Die sechste Episode der zweiten Staffel von “Star Trek: Discovery” mit dem Titel “The Sounds of Thunder” (“Donnergrollen”) hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite wird eine interessante Geschichte erzählt, die einmal mehr den spannenden Charakter Saru (Doug Jones) in den Mittelpunkt stellt. Auf der anderen Seite gibt das Drehbuch an einigen Stellen Anlass für Kritik.
Vorsicht Spoiler!
Die Handlung
Als ein neues rotes Signal über Sarus Heimatplaneten Kaminar erscheint, begibt sich die Discovery umgehend dorthin. Saru muss sich darüber im Klaren werden, ob er seinem Volk die Wahrheit über das Vahar’ai wirklich vorenthalten kann. Denn dies würde bedeuten, dass die Kelpianer weiterhin das Schicksal einer Beutespezies fristen müssen. Andererseits ist es als Offizier der Sternenflotte seine Pflicht, die Nichteinmischungsvorschrift der „General Order 1“ zu achten. Dies führt schließlich zu einem Konflikt mit Captain Pike.
Burnham und Saru beamen auf Kaminar und treffen dort auf Sarus Schwester Siranna. Diese macht Saru Vorwürfe wegen dessen überstürzter Flucht vor achtzehn Jahren. Gleichzeitig freut sie sich für ihren Bruder, dass er fernab der Heimat sein Glück gefunden hat.
Das Erscheinen der Discovery und insbesondere Sarus Rückkehr ruft indes die Ba’ul auf den Plan. Die Prädatoren-Spezies von Kaminar sieht das „Große Gleichgewicht“ durch Sarus Evolutionssprung nach seinem Vahar’ai gefährdet und setzt daher alles daran, Saru zu eliminieren. Captain Pike und seine Mannschaft ergreifen daraufhin Partei für die Kelpianer und setzen die Technologie der Ba’ul auf Kaminar dazu ein, ein planetenweites Vahar’ai bei den Kelpianern auszulösen und diese somit aus der Knechtschaft der Ba’ul zu befreien. Die Ba’ul beginnen daraufhin eine Gegenoffensive, welche die vollständige Vernichtung der Kelpianer zum Ziel hat. Doch bevor dieser Genozid in die Tat umgesetzt werden kann, erscheint der Rote Engel und neutralisiert die Waffen der Ba’ul. Anschließend verschwindet der Engel erneut.
Kaminar steht nun vor einem Neuanfang, das „Große Gleichgewicht“ ist Geschichte. Das erwachte Volk der Keplianer und die geschlagenen Ba’ul müssen nun einen Weg zur friedlichen Koexistenz finden.
Derweil beschließt Commander Burnham es Saru gleichzutun und nach Vulcan heimzukehren, um dort Antworten auf wichtige Fragen zu finden. Die Suche nach Spock und dem Roten Engel geht also weiter…
Warum Chuck Norris Angst vor Super-Saru haben muss
Nachdem man Saru in „Die Heiligen der Unvollkommenheit“ eine kleine „Zwangspause“ verordnet hatte, steht er nun wieder im Mittelpunkt der Geschichte. Die Ereignisse aus „Der Charonspfennig“ und „Die Heiligen der Unvollkommenheit“ werden gleich zu Episodenbeginn in einer sehr schönen Szene auf der Krankenstation klug zusammengeführt. Sowohl Commander Saru als auch Doctor Culber werden aufgrund ihrer kürzlich durchlaufenen körperlichen Transformation von Doctor Pollard (Raven Dauda) medizinisch durchgecheckt. Während Saru aus seiner „Wiedergeburt“ größtenteils gestärkt und selbstbewusst hervorgeht, scheint Hugh Culber nicht so ganz zu wissen, wie er mit dieser ungewohnten Situation umgehen soll. Hier könnte sich womöglich ein Konflikt zwischen dem emotional aufgewühlten Culber und dem überaus enthusiastischen Stamets andeuten. An dieser Stelle ist den Autoren ein großes Lob auszusprechen. Es wäre doch recht unglaubwürdig, wenn Culber angesichts dieser extremen Erfahrung einfach so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen könnte. In gewisser Weise erinnert seine nachdenkliche Verhaltensweise hier an Mr. Spock in „Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart“.
Aber zurück zu Saru. Dieser sinniert zwar darüber, ob er ohne seinen wesensbestimmenden Charakterzug – die ständige Furcht – noch er selbst ist. Andererseits schöpft er aus dem Verlust seiner Gefahrenganglien auch neue Kraft und ein neues Selbstbewusstsein. Sein gesamtes Auftreten wirkt nun einfach souveräner. Man nimmt ihm den Executive Officer mittlerweile auch mehr ab, als dies bisher der Fall gewesen ist. Andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob dieser Charakterwandel nicht zu neuen Konflikten zwischen Saru und dem Rest der Crew führen könnte. War sein Disput mit Captain Pike, der sich beinahe schon in Richtung einer physischen Auseinandersetzung entwickelt hat, vielleicht sogar ein Wink mit dem Zaunpfahl seitens der Autoren? Wollten diese damit vielleicht bewusst ein neues Konfliktpotenzial implementieren? Oder handelt es sich dabei lediglich um eine emotionale Überreaktion von Saru aufgrund der Verbundenheit zu seinem Volk?
Wie dem auch sei, Sarus Transformation ist jedenfalls bemerkenswert. Der neue „Super-Saru“ hat nun nicht nur körpereigene Waffen, sondern scheinbar auch unfassbare physische Kräfte. Das macht ihn auf der einen Seite für die Schiffsbesatzung noch wertvoller (man denke nur an Data oder Odo). Auf der anderen Seite ist sein biochemischer Umwandlungsprozess aber eben auch eine latente Gefahr, schließlich weiß man noch nicht, wie sich dieser Prozess auf Sarus Psyche auswirken wird. Jedenfalls fand ich die Inszenierung von „Super-Saru“ – auch wegen der musikalischen Untermalung – schon etwas grenzwertig. Die Gefahr, klischeehaft und lächerlich zu wirken, war jedenfalls gegeben. Neben diesem neuen „Super-Saru“ wirkt sogar Chuck Norris wie ein Schwächling. Ich glaube, es wird Zeit, dass bestimmte Witze umgeschrieben werden: „Chuck Norris Saru war in der Hölle. Der Teufel Ba’ul ist vor Angst gestorben.“
Gut geschrieben sind sicherlich die Szenen zwischen Saru und seiner Schwester Siranna. Deren Konflikt ist glaubwürdig, wobei der rasche Abschied Sarus doch etwas verstörend wirkt. Irritiert hat mich darüber hinaus die Tatsache, dass sich Saru und Burnham nach ihren hochemotionalen Szenen in „Der Charonspfennig“ in der deutschen Synchro immer noch siezen. Fängt diese lächerliche Siezerei jetzt schon wieder an? Miles und Julian lassen grüßen! Das kann doch nicht wahr sein!
Darf’s ein bisschen Horror sein?
An „Star Trek“ ist in der Vergangenheit häufig kritisiert worden, dass die hier dargestellten Aliens mehrheitlich humanoide Gestalt haben. Dies wurde zwar mit der The Next Generation-Episode „Das fehlende Fragment“/„The Chase“ recht kreativ erklärt, die Kritik blieb jedoch bestehen. Dementsprechend wurden mit Spezies 8472 in „Voyager“ sowie den verschiedenen Xindi-Spezies (Aquarianer, Avianer, Insektoiden, Reptilianer) in “Enterprise” schon ab Mitte der 90er auch vermehrt nichthumanoide Aliens in „Star Trek“ eingeführt. Besonders die Artenvielfalt der Xindi war eine Neuerung, die ich persönlich sehr ansprechend fand.
Mit den Ba’ul steht nun eine weitere fremde Lebensform in dieser noch vergleichsweise jungen “Star Trek”-Tradition, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Hier sind die Autoren endlich einmal wieder kreativ gewesen und von den für „Star Trek“ so typischen humanoiden Spezies abgewichen. Optisch wirkt diese aquatische Prädator-Spezies wie eine Mischung aus dem Tasha Yar-Killer Armus („Die schwarze Seele“ / „Skin of Evil“, TNG) und zwei bekannten Horror-Figuren, nämlich Freddy Krueger und das kleine Mädchen aus „The Ring“ von 2002. Eine kleine Prise „Horror“ hat seinerzeit schon bei Spezies 8472 ganz ordentlich funktioniert, also warum nicht?
Problematisch ist in meinen Augen allerdings die doch recht klischeebehaftete Umsetzung dieser gute Spezies/böse Spezies-Geschichte. Denn die böse Spezies ist hier leider mal wieder die komplett andersartige, dunkle und hässliche Kreatur, während die hellen und humanoiden Kelpianer die (scheinbar) unschuldigen Opfer sind. Zwar sind die Kelpianer auch nicht unbedingt ein Musterbeispiel für Attraktivität (sorry, Saru!), aber dennoch schwingt hier erneut ein altes Klischee mit: In „The Sounds of Thunder“ wird das Verhalten einer Spezies einmal mehr mit deren Erscheinungsbild assoziiert. Dieses fragwürdige Storytelling hat man in „Star Trek“ allerdings schon häufiger angewandt, obwohl diese Message so ganz und gar nicht dem allgemeinen Tenor von „Star Trek“ entspricht. Die Voyager-Episode „Nemesis“ (4×04) war hinsichtlich dieser Thematik eigentlich ein Meilenstein, denn hier waren entgegen der ersten Erwartung des Zuschauers ausnahmsweise mal nicht die hässlichen und aggressiv aussehenden Kradin die Aggressoren (oder Propagandisten), sondern die menschenähnlichen Vori. Wobei zur Wahrheit auch gehört, dass diese Episode letztlich offen lässt, ob nicht auch beide Seiten Dreck am Stecken haben.
Rätselhaft bleibt zudem, wie sich eine aquatische Lebensform, die scheinbar zwingend auf eine nasse Umgebung angewiesen ist, zu einer High-Tech-Gesellschaft entwickeln kann. Ich stelle es mir jedenfalls schwierig vor, im Wasser Computer, Kommunikationsplattformen oder gar einen Warp-Antrieb zu bauen. Des Weiteren ist das technische Niveau der Ba’ul generell sehr bemerkenswert. Angeblich verfügt diese Spezies erst seit rund zwei Jahrzehnten über die Warp-Technologie. Ihre Waffenkapazität spricht hier allerdings eine ganz andere Sprache. Den Vergleich zu „Enterprise“ spare ich mir an dieser Stelle einfach. Vielleicht muss man hier schlichtweg feststellen, dass die Menschheit eben doch nicht so supertoll ist, wie man in „Star Trek“ oft eingeredet bekommt. Andere Spezies haben in Sachen Technologie scheinbar mehr drauf als wir.
Von Unterdrückern und Unterdrückten
In der Episode „The Brightest Star“ aus den „Short Treks“ haben wir bereits erste Einblicke in die Kultur der Kelpianer erhalten, wobei deren Widerpart, die Ba’ul, hier nur namentlich erwähnt worden sind. Die Kelpianer sind eine äußerst spirituelle Prä-Warp-Zivilisation und leben auf dem Planeten Kaminar außerhalb des Föderationsterritoriums. Sie unterwerfen sich seit Jahrhunderten freiwillig der Ideologie der „Great Balance“, welche die Kelpianer zur Beute- und die Ba’ul zur Jägerspezies bestimmt.
Dass die Kelpianer scheinbar einst ein hohes technologisches Niveau erreicht, dieses aber freiwillig aufgegeben haben, war mir aus „The Brightest Star“ nicht wirklich ersichtlich geworden. In „Donnergrollen“ erfahren wir ferner, dass die Kelpianer ursprünglich die Unterdrücker waren und die Ba’ul deren Opfer. Demnach war es den Ba’ul ein Anliegen, das Vahar’ai – ein Evolutionsschritt, der die Kelpianer in mächtige Prädatoren transformiert – zu unterdrücken, beziehungsweise so umzudeuten, dass die Kelpianer die frühen Symptome dieser Transformation als Zeichen des nahenden Lebensendes werten. Und dass diese daraufhin freiwillig in den Tod („Schlachtung“) gehen. Basierend auf dieser gezielten Desinformation hat sich in den folgenden Jahrhunderten eine Ideologie auf Kaminar durchgesetzt, welche die Machtposition der Ba’ul gestärkt und die der Kelpianer geschwächt hat. Aus Unterdrückern sind Unterdrückte geworden und umgekehrt. Der Schlüssel hierfür sind die Pylonen („Das wachsame Auge“), die von den Ba’ul in den Siedlungen der Kelpianer aufgestellt worden sind, um die Beutespezies zu überwachen.
Grundsätzlich ist die Background-Geschichte um Kaminar hochinteressant und vielschichtiger, als ich zu Beginn der Serie erwartet hätte. Sicherlich, die Idee, dass sich auf einem Planeten zwei unterschiedliche intelligente Spezies entwickeln, ist nicht neu. Diese Storyline hat kennt man in „Star Trek“ schon, hat man diese vor über 20 Jahren sogar auf die Erde angewandt (siehe „Herkunft aus der Ferne” / “Distant Origin“, „Voyager“ 3×23). Dass diese zwei Spezies zudem in einen evolutionären Konflikt treten können, ist ebenfalls keine Neuerung. Hier sei unter anderem auf „Lieber Doktor” / “Dear Doctor“ aus der ersten Staffel von „Enterprise“ (1×13) verwiesen. Gewisse Handlungsparallelen bestehen sicher auch mit „Wer ist John?” / “Transigurations“ („The Next Generation“ 3×25) oder der „Romulaner vs Remaner“-Thematik.
An einem Punkt finde ich diese Geschichte allerdings nur bedingt überzeugend. Warum gelingt es den Ba’ul so einfach, die Kelpianer davon zu überzeugen, dass sie sich freiwillig der „Great Balance“ unterwerfen müssen? Sicherlich, es gibt genügend Beispiele in der Menschheitsgeschichte, die belegen, dass sich Menschen – oder auch ganze Gesellschaften – unreflektiert selbstdestruktiven oder wenigsten illiberalen Ideologien unterwerfen, seien diese nun religiös oder politisch. Und dennoch hätte ich mir an dieser Stelle etwas mehr Tiefgang gewünscht. Hier kommt wieder einmal der Deus ex Machina namens „fortschrittliche Technologie“ zum Einsatz. Weil die Ba’ul den Kelpianern plötzlich technisch überlegen sind, gelingt es ihnen natürlich auch postwendend, eine Ideologie im Denken der Kelpianer zu implementieren, die ihnen selbst zum Vorteil gereicht. Mir ist das an dieser Stelle inhaltlich wirklich viel zu dünn, weil die anthropologische, psychologische und soziale Dimension dieser Thematik fast vollständig ausgeblendet wird. Propaganda hat sicherlich auch etwas mit technischen Möglichkeiten zu tun. Aber im Wesentlichen spielen sich da psychologische und gesellschaftliche Mechanismen ab, auf die mir hier viel zu wenig eingegangen wird. Die Kelpianer wirken im Großen und Ganzen wie bornierte Idioten. Aber vielleicht war das ja auch die Absicht der Autoren.
Auch die Auflösung des Konflikts auf Kaminar ist alles andere als zufriedenstellend. Frieden schaffen mit Waffen – ist es wirklich so simpel? Werden die Ba’ul ihre Dominanz jetzt einfach so aufgeben? Und wie werden sich die Kelpianer entwickeln? Werden sie wirklich ein neues „Gleichgewicht“ herstellen, das Kaminar eine neue Ära des Friedens und der Gerechtigkeit beschert, so wie Saru es anstrebt. Oder werden sie nicht vielleicht doch alten Instinkten folgen und nach Vergeltung streben? Diese Geschichte schreit förmlich nach einer Fortsetzung!
Wen juckt hier eigentlich die Oberste Direktive?
Das wohl kontroverseste Element der jüngsten Discovery-Episode ist sicherlich die Frage, ob Pike und Co. hier im Einklang mit der „General Order 1“ – im Folgenden „GO1“ abgekürzt – agieren. Die Einschätzung von Burnham, die Einmischung in den Konflikt zwischen den Ba’ul und den Kelpianern tangiere die Oberste Direktive nicht, mutet in meinen Augen schon etwas merkwürdig an. Wenn ich mal den Vergleich mit dem Konflikt zwischen Cardassia und Bajor 100 Jahre später heranziehe, dann ist mir der Unterschied nicht ganz ersichtlich. Okay, die Kelpianer haben sich mit der „Great Balance“ arrangiert und sogar eine Art Religion oder zumindest eine Gesellschaftsideologie darum errichtet. Aber ist diese vermeintliche freiwillige Fügung in ein trauriges Schicksal (basierend auf einer perfiden „Desinformationskampagne“ durch die Ba’ul) tatsächlich ein Grund, der die Missachtung der GO1 an dieser Stelle rechtfertigen würde? Und bei den Bajoranern, die sich mit Händen und Füßen gegen die brutale Suppression der Cardassianer wehren, bleibt die Föderation ein Jahrhundert später dann aber hart und herzlos? Warum denn eigentlich? Nein, Burnhams Interpretation hat mich hier nicht ansatzweise überzeugen können.
Eine andere Frage ist allerdings, ob „Discovery“ hier wirklich so inkonsistent ist, wie man zunächst annehmen mag. Grundsätzlich ist schon die Tendenz zu erkennen, dass die GO1 im 23. Jahrhundert allgemein etwas laxer gehandhabt wird (Kirk!!!), als dies später im 24. Jahrhundert der Fall sein wird. Wobei auch Picard, Sisko und Janeway diese Regel mehrfach dehnen oder sogar brechen werden.
Womöglich ist das Verhalten von Pike und Konsorten deshalb sogar kanonischer, als man denkt. Man darf nicht vergessen: Die Sternenflotten hat zur Zeit von „Discovery“ erst rund ein Jahrhundert Tiefenraum-Erfahrung, sodass man die GO1 in dieser Zeit zwar grundsätzlich für sinnvoll hält, sich aber vielleicht mangels Erfahrung noch nicht wirklich bewusst darüber ist, welche gravierenden Folgen eine Missachtung in Einzelfällen haben kann. Dementsprechend wird die GO1 hier womöglich noch etwas „flexibler“ ausgelegt. Mit zunehmender Erfahrung wird diese Direktive dann in der Ära des 24. Jahrhunderts weitaus ernster genommen werden – vielleicht auch deshalb, weil man im 23. Jahrhundert Erfahrungen gemacht hat (oder noch machen wird?), die innerhalb des Föderationsrates oder dem Sternenflotten-Kommando zu einem Umdenken diesbezüglich führen werden.
Spontan fallen mir hier die TOS-Episoden „Der erste Krieg“/„A Private Little War“ (2×19) und „Die Stunde der Erkenntnis”/”The Apple“ (2×05) ein. Letztere muss man sich wirklich noch einmal zu Gemüte führen, bevor man sein abschließendes Verdikt über „Donnergrollen“ fällt.
Hier eine kleine Zusammenfassung: Die Enterprise untersucht Signale auf Gamma Trianguli VI, einem paradiesischen Planeten. Doch sowohl der Landetruppe als auch das Schiff geraten in Gefahr durch eine selbstbewusste Computermaschine mit dem Namen „Vaal“. Daraufhin stellt Kirk ohne zu zögern Kontakt mit einer indigenen Prä-Warp-Zivilisation her (Erstkontakt durch einen Faustschlag!) und stellt im Folgenden die gesamte Ideologie und Gesellschaftsstruktur dieser Spezies auf den Kopf.
Wer will angesichts eines Ereignisses, das gut zehn Jahre nach „Donnergrollen“ spielt, noch ernsthaft behaupten, die GO1 habe in dieser Ära denselben Stellenwert wie ein Jahrhundert später? Oder ist Kirk doch nur die Ausnahme und nicht die Regel?
Okay, das klingt jetzt vielleicht sehr nach einer apologetischen Rede. Vielleicht ist sie das ja auch. Aber mit viel Wohlwollen könnte man das Verhalten der Discovery-Crew so interpretieren, dass sich die GO1 zu dieser Zeit eben noch in einer Art „Experimentierphase“ befindet. Irritierend finde ich allerdings, dass selbst der wankelmütige Weltraum-Novize Jonathan Archer ein Jahrhundert früher mehr Sensibilität für diese Problematik an den Tag gelegt hat („Dear Doctor“) als der erfahrene und hochdekorierte Christopher Pike oder die „allwissende“ Burnham.
Letztendlich muss man sich die Frage stellen, ob man „Discovery“ nach TOS- oder nach TNG-Maßstäben bewerten möchte. Ich bin – ausgehend von den Aussagen der Showrunner, „Discovery“ stünde eher in der Tradition der Originalserie – der Meinung, dass man hier den TOS-Maßstab ansetzen muss. Und in dieser Epoche ist die Sternenflotte moralisch eben noch nicht so gefestigt wie zu Picards Zeiten. Oder wie kann es sonst sein, dass Kirk in „Spock unter Verdacht“ / “Balance of Terror“ (1×08) den Auftrag hat, das sich auf dem Rückzug (!!!) befindliche Schiff der Romulaner aus dem All zu pusten? Wenn wir über die Moral der Sternenflotte in „Discovery“ reden, dann müssen wir erst einmal bei der Originalserie anfangen.
Um ehrlich zu sein, ist mir „Discovery“ fast schon zu brav. Ich hätte mir bei einem Prequel in dieser Zeitperiode sogar einen größer und rauer wirkenden Alpha-Quadranten gewünscht. Die Figur des Harry Mudd geht da schon in die richtige Richtung. Aber wo sind eigentlich all die schlecht gelaunten Arbeiter in den Dilithiumminen der Föderation („Die Frauen des Mr. Mudd“ / “Mudd’s Women“, 1×06) oder die einsamen und paranoiden Außenpostler („Das letzte seiner Art“ / “The Man Trap“, 1×01 oder „Horta rettet ihre Kinder“ / “The Devil in the Dark“, 1×25) oder die verrückten Wissenschaftler („Der alte Traum“ / “What Are Little Girls Made Of?“, 1×09), die wir aus der Originalserie kennen?
Unter dem Strich bleibt in Sachen „Prime Directive“ sicher ein Geschmäckle, keine Frage. Aber man sollte diese Angelegenheit auch nicht zu hoch hängen. „Discovery“ sollte auch nicht zu sehr wie „The Next Generation“ wirken, sondern eher wie „The Original Series“.
Der Rote Engel bleibt ein Mysterium
In „Donnergrollen“ erfahren wir endlich wieder mehr über den mysteriösen Roten Engel. Dass es sich dabei um eine Spezies mit hochentwickelter Technologie handelt, liegt auf der Hand. Es bleiben nur zwei Fragen: Um wen oder was handelt es sich dabei? Und welche Absichten verfolgt er – gute oder böse?
Im Moment deutet eigentlich alles darauf hin, dass es sich dabei um eine wohlwollende Kreatur zu handeln scheint. Aber Spock hat ja im Trailer das Gegenteil behauptet. Und auch aus spannungstechnischer Sicht macht es eigentlich mehr Sinn, dass sich hinter dem Roten Engel eine ernsthafte Bedrohung verbirgt.
Nicht wirklich einleuchtend fand ich das Bestreben des Engels, die Discovery nach Kaminar zu locken, um dann am Ende letztlich doch selbst als Gamechanger zu fungieren. Nach sechs Episoden lässt sich allerdings ein interessantes Verhaltensmuster des Roten Engels erkennen. Er offenbart sich mit roten Signalen, die just in dem Augenblick verschwinden, wenn die Discovery dort eintrifft. In der Regel findet die Crew an diesem Ort dann eine Situation vor, die ein helfendes Einschreiten verlangt. Das war sowohl bei der U.S.S. Hiawatha als auch auf New Eden und Kaminar der Fall. Wobei Kaminar auch als Paradoxon gewertet werden kann. Also warum agiert der Rote Engel so, wie er agiert?
Denkbar ist auch folgendes Szenario: Der Red Angel ist ein zeitreisender (Tachyonen!) „guter Samariter“ und hat grundsätzlich auch gute Intentionen. Allerdings greift er in problematischer Weise in die Zeitlinie ein und bedroht somit die Galaxis. Spock hat das eventuell schon früh erkannt.
Dieser Story-Arc würde sich in der Tat sehr gut in einen Gesamtzusammenhang einfügen. Erstens würde dadurch die Bedeutung der GO1 aufgewertet. Zweitens würde das auch Spocks Verhalten in der Originalserie erklären, nämlich seinen rigorosen Rationalismus oder auch Realismus. Etwa wenn er in „Griff in die Geschichte“ / “The City on the Edge of Forever“ (1×29) zu der Schlussfolgerung kommt, dass gute Intentionen nicht zwangsläufig zu positiven Resultaten führen müssen. Und er deshalb seinen legendären Satz sagt: „Edith Keeler must die!“.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Geschichte in eine solche Richtung gehen könnte. Dass es sich beim „Red Angel“ um einen Zeitreisenden handelt, halte ich für extrem wahrscheinlich.
Der Blick in den Spiegel – gesellschaftskritische Aspekte
Ob und inwiefern eine “Star Trek”-Episode gesellschaftskritische Narrative enthält, hängt natürlich immer auch von jeweiligen Rezipienten ab. Sofern hierzu keine klaren Aussagen der Autoren vorliegen, muss man sich diesbezüglich in einem spekulativen Raum bewegen – was die Sache aber auch erst interessant macht. Manchmal interpretiert man auch zu viel in eine solche Episode hinein, was mir in der ersten Staffel zugegebenermaßen des Öfteren passiert ist. Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle über die gesellschaftskritische Message von „Donnergrollen“ grübeln. Und in der Tat bietet die Episode mehrere verschiedene Interpretationsansätze.
Da wäre zunächst der Titel selbst: „The Sounds of Thunder“ oder eben „Donnergrollen“. An dieser Stelle lohnt es sich zu betrachten, wie die Donner-Metapher im Kontext von mythologischen Erzählungen Verwendung findet. In der Regel symbolisiert der Donner die Macht einer übernatürlichen Wesenheit (Gottheit) sowohl über die Elemente als über deren Gegner. Der Donner versetzt Letztere in Angst und Schrecken. Das Donnern kann auch für eine Kriegsmotivik kosmischen Ausmaßes stehen oder allgemein für den Zorn (z.B. einer Gottheit).
Dementsprechend kann man das „Donnergrollen“ sowohl auf die Ba’ul und deren Unterwasserfestung sowie deren Pylonen beziehen (als Machtdemonstration, man achte auf die Geräuschkulisse) als auch auf die Kelpianer, die sich in Person von Saru in ihrem Zorn über die Ba’ul erheben und nach Freiheit und Emanzipation streben. Dieser mythologisch anmutende Titel ist dementsprechend passend gewählt und steht damit in einer Tradition aussagekräftiger, metaphorischer “Star Trek”-Episodentitel.
Was die gesellschaftskritische Botschaft betrifft, so kann man in „Donnergrollen“ eine Vielzahl an Motiven erkennen:
Da wäre einerseits die Unterdrückungsthematik, die sowohl etliche Perioden der Menschheitsgeschichte (z.B. Kolonialismus) widerspiegelt, andererseits aber auch als (stark verfremdete) Anspielung auf die immer noch bestehende Problematik des Nord-Süd-Gefälles der Gegenwart verstanden werden kann. Demnach wäre diese Episode Kritik und Mahnung zugleich: Strukturelle Asymmetrien oder auch Dependenzen, die als „Gleichgewicht“ verkauft werden, führen unweigerlich zu einer Gegenbewegung. Am Ende kann es nur dauerhaft Frieden und Prosperität für alle geben, wenn eine faire Balance hergestellt wird. Das ist es jedenfalls, was Saru zu sagen versucht.
Andererseits richtet sich die Episode eindeutig gegen eine Verhaltensweise, die archaische Welt- und Menschenbilder unreflektiert übernimmt, sodass sich Individuen oder ganze Gesellschaften in ein vermeintlich vorgegebenes Schicksal fügen. Die Mehrheit der Kelpianer ist unreflektiert, passiv und fast schon suizidal. Saru ist hier derjenige, der als eine Art Reformator aus alten, illiberalen Denkschemata ausbricht und seinen Leuten eine neue biologische und kulturelle Evolutionsstufe ermöglicht. Die Episode ist demnach auch ein progressives Plädoyer für die Freiheit des Geistes und die Ambition, sich und die Gesellschaft stetig weiterzuentwickeln.
Ein weiteres Motiv ist das der Propaganda- oder auch Fake-News-Kritik. Die Unterdrückung der Kelpianer ist den Ba’ul letztlich nur dadurch möglich, dass sie – auch unter Zuhilfenahme von Technik – diesen das Denken einbläuen, sie seien von Natur aus eine Beutespezies und hätten sich folglich diesem Schicksal wehrlos zu fügen. Aber das ist eben nur deshalb möglich, weil das Vahar’ai durch die Ba’ul vom Evolutionsschritt zum Sterbeprozess umgedeutet wird. Hierin steckt womöglich eine Kritik an fundamentalistischen religiösen Strömungen, die Bildung zum „Teufelszeug“ erklären, weil sie – ähnlich wie die Ba’ul das Vahar’ai – darin eine Gefahr für ihren Wahrheits- und Machtanspruch erkannt haben. Sarus Vater, ein Priester, hat diese Sichtweise scheinbar ebenfalls vertreten und sich damit zum Werkzeug der Unterdrücker machen lassen.
Zuletzt lässt sich die Episode natürlich auch als Kritik an unseren Umgang mit Tieren interpretieren. Auch wir Menschen nehmen uns das Recht heraus, im Namen einer herzustellenden „Großen Balance“ jährlich weltweit Milliarden von Tieren zu töten. Ob dieses „Gleichgewicht“ wirklich so natürlich ist, wie wir uns das gerne einreden, sei mal dahingestellt. Zumindest lohnt es sich, darüber einmal etwas ausführlicher nachzudenken.
Was sonst noch zu bemerken ist
- Mittlerweile habe ich die Befürchtung, dass Lt. Commander Reno ebenfalls im Myzelnetzwerk verschwunden sein könnte. Jedenfalls hat man sie das letzte Mal in „Der Charonspfennig“ an der Öffnung des Kokons gesehen. Wird wohl Zeit für eine weitere Rettungsmission im Myzelraum…
- Ash Tyler trägt jetzt wieder Sternenflotten-Standarduniform mit Sektion 31-Badge. Warum das so ist, bleibt mir ein Rätsel. Was hält die Sternenflotte eigentlich von Sicherheitsüberprüfungen? Scheinbar nicht viel…
- Nochmal zu Tyler: Sorry, aber diese Figur ist sogar noch überflüssiger als Neelix ab der vierten Staffel von „Voyager“. Bitte schnell weg mit ihm!
- Wenn Hugh Culbers DNA so neu ist und deshalb sogar seine alten Narben weg sind, warum hat er dann trotzdem grau melierte Haare? Das macht irgendwie nicht so ganz Sinn, oder?
- Wo war Commander Nhan? Die Discovery geht auf „Alarmstufe Rot“ und die neue Sicherheitschefin macht derweil was? Mittagspause?
- Die Geheimnistuerei um Airiam nervt! Die Szenen mit Tilly und Burnham wären ideal gewesen, um Airiam in einem persönlichen Gespräch endlich einmal näher zu beleuchten. Chance vertan!
- Effekte, Sound, Inszenierung und Musik waren wieder einmal grandios!
- Die Ba’ul-Station sah sehr nach dem umgebauten Transporterraum der Discovery aus. Die Budgetprobleme hätte man vielleicht auch weniger auffällig lösen können.
- Mit einer Laufzeit von 56 Minuten gehört die Episode zu einer der längsten Star Trek-Einzelepisoden überhaupt.
- Die Verwendung der Sphären-Datenbank zeugt von einer angemessenen Staffel-Kontinuität. Toll!
Fazit: Gnade mit den Gesetzesbrechern?
“The Sounds of Thunder“ abschließend zu bewerten, fällt alles andere als leicht. In meiner Rezension – nennen wir es an dieser Stelle „Gerichtsverfahren“ – habe ich nachgewiesen, dass die Discovery-Besatzung in dieser Episode ganz sicher gegen die „Oberste Direktive“ verstößt. Also schuldig im Sinne der Anklage? Nun, so simpel ist es dann eben doch nicht. Denn man darf hier meiner Ansicht nach nicht die „mildernden Umstände“ unberücksichtigt lassen. „Discovery“ spielt nun einmal in einer Zeit, in der die GO1 eben noch nicht so konsequent umgesetzt worden ist, wie das später der Fall sein wird. Das belegen mehrere Episoden der Originalserie. Zudem habe ich fast die Vermutung, dass diese fragwürdigen Verhaltensweisen in “New Eden” und der aktuellen Episode eventuell zu einem späteren Zeitpunkt der Staffel (oder Serie) aufgegriffen und kritisch reflektiert werden könnten. Demnach ist hier ein Schnellschuss in Sachen Kritik vielleicht gar nicht mal angebracht. Aber vielleicht traue ich den Autoren hier wieder mehr zu, als sie am Ende liefern können.
Mal abgesehen von der Frage, ob “Star Trek“ hier noch seinen Prinzipien treu geblieben ist oder nicht, hat das Trio Bo Yeon Kim, Erika Lippoldt (beide Story/Drehbuch) und Douglas Aarniokoski (Regie) ganz sicher eine absolut sehenswerte Folge abgeliefert. „Donnergrollen“ weiß definitiv zu unterhalten. Die Geschichte ist tempo- und facettenreich. Zudem sind die Dialoge weitestgehend gut geschrieben und gut gespielt und auch die Effekte sind wie gewohnt überragend. Natürlich weist das Drehbuch an manchen Stellen Plot Holes auf, gerade was den Konflikt zwischen den Ba’ul und den Kelpianern, aber auch was die Motivation des Red Angels betrifft. Auch den Diskussionen auf der Brücke der Discovery fehlt es stellenweise an inhaltlicher Tiefe und Kontroversität .
Dementsprechend kann ich “The Sounds of Thunder“ leider nicht viel mehr als eine durchschnittliche Bewertung zugestehen. Obwohl die Folge zweifellos großen Unterhaltungswert besitzt, fallen die inhaltlichen Schwächen einfach zu sehr ins Gewicht.
Bewertung
Handlung der Einzelepisode | [usr 4 max=”6″] |
Stringenz des staffel- und serienübergreifenden Handlungsstrangs | [usr 5 max=”6″] |
Stringenz des bekannten Kanons | [usr 3 max=”6″] |
Charakterentwicklung | [usr 3 max=”6″] |
Spannung | [usr 5 max=”6″] |
Action & Effekte | [usr 5 max=”6″] |
Humor | [usr 0 max=”6″] |
Intellektueller Anspruch | [usr 3 max=”6″] |
Gesamt | [usr 3,5 max=”6″] |
Episoden-Infos
Episodennummer | 21 (Staffel 2, Episode 6) |
Originaltitel | The Sounds of Thunder |
Deutscher Titel | Donnergrollen |
Erstausstrahlung USA | Donnerstag, 21. Februar 2019 |
Erstausstrahlung Deutschland | Freitag, 22. Februar 2019 |
Story/Drehbuch | Bo Yeon Kim & Erika Lippoldt |
Regie | Douglas Aarniokoski |
Laufzeit: | 56 Minuten |
Danke für diese Rezension. Da werden “Probleme” mit einer gewissen Distanz behandelt und nicht, als ob sie weiß Gott was für eine große Bedeutung haben. Es ist immer noch eine Fernsehserie, auch wenn natürlich ein ganz großes Franchise und ich bin weiß Gott genug Trekkie, um mit manchen Entscheidungen der AutorInnen zu hadern. Mir hat die Folge im Großen und Ganzen auch gefallen. Ob es jetzt jedesmal, wenn es eng wird, den “Deus ex Machina” braucht? Keine Ahnung, aber es gab schon oft genug diese seltsamsten Rettungen in letzter Sekunde und nur Dank G.R.R.Martin kann man sich heute nicht mehr… Weiterlesen »
Danke für diese Rezension. Da werden “Probleme” mit einer gewissen Distanz behandelt und nicht, als ob sie weiß Gott was für eine große Bedeutung haben. Es ist immer noch eine Fernsehserie, auch wenn natürlich ein ganz großes Franchise und ich bin weiß Gott genug Trekkie, um mit manchen Entscheidungen der AutorInnen zu hadern. Mir hat die Folge im Großen und Ganzen auch gefallen. Ob es jetzt jedesmal, wenn es eng wird, den “Deus ex Machina” braucht? Keine Ahnung, aber es gab schon oft genug diese seltsamsten Rettungen in letzter Sekunde und nur Dank G.R.R.Martin kann man sich heute nicht mehr… Weiterlesen »