass B-4 nicht einfach zu einem neuen Data geworden ist. Denn genau das hatte die Schlussszene von “Nemesis” nämlich suggeriert. Dass man die Hoffnung, Datas Tod sei durch B-4 womöglich reversibel, nach all den Jahren nun mit einem einfachen Nebensatz einfach so vom Tisch wischt, ist für den langjährigen Fan schockierend und erleichternd zugleich. Schockierend deshalb, weil man sich gut zwei Jahrzehnte irgendwie an diese Szene geklammert hatte. Erleichternd deshalb, weil es einfach armseliges, da wenig inspiriertes Story Writing gewesen wäre. Nein, wenn tatsächlich eine “Essenz” von Data überlebt haben sollte, dann muss Picard einfach darum kämpfen, Datas Renaissance herbeizuführen.
Manch einer wird an dieser Stelle beklagen, dass eine solche “Er/Sie ist nicht wirklich tot”-Story schon viel zu oft in “Star Trek” erzählt worden ist – mal gut, mal weniger gut. Prominente Beispiele hierfür sind Spock, Dax oder auch Culber. Aber ich glaube nicht, dass es hier nur um Data geht. Es geht vielmehr um Datas Erbe, den wahrhaftigen Sinn seiner Existenz. Es geht um seine “Kinder” und um deren Recht, ein vollwertiger Teil der galaktischen Gemeinschaft zu sein. Es geht um Datas und Picards Lebenswerk – und damit auch irgendwie um das Vermächtnis von “The Next Generation”.
Und das ist doch eigentlich genau das, was wir uns endlich mal wieder gewünscht haben: Gebt uns ein philosophisches, ein anthropologisches Thema, an dem wir uns abarbeiten können! Ich bin guter Dinge, dass “Picard” uns wirklich ein Stück geistig anspruchsvolles “Star Trek” zurückgeben könnte. Aber ein Rest Skepsis bleibt natürlich, die schlechten Erfahrungen mit “Discovery” haben Wunden hinterlassen.
Ein neuer, alter Ton
Was die Inszenierung von “Picard” betrifft, bin ich wirklich positiv überrascht. Die visuelle und auditive Kontinuität zwischen “The Next Generation” (und damit auch “Deep Space Nine” und “Voyager”) und “Picard” ist beinahe durchweg gelungen. Sieht man von einigen “Discovery”-Shuttles ab, dann fühlt sich das einfach wie das bekannte “Star Trek” der 90er an, nur eben in 4K und technisch auf den neusten Stand gebracht.
Zu erwarten gewesen war allerdings das Problem, die rund 140-jährige zeitliche Distanz zwischen “Discovery” und “Picard” auch visuell glaubwürdig umsetzen zu können. Hier muss man leider sagen, dass man “Picard” eine entsprechende technische Weiterentwicklung zwischen den 2250er- und den 2390er-Jahren leider nicht abnimmt. Zum Vergleich: Zwischen “Discovery” und “Picard” liegen ungefähr genauso viele Jahre des technischen Fortschritts wie zwischen uns (2020) und dem Kaiserreich. Das Problem liegt hier aber weniger an einem zu altmodischen “Picard” als an einem zu modernen “Discovery”.
Sicherlich ist eine optische Verwandtschaft mit “Discovery” unübersehbar und das dürfte gewiss auch so angedacht gewesen sein. Nichtsdestotrotz unterscheidet sich “Picard” in der Machart und der narrativen Klaviatur ganz eindeutig von der Vorgängerserie. “Picard” ist dialogorientierter, ohne gänzlich lahm zu sein. Die ruhigen Szenen werden immer wieder durch dynamische Momente, seien es Luftaufnahmen (Boston, San Francisco, Paris, Okinawa) oder auch Flucht- und Kampfszenen, unterbrochen. Dadurch erhält “Picard” eine ganz individuelle Dramaturgie, die mich eindeutig an “The Next Generation” und (mehr noch) “Deep Space Nine” erinnert, ohne den Stil dieser beiden Serie jedoch eins zu eins zu kopieren.
Im Gegensatz zu “Discovery” sind die Dialoge hier auch weitaus organischer, authentischer und weniger pathetisch geschrieben. Auch wenn der weise (und greise) Jean-Luc Picard hier ganz klar im Mittelpunkt steht, wirkt dieser Protagonisten-Zentrismus hier keinesfalls so übertrieben wie in “Discovery”. Das Drama um Jean-Luc Picard verkommt glücklicherweise nicht zu der Quasi-Seifenoper, die wir vor allem in “Discovery”-Season 2 in Bezug auf Burnham vorgesetzt bekommen haben.
Sicherlich ist Sir Patrick Stewart auch schauspielerisch ein ganz anderes Kaliber als Sonequa Martin-Green, aber trotzdem liegt hier die Vermutung nahe, dass sowohl die Drehbücher als auch das Inszenierungskonzept von “Picard” einfach besser sind. Regisseurin Hanelle M. Culpepper hat hier wirklich eine ganz tolle Performance hingelegt.
Insbesondere die Interview-Szene ist sehr gelungen und für mich das absolute Highlight der Episode. Das Wechselspiel der Einstellungen – mal die Totale, mal die Journalistin, mal Picard, mal Picards Hände – ist überragend, ebenso wie die musikalische Untermalung dieser Szene durch Jeff Russo.
Was die Titelsequenz betrifft, so erinnern mich sowohl Stil als auch Titelmusik sehr stark an die beiden Serien “Band of Brothers” und “The Pacific” oder auch an “James Bond 007”. Das einfache Sternenfeld vergangener Tage ist (leider) out, wobei die Grafiken der Titelsequenz wohl auch besser zu “Picard” passen als ein Raumschiff, das durchs All rauscht. Auch die eher langsame und klassisch anmutende Titelmusik (ressikanische Flöte!) ist grundsätzlich stimmig, nur fehlt es dem Stück leider etwas an Wiedererkennungswert und Klang-Power. Ein Ohrwurm, wie seinerzeit die bombastischen und sehr einprägenden Main Themes von “The Next Generation”, “Deep Space Nine” und “Voyager”, ist das “Picard”-Theme leider nicht. So gut es Jeff Russo auch verstehen mag, Spielszenen musikalisch zu untermalen, so austauschbar und kraftlos finde ich hingegen dessen Main Themes. Dennis McCarthy und Jerry Goldsmith hatten hierfür ein besseres Gespür.
Look in the mirror … and see yourself!
Schon im Vorfeld der Premiere wurde darüber spekuliert, wie politisch oder auch gesellschaftskritisch “Star Trek: Picard” werden wird. Und wie viel eigene politische Meinung Sir Patrick Stewart – langjähriger Anhänger der Labour Party sowie entschiedener Trump- und Brexit-Kritiker – in sein Alter Ego Jean-Luc Picard einfließen lassen wird.
“Remembrance” gibt hierauf bisher nur im Ansatz Antworten. Ersichtlich wird ganz sicher, dass sowohl aktuelle wie auch historisch wiederkehrende politische und gesellschaftliche Themen Teil der “Picard”-Narration sein werden. “Star Trek” ist dafür bekannt, aktuelle politisch-gesellschaftliche Themen in verfremdeter Form auf den Bildschirm zu bringen und Lösungsansätzen für diese zur Diskussion zu stellen. Inwiefern “Picard” tatsächlich verfremden wird, müssen die kommenden Episoden noch zeigen. Die Anspielung auf die Flüchtlingsthematik (hier: Zerstörung von Romulus) unserer Zeit ist unverkennbar, ebenso wie die Verzahnung dieses Themas mit dem 9/11 (hier: Mars-Attacke) als historische Zäsur für die politische Kultur und das Selbstverständnis des Westens.
“Why did you really quit Starfleet?”
“Because it was no longer Starfleet!”
Eine FNN-Journalistin und Picard im Interview
Ich für meinen Teil hoffe, dass uns die Serie nicht nur die Perspektive Picards präsentieren wird, sondern zugleich auch die aktuelle Haltung der Sternenflotte/Föderation zu erklären versucht. Und ich hoffe, dass wir in dieser Frage keine einfachen Wahrheiten vorgesetzt bekommen werden, sondern dass die Komplexität gesellschaftlicher und politischer Probleme auch entsprechend abgebildet wird, so wie sich das für gutes “Star Trek” auch gehört.
Sehr interessant wäre es, wenn man die Föderation wirklich einmal zerstritten zeigen würde. In “Discovery” äußerte Mudd beispielsweise Kritik an der fortlaufenden Expansion der Föderation, während Picard sich im Interview klar gegen eine isolationistische Politik positioniert. An dieser Stelle manifestiert sich die reale Diskussion um die weltpolitische Rolle der USA, die sich in den vergangenen 100 Jahren zwischen den beiden Polen Isolationismus und Interventionismus bewegt hat, ebenso wie die Frage nach dem aktuellen Zustand des sogenannten transatlantischen Bandes. Es wäre demnach nur logisch, wenn “Star Trek” dem sich in einer Krise befindlichen “Westen” den Spiegel vorhält.
Neben Picards regelrechtem Zorn über die isolationistische Politik der Föderation sind mir in der Interview-Szene zwei weitere gesellschaftsreflektierende Aspekte aufgefallen.
Einerseits verhält sich die FNN-Journalistin sehr fragwürdig, da sie sich nicht an vorab getroffene Vereinbarungen hält und Picard stattdessen in einer fast schon anklagenden Weise zu provozieren versucht, was ihr schlussendlich auch ein wenig gelingt. Sie verlässt ihre Rolle als objektive Fragestellerin und nimmt stattdessen die Rolle einer parteiischen, sich moralisch überlegen fühlenden Anklägerin ein. Ob diese Journalistin hier nur als Plot Device dient oder ob es sich bei deren Darstellung vielleicht sogar um eine latente Kritik an einigen Vertretern des zeitgenössischen Journalismus handeln könnte, muss jeder für sich selbst bewerten.
“And you, my dear, you have no idea what Dunkirk is, right?
You’re a stranger to history.”
Picard zur FNN-Journalistin
“(…) writing books of history people prefer to forget.(…)”
Jean-Luc Picard
Des Weiteren kritisiert Picard eine sich in der Gesellschaft breitmachende Geschichtsvergessenheit, die dazu führt, dass man einerseits die Errungenschaften der Menschheit nicht mehr zu würdigen weiß und andererseits die Fähigkeit verliert, sich in die Lage anderer Menschen oder auch Gruppen hineinzuversetzen, denen es weitaus weniger gut ergangen ist. Auch an dieser Stelle soll “Picard” uns wohl den Spiegel vorhalten. Diese These wird durch eine weitere Szene unterstützt, in welcher Picard beklagt, die Gesellschaft interessiere sich nicht mehr für historiografische Bücher.
Betrachtet man wiederum die Rolle der Romulaner, dann scheint das eingetroffen zu sein, was im Vorfeld schon vermutet worden war: Die Romulaner gibt es in “Star Trek: Picard” nicht mehr. Vielmehr haben wir es hier mit ganz verschiedenen Romulanern zu tun – “guten” und “bösen”, Zivilisten und Agenten, Freunden und Feinden.
Bis in die frühen 2000er-Jahre hinein hatte “Star Trek” nicht selten die Eigenart, die verschiedenen Alien-Völker als monolithische “Black Boxes” darzustellen. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Nur sehr selten wurden diese Gesellschaften interessenpluralistisch charakterisiert. Dementsprechend wurden interstellare Konflikte auch primär als “zwischenstaatliche” Angelegenheiten gezeigt.
Mit “Picard” scheint “Star Trek” nun endgültig im 21. Jahrhundert angekommen zu sein, also in einem Jahrhundert, in welchem sogenannte “asymmetrische” Konflikte zur Regel und zwischenstaatliche Kriege eher zur Ausnahme geworden sind. “Picard” zeigt uns eine Welt, in der die Bedrohungen für Freiheit und Sicherheit viel diffuser sind. Und in welcher folglich auch das Differenzieren zwischen Freund und Feind sowie zwischen Gefahr und Chance schwieriger geworden ist. Während die alten Serien nicht selten durch einen vereinfachenden Dualismus zwischen Gut und Böse geprägt waren, dürfte “Picard” hingegen bedeutend unübersichtlicher werden.
Dies ist zweifelsohne eine Abkehr vom Eskapismus, der seinerzeit “The Next Generation” geprägt hatte. Bis auf einige Ausnahmen war in “TNG” immer klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Die Welt war so herrlich einfach, wie sich das die Menschen von heute gerne wünschen – oder manche auch gerne einreden. “Picard” scheint hier jedoch einen realistischeren Ton anzuschlagen, was mir persönlich sehr zugesagt. Aber es bestätigt eben auch die schon vor Wochen getätigten Aussagen von Patrick Stewart und Alex Kurtzman: “Star Trek: Picard” wird kein “Star Trek: The Next Generation” 2.0 werden. Dieser Ansatz gefällt womöglich nicht allen, ist aber eben auch der heutigen Zeit geschuldet. Denn die Ära der “End of History” ist schon lange Geschichte.
Picard Trek Into Darkness
Wohin wird uns “Star Trek: Picard” führen? Schon die Pilotepisode hat gleich mehrere Erzählstränge eingeführt, die für den Rest der ersten Staffel (und vielleicht sogar darüber hinaus?) großes Potenzial für spannende Geschichten und Charakterentwicklungen bieten. Aus der Erfahrung mit den beiden ersten Staffeln von “Discovery” wissen wir allerdings, dass ein guter Start auch sehr schnell ins Gegenteil verdreht werden kann. Ich selbst bin immer noch nicht ganz darüber hinweg, wie man die Story um den “Roten Engel” ab der Mitte der zweiten Staffel regelrecht gegen die Wand gefahren hat. Man kann nur hoffen, dass “Picard” hier einen anderen Weg nehmen wird.
Folgende Fragen haben sich bisher ergeben:
- Warum hat die Föderation nach Datas Tod plötzlich angefangen, eine “ganze Armee” (Maddox in “Wem gehört Data?”) von Androiden zu bauen? Ein solches Vorgehen konterkariert eigentlich das Ergebnis von Datas Grundrechte-Prozess von 2365.
- Warum genau hat Picard die Sternenflotte verlassen und wie tief ist der Bruch tatsächlich?
- Warum haben die “Synths” den Mars angegriffen? Picard deutet an, dass man in all den Jahren nie wirklich geklärt hat, welche Motive die Androiden hatten. Steckt vielleicht ein Komplott dahinter und könnte womöglich die Sternenflotte darin involviert sein?
- Wo ist Bruce Maddox?
- Wie viel Data steckt(e) in Dahj und Soji?
- Wer ist Dahjs Mutter?
- Wer sind Dahjs Mörder und warum können sie sich so frei auf der Erde bewegen?
- Was verbirgt sich hinter dem von den Romulanern kontrollierten Borg-Kubus (Romulan Reclamation Site)?
- Was macht Soji Asha dort?
- Wer ist Narek, welche Ziele verfolgt er und was hat es mit dem Tod seines Bruders auf sich?
Das unentdeckte Land
An dieser Stelle möchte ich etwas spekulieren: Wie könnte es in den kommenden Episoden weitergehen? Wer ohne jedwedes Gedankenspiel in die zweite Episode gehen möchte, sollte dieses Kapitel demnach besser überspringen.
Picard wird sich wohl auf die Suche nach Maddox begeben wollen. Hierfür bittet er die Sternenflotte um Hilfe, die dessen Hilfegesuch jedoch zurückweisen wird. Also muss sich Picard ein privates Schiff mit einer privaten Crew zusammenstellen.
Wenn ich Picard wäre, würde ich Maddox auf Terlina III suchen. Dort lebte Dr. Noonian Soong bis zu seinem Tod in “Die ungleichen Brüder” (“TNG” 4×03) im Jahr 2367. Was mit Soongs Labor (inkusive Aufzeichnungen) passiert ist, haben wir nie erfahren. Womöglich wusste Maddox von diesem Ort und hat sich dorthin begeben, um im Geheimen (illegal) weiterzuforschen.
Die zweite Episode (“PIC” 1×02) der ersten Staffel trägt den Titel “Maps and Legends” und wird am kommenden Freitag, den 31. Januar 2020, hierzulande abrufbar sein.
Fazit
“Remembrance” hat bei mir unzweifelhaft ein Gefühl vom “Heimkehr” ausgelöst, denn die Episode fühlt sich einfach an vielen Stellen extrem nach “meinem Star Trek” aus den 90ern an. Die Episode ist so vollgepackt mit Kanon-Referenzen und alten Sehgewohnheiten, dass man als “The Next Generation”-Fan einfach emotional mitgerissen wird. Schon allein die erste Szene auf der Enterprise-D verfehlt ihre Wirkung nicht.
Auch wenn das in “Picard” beschriebene Universum sich verändert hat, ist es für mich doch zu jeder Zeit wiederzuerkennen. Gleiches gilt natürlich auch für Picard, selbst wenn sich dieser nun in einer völlig anderen Lebens- und Gefühlslage befindet. Von den neuen Hauptcharakteren werden lediglich Dahj/Soji (Isa Briones) und Dr. Agnes Jurati (Alison Pill) in längeren Szenen eingeführt, machen aber beide einen sehr guten Ersteindruck, was im Übrigen auch für die schauspielerische Leistung der beiden Darstellerinnen gilt. Vor allem Isa Briones spielt überzeugend und kann an der Seite einer Legende wie Patrick Stewart ohne Probleme bestehen. Orla Brady (Laris) und Jamie McShane (Zhaban) machen ihre Sache auch sehr gut, werden im weiteren Verlauf der ersten Staffel aber wohl nicht mehr sehr häufig in Erscheinung treten. Harry Treadaways (Narek) Auftritt ist zu kurz, um ihn schon seriös bewerten zu können.
In Bezug auf die Inszenierung von “Picard” lässt sich festhalten, dass der Stil der Serie, eine Mischung aus ruhiger, dialogorientierter Narration und dynamischen Actionszenen, auf den ersten Blick sehr gut zu funktionieren scheint. Ein Erzählstil, wie er in etwa “TNG” praktiziert worden ist, war keinesfalls zu erwarten und wäre im Jahr 2020 auch alles andere als ratsam. Gleichwohl kopiert “Picard” glücklicherweise den modernen (und mir teilweise zu hektischen) Stil von “Discovery” nicht einfach, sondern geht einen ganz eigenen Weg. Vor allem die Dialoge wirken weitaus weniger pathetisch und überdramatisiert wie noch in “Discovery”.
Handlungstechnisch ist “Picard” weit davon entfernt, eine reine “Charakterstudie” über den gealterten Jean-Luc Picard zu sein. Auch wenn der Serientitel anderes vermuten lässt, erscheint mir die Handlung derart breit angelegt, dass Picard zwar den Fixpunkt, nicht notwendigerweise aber auch die Essenz der erzählten Geschichte darstellt. Jedenfalls hatte ich in den ersten 45 Minuten nicht den Eindruck, dass die Fixierung auf Picard derart unangenehm penetrant und künstlich daherkommt wie die exzessiv zelebrierte “Michael Burnham-Show” in der zweiten Staffel von “Discovery”.
Gut gefallen haben mir auch die gesellschaftsreflektierenden Untertöne, weil ich der Meinung bin, dass das einfach zu einer guten “Star Trek”-Episode dazugehört – vor allem dann, wenn “based upon Star Trek: The Next Generation” in den Credits steht. Allerdings würde ich mir wünschen, dass “Picard” verschiedene Sichtweisen präsentiert, alle Perspektiven kritisch hinterfragt und es unterlässt, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben. Die Welt ist nicht einfach, das Leben ist nicht einfach und gerade “Star Trek” sollte diesen Umstand auch prominent herausstellen. Die utopistische Botschaft, für die “Star Trek” früher immer stand, muss dem Zuschauer in meinen Augen auch nicht unbedingt auf dem Präsentierteller serviert werden. Selbst wenn die Föderation einmal für eine gewisse Zeit von ihrem Weg abgekommen ist, nimmt das “Star Trek” nicht gleich dessen Utopie-Charakter. Denn wir haben schließlich noch Picard und seine Crew für diesen Job!
Ein abschließendes Urteil über “Remembrance” fällt mir an dieser Stelle noch etwas schwer, weil ich das Gefühl habe, dass man mindestens die ersten zwei, drei, wenn nicht sogar fünf Episoden als Block betrachten und bewerten sollte. Es macht in meinen Augen schlichtweg keinen Sinn, diese Serie nach gerade einmal 45 Minuten Laufzeit schon auf mögliche Plot Holes (die es sicher auch in “Remembrance” gibt), vermeintliche Kanon-Brüche oder eine fragwürdige Figuren-Konzeption hin sezieren zu wollen. Man sollte sich einfach die nötige Zeit nehmen, bevor man in die Tiefenanalyse geht. Eine Pilotepisode hat in meinen Augen primär das Ziel, das grundlegende Setting zu beschreiben, den Kurs der Handlung anzudeuten sowie die Protagonisten einzuführen. Meiner Meinung nach hat “Remenbrance” diesbezüglich absolut geliefert. Wer hingegen schon vom allerersten Moment an mit der Einstellung an die Serie herangeht, unbedingt das Haar in der Suppe finden zu müssen, wird auch sicher eines finden.
Ich für meinen Teil bin einfach nur unglaublich froh, dass ich Patrick Stewart und Brent Spiner noch einmal in ihren Paraderollen sehen darf.
Bewertung
Handlung der Einzelepisode | [usr 4,5 max=”6″] |
Funktion als Pilotepisode | [usr 6 max=”6″] |
Stringenz des bekannten Kanons | [usr 5 max=”6″] |
Charakterentwicklung | [usr 5 max=”6″] |
Spannung | [usr 5 max=”6″] |
Action & Effekte | [usr 4 max=”6″] |
Humor | [usr 3 max=”6″] |
Gesamt | [usr 5 max=”6″] |
Episoden-Infos
Episoden-Nummer | 1 (Staffel 1, Episode 1) |
Originaltitel | Remembrance |
Deutscher Titel | Gedenken |
Erstausstrahlung USA | Donnerstag, 23. Januar 2020 |
Erstausstrahlung Deutschland | Freitag, 24. Januar 2020 |
Drehbuch | Akiva Goldsman, Michael Chabon, Kirsten Beyer, Alex Kurtzman, James Duff |
Regie | Hanelle M. Culpepper |
Laufzeit | 45 Minuten |