Mit einem neuen Captain, einer neuen Mission und einem gigantischen Action- und Effektfeuerwerk startet “Star Trek: Discovery” in die zweite Staffel. Die Episode “Brother” verfügt nicht unbedingt über eine innovative Handlung, überzeugt aber mit Charme, Witz und vielen weiteren Elementen, die “Star Trek” in vergangenen Jahrzehnten ausgezeichnet haben. Mit der Premierenepisode der zweiten Season versprüht die Serie einen neuen Spirit, der wieder dem zu entsprechen scheint, was viele langjährige “Star Trek”-Fans zuvorderst mit Gene Roddenberrys Serienfranchise verbinden: Pioniergeist, Zusammenhalt und Zukunftsoptimismus.
Vorsicht Spoiler!
Die Handlung
Auf dem Weg nach Vulkan reagiert die Besatzung der U.S.S. Discovery auf einen Notruf der U.S.S. Enterprise NCC-1701, die unter dem Kommando von Captain Christopher Pike (Anson Mount) steht. Commander Burnham und Botschafter Sarek sind überrascht ob dieses unerwarteten Zusammentreffens und fragen sich, wie Spock, der als Wissenschaftsoffizier auf der Enterprise dient, nach Jahren der Kontaktlosigkeit auf sie reagieren wird.
Das Erscheinen der Enterprise löst bei Burnham einige Erinnerungen aus. Nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern wurde sie von Sarek und seiner Frau Amanda Grayson adoptiert und fand auf Vulkan ein neues Zuhause. Doch während Amanda der kleinen Michael mit großer Empathie und Liebe begegnete, zeigte deren leiblicher Sohn Spock dem neuen Familienmitglied die kalte Schulter.
Burnhams Flashback wird durch die Ankündigung unterbrochen, dass Captain Pike gemeinsam mit seinem Chefingenieur und Wissenschaftsoffizier auf die Discovery beamen möchte. Letzterer ist – zur Überraschung von Burnham und Sarek – allerdings nicht Spock, sondern Lieutenant Connolly (Sean Connolly Affleck). Nach seinem Eintreffen übernimmt Pike unter Berufung auf “Vorschrift 19, Absatz C” der Sternenflotte das Kommando über die Discovery, denn die Sicherheit der gesamten Föderation und ihrer Bürger steht auf dem Spiel.
Auf der Kommandobrücke macht der neue Kommandant der Besatzung klar, dass er kein zweiter Gabriel Lorca ist. Er bittet die Crew der Discovery um deren Vertrauen. Anschließend erläutert Pike die Natur der Mission: Die Sensoren der Föderation haben in den vergangenen 24 Stunden sieben nicht identifizierte rote Signale entdeckt, verteilt über mehr als 30.000 Lichtjahre. Diese Signale erscheinen, können gescannt werden und verschwinden dann urplötzlich wieder. Nur eines dieser Signale ist dauerhaft stabil geblieben. Die Natur dieser mysteriösen Phänomene ist der Föderation völlig unbekannt. Es könnte sich dabei um eine Grußbotschaft handeln – oder auch um ein Zeichen böser Absicht. Die Discovery hat nun den Auftrag, dieses eine stabil gebliebene Signal genauer zu untersuchen.
Auf dem Weg zur Quelle des roten Signals offenbart Lt. Commander Stamets seiner Kollegin Ensign Sylvia Tilly, dass er die Discovery in naher Zukunft verlassen wird, um eine Lehrtätigkeit auf Vulkan aufzunehmen. Das Schiff erinnert ihn zu sehr an den Verlust von Hugh Culber, was er einfach nicht mehr ertragen kann, so seine Begründung.
Burnham und Sarek unterhalten sich derweil über Spock. Aus dem Gespräch wird ersichtlich, dass nicht nur Sarek ein angespanntes Verhältnis zu seinem Sohn hat. Auch Burnhams Beziehung zu ihrem Ziehbruder scheint durch irgendetwas belastet zu sein. Was das ist, will Burnham Sarek allerdings nicht anvertrauen.
Bei der Ankunft an den besagten Koordinaten gerät die Discovery in ein dichtes Asteroidenfeld. Von dem Signal fehlt allerdings jede Spur. Burnham lokalisiert auf einem Asteroiden, der sich auf einem Kollisionskurs mit einem Pulsar befindet, die im Krieg vermisste medizinische Fregatte U.S.S. Hiawatha NCC-815. Es bleiben nur zwei Stunden, um nach Überlebenden zu suchen und darüber hinaus auch eine Gesteinsprobe des Asteroiden zu sichern. Tilly findet nämlich heraus, dass der Asteroid Energiespitzen im Myzelnetzwerk auslöst, die denen des Tardigraden gleichen. Eine genauere Analyse ist demnach dringend erforderlich.
Pike, Burnham und die Enterprise-Offiziere Commander Nhan (Rachael Ancheril) und Lieutenant Connolly starten mit vier einsitzigen Landekapseln eine waghalsige Rettungsmission, bei der Connolly im Asteroidenfeld sein Leben verliert. Die restlichen drei Mitglieder des Landetrupps schaffen es bis zum Schiffswrack. Auf der Hiawatha treffen Pike, Burnham und Nhan auf Commander Denise Jet Reno (Tig Notaro) und eine kleine Gruppe weiterer Überlebender des abgestürzten Schiffes. Die Hiawatha war aufgrund von stark fluktuierenden Gravitationswellen auf dem Asteroiden vor mehr als zehn Monaten aufgeschlagen. Der Großteil der Besatzung konnte zwar mit den Rettungskapseln fliehen, doch Commander Reno war freiwillig dort geblieben, um die nicht transportfähigen Schwerstverletzten zu versorgen.
Bevor der Asteroid samt Hiawatha vaporisiert wird, können das Außenteam sowie die Überlebenden der Hiawatha auf die Discovery gebeamt werden. Lediglich Burnham, die den Transport mit ihrem Einsatz erst möglich gemacht hat, bleibt zunächst auf dem Schiffswrack zurück. Sie erleidet eine schwere Beinverletzung, wird dann aber im letzten Moment von Captain Pike gerettet. Die zuvor von Burnham gesicherte Gesteinsprobe kann allerdings aus zunächst noch ungeklärten Gründen nicht vom Transporter erfasst werden. Burnhams Analyse ergibt schließlich, dass der Asteroid nicht vollständig aus baryonischer Materie besteht.
Daraufhin setzen Tilly und Stamets einen Gravitationssimulator ein, um auf diese Weise ein Stück des Asteroiden im Shuttlehangar zu bergen. Das Unterfangen gelingt. Die Discovery hat nun ein Untersuchungsobjekt zur Verfügung, das womöglich Aufschluss darüber geben kann, mit was es die Föderation hier zu tun hat. Nun kehrt die Discovery zur beschädigten Enterprise zurück.
Da nicht abgeschätzt werden kann, wann die Enterprise wieder vollständig einsatzfähig ist, wird Pike vom Sternenflottenkommando offiziell für die Dauer der Mission zum Captain der Discovery ernannt. Pike und Burnham unterhalten sich schließlich über Spock. In diesem Gespräch macht Pike die Andeutung, dass sich Spock in den letzten Monaten stark verändert hat. Nach Beendigung der Fünfjahresmission der Enterprise habe Spock um einen längeren Urlaub gebeten und das Schiff vor einiger Zeit mit unbekanntem Ziel verlassen.
In Spocks Quartier findet Burnham schließlich eine Datei, die darauf schließen lässt, dass Spocks seltsames Verhalten in direktem Zusammenhang mit der aktuellen Mission der Discovery stehen könnte…
Zum Start ein neuer Captain
Mit “Brother” kehrt “Star Trek: Discovery” nach knapp einjähriger Pause mit großen Erwartungen und vielen Neuerungen auf die Bildschirme zurück. Neu ist vor allem der Nachfolger von Captain Lorca, ein Mann namens Christopher Pike. Dieser wird nach Jeffrey Hunter, Sean Kenney (beide “The Original Series”) und Bruce Greenwood (“Star Trek”, “Star Trek Into Darkness”) nun von Anson Mount (45) verkörpert. Das ist insofern spannend, weil Captain Pike gemeinsam mit Spock zu den beiden ursprünglichsten aller “Star Trek”-Charaktere zählt, die Figur selbst aber bis heute ein weitestgehend unbeschriebenes Blatt geblieben ist, wenn man mal von der Kelvin-Version Greenwoods absieht. Dieses nahezu leere Blatt wird nun in der zweiten Staffel von “Discovery” beschrieben werden, so viel steht fest.
In “The Original Series” ist die Figur Christopher Pike in der ursprünglichen, aber seinerzeit vom Produktionsstudio abgelehnten, Pilotepisode “The Cage” (“Der Käfig”, 1965) sowie in der 1966 erstmalig ausgestrahlten Doppelepisode “The Menagerie, Part 1 & 2” (“Talos IV – Tabu, Teil 1 & 2”) zu sehen. Pike wird hier als nachdenklicher und sehr pflichtbewusster Kommandant charakterisiert, der seiner enormen Verantwortung als Raumschiffkapitän überdrüssig geworden ist und ernsthaft in Erwägung zieht, seinen Dienst bei der Sternenflotte zu quittieren. Am Ende von “The Cage” scheint diese Sinnkrise jedoch überwunden zu sein.
Der Pike, den die Zuschauer nun in “Brother” präsentiert bekommen, hat allerdings nur sehr wenig mit dem sehr ernst wirkenden Pike von damals gemeinsam. Anson Mounts Pike ist viel lockerer, freundlicher und lustiger als Hunters Version. Der “neue” Pike wirkt wie eine Symbiose aus dem lockeren James T. Kirk, dem erfahrenen Jean-Luc Picard, der mütterlichen Kathryn Janeway und dem wissbegierigen Jonathan Archer. Womöglich werden wir im Laufe der Staffel auch noch eine harte Seite von Pike sehen, die uns dann eher an Benjamin Sisko erinnern wird. Man könnte fast meinen, die Autoren haben Pike ganz bewusst als ein “Best of” der bisherigen “Star Trek”-Captains konzipiert. Auffällig ist natürlich, dass Pike das genaue Gegenteil von Lorca darstellt, was aus psychologischer Sicht für die “Discovery”-Besatzung auch dringend notwendig ist.
Im Hinblick auf den Kanon könnte man nun bemängeln, dass der “Discovery”-Pike ein völlig anderer ist als der originale Pike. Inwiefern man hier dem Kanon treu geblieben ist, muss jeder für sich selbst beurteilen. Schlussendlich kann man argumentieren, dass “The Cage”-Pike eben in einer Lebenskrise gezeigt hat, während “Discovery” Pike so zeigt, wie er wirklich ist. Ich sehe hier demnach keinen Konflikt mit dem Kanon.
Bereits in den Trailern zur zweiten Staffel war zu erkennen, dass Anson Mount diese Rolle mit purer Leidenschaft spielt und über eine bemerkenswerte Bildschirmpräsenz verfügt, die mich doch sehr stark an Picard-Mime Patrick Stewart erinnert. Mount ist, das kann man nach nur einer Episode schon festhalten, ein absoluter Gewinn für den Cast und somit für die gesamte Serie.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Einführung von Captain Pike am Ende nicht vielleicht sogar mehr Fluch als Segen sein könnte. Das Konzept der Serie sieht bekanntlich vor, die Figur der Michael Burnham in den Mittelpunkt zu stellen. Sonequa Martin-Green ist der Star der Serie. Um Burnham soll sich die Handlung drehen – um ihr Leben als Pflegekind Sareks, ihre wechselhafte Karriere in der Sternenflotte und – davon ist auszugehen – um ihren Weg von der Gefängniszelle bis in den Kommandosessel der “Discovery”.
Ich hatte es bereits in vielen meiner Rezensionen zur ersten Staffel geschrieben und muss auch nach dieser Episode leider bei meinem harten Urteil bleiben: Burnham funktioniert in meinen Augen als Protagonistin der Serie nur bedingt. Die Geschichte um Burnham, Sarek und Spock übt auf mich nur eine geringe Faszination aus. Mittlerweile stört mich auch zunehmend die Performance von Sonequa Martin-Green. Deren ständige “Hundeblick-Mimik” wirkt monoton und übertrieben. Die gute Frau neigt für meinen Geschmack etwas zum Overacting. William Shatner lässt grüßen! Und Burnham ist als Person weder übermäßig sympathisch noch besonders interessant. Bei jeder neuen Episode verfestigt sich bei mir die Überzeugung, dass Saru oder Tilly die besseren Protagonisten gewesen wären.
Anson Mounts Pike könnte diese Problematik nun weiter verstärken und eine Art “Seven of Nine-Effekt” auslösen. Die älteren unter uns werden sich noch daran erinnern, dass die Einführung der Figur der Seven of Nine im vierten Jahr von “Star Trek: Voyager” (1997) und die damit verbundene Fixierung der Handlung zahlreicher Episoden der vierten Season auf diesen Charakter zu einem Zickenkrieg zwischen der eigentlichen Hauptdarstellerin Kate Mulgrew (Captain Janeway) und ihrer Schauspielkollegin Jeri Ryan geführt hatte. Zwar konnte man dieses Problem nach gewisser Zeit lösen, doch dieser Konflikt hat dem Klima auf dem Set damals sicher mehr geschadet als genutzt.
Im Hinblick auf “Discovery” sehe ich die große Gefahr, dass viele Zuschauer am Ende der zweiten Season mehr mit Anson Mounts Christopher Pike sympathisieren als mit der steif wirkenden Michael Burnham. Was aber passiert, wenn sich Pike zum absoluten Fan-Liebling entwickeln sollte und man diese Figur dann wieder aus der Serie herausschreiben muss, weil man mit dieser das eigentliche Konzept der Serie konterkariert? Denn das Konzept von “Discovery” verträgt eigentlich keinen starken und sympathischen Captain, weil ein solcher Burnham die Show zu stehlen droht. Stellen sich die Produzenten mit Pike also nicht selbst ein Bein?
Ich gehe jedenfalls davon aus, dass Pike am Ende der zweiten Staffel wieder von Bord gehen muss. Und ich denke, dass das womöglich bei vielen Zuschauern nicht sehr gut ankommen wird. Man stelle sich vor, Patrick Stewart wäre am Ende der dritten Staffel von “The Next Generation” tatsächlich aus der Serie ausgestiegen. Dieser Verlust wäre wohl nicht zu kompensieren gewesen.
Brüderchen und Schwesterchen
Im Zentrum der zweiten Staffel wird das Beziehungsdreieck zwischen Burnham, Sarek und Spock stehen. Die Autoren bleiben sich hier ihrer Linie aus dem ersten Jahr treu und versuchen, Burnhams Vergangenheit mit Geschehnissen der Gegenwart zu verbinden. Die Intention dahinter dürfte darin bestehen, langjährige “Star Trek”-Fans für “Discovery” zu begeistern. Spock, Sarek, Amanda Grayson – das sind alles fest in der “Star Trek”-Historie etablierte Charaktere, die dabei helfen sollen, “Discovery” mit dem Kanon zu versöhnen. Viele Alt-Trekkies bleiben aber weiterhin skeptisch, denn es verwundert doch sehr, dass weder Spock noch Sarek (!) in den bisherigen Folgen und Filmen jemals über Michael gesprochen haben. Hierfür muss wirklich eine sehr gute Erklärung geliefert werden!
Die Flashback-Szenen haben bei mir zudem die Frage aufgeworfen, warum Spocks Halbbruder Sybok hier nicht zu sehen ist. In “Star Trek V: The Final Frontier” sagt Spock nämlich zu Kirk, dass er und Sybok gemeinsam aufgewachsen sind. Folglich ist davon auszugehen, dass Burnham nicht nur gemeinsam mit Spock aufgewachsen ist, sondern eben auch mit Sybok. Es wäre daher sehr enttäuschend, wenn Sybok in diesem Handlungsstrang keinerlei Erwähnung finden sollte. Ebenso stellt sich die Frage, warum Sarek scheinbar nicht viel über die belastete Beziehung zwischen Michael und Spock zu wissen scheint. In der ersten Staffel wurde noch der Eindruck erweckt, Sarek und Michael wären aufgrund einer einst durchgeführten Gedankenverschmelzung eng miteinander verbunden. Warum weiß Sarek dann so wenig über das schlechte Verhältnis seiner Kinder?
Interessant ist auf jeden Fall, dass Spocks Ablehnung Michael gegenüber seit dem ersten Moment an zu bestehen scheint. Dass Spock ein schwieriges Kind war, wurde bereits in vielen Episoden und auch in einigen Filmen zur Sprache gebracht. Hier zeigt sich auch eine Parallele zu Spocks Darstellung in “Star Trek” (2009).
Teambuilding im Weltraum
Während im ersten Jahr ein echter Gruppenzusammenhalt innerhalb der Discovery-Besatzung aufgrund von Captain Lorcas Führungsstil nicht wirklich existierte, wächst die Crew nun stetig zusammen. Tilly ist hier diejenige, die mit ihrer liebenswerten Art für ein gutes Gruppenklima sorgt. So ist es ihr gelungen, die harten Schalen von Stamets und Burnham zu knacken und deren Vertrauen zu gewinnen. Auch die Beziehung zwischen Burnham und Saru scheint sich wieder normalisiert zu haben. Mit Captain Pike kommt nun ein Charakter hinzu, der es gekonnt versteht, Teambuilding zu betreiben. Seine Rede auf der Brücke, sein Interesse an den Personen (nicht Offizieren!), mit denen er arbeitet, und seine Politik der offenen Tür haben heilsame Wirkung auf die verwundete Seele der Discovery-Besatzung.
Hinsichtlich der Charaktermomente stehen Pike, Burnham und Sarek klar im Mittelpunkt von “Brother”. Sehr schön ist aber auch der (kurze) Dialog zwischen Tilly und Stamets, der verdeutlicht, wie sehr Stamets um Hugh Culber trauert. Diese Trauer hatte er in den Wirren des Krieges noch verdrängen können, was ihm nun nicht mehr zu gelingen scheint. Mich hat Stamets’ Argumentation in dieser Szene sehr stark an das Gespräch zwischen Captain Sisko und Lt. Commander Worf am Ende von “The Way of the Warrior” (“Der Weg des Kriegers, 1995”) aus “Deep Space Nine” erinnert.
Saru kommt in dieser Episode für meinen Geschmack leider etwas zu kurz. Abgesehen von einer kurzen Anspielung auf die “Short Treks”-Geschichte “The Brightest Star” und einigen wenigen Dialogen bleibt der Kelpianer leider eher im Hintergrund.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das düstere, argwöhnische und psychisch erdrückende Klima auf der Discovery Geschichte zu sein scheint. Obwohl sich die Discovery auch dieses Mal wieder auf einer Mission von existenzieller Bedeutung befindet, schwingt im Gegensatz zum ersten Jahr dieses Mal mehr Optimismus und Pioniergeist mit. Deutlich wird das vor allem in den Schlussminuten der Episode, als Pike zu Burnham sagt: “Wo immer die Missions uns auch hinführt, wir lassen uns dabei auf keinen Fall den Spaß verderben.”
Effektfeuerwerk auf Blockbuster-Niveau
“Brother” ist einmal mehr optisch überragend und bietet Effekte und Actionsequenzen auf Blockbuster-Niveau. Diese überragende Optik ist sicherlich das, was “Discovery” von allen bisherigen “Star Trek”-Serien unterscheidet. Da eine Season nur halb so viele Episoden umfasst wie in früheren Zeiten, haben die Produzenten natürlich auch mehr Ressourcen für die jeweiligen Einzelepisoden zur Verfügung. Und das merkt man auch in jeder einzelnen Episode.
Mit der Flugszene durch das Asteroidenfeld setzt sich indes ein Trend fort, der seit “Star Trek (2009)” zu beobachten ist. Die einsitzigen Flugkapseln haben mich doch sehr stark an Serien wie “Earth: Final Conflict”, “Babylon 5” oder den Tom Cruise-Film “Oblivion” erinnert und weniger an das klassische “Star Trek” mit seinen mehrsitzigen Shuttles und Runabouts. Diese neuen Pods sind scheinbar auch an Mr. Spocks “Quallenschiff” aus “Star Trek (2009)” angelehnt, vor allem die Antriebsgeräusche kamen mir sehr bekannt vor. Ich persönlich brauche solche temporeichen Flugszenen in “Star Trek” zwar nicht, allerdings stören sie mich auch nicht wirklich. Eine gewisse Anbiederung an andere Science-Fiction-Produktionen muss ich den Verantwortlichen hier aber schon unterstellen.
Ein kleines Logikloch hat diese Szene allerdings auch. So habe ich mir die Frage gestellt, warum man bei diesen Flugkapseln im Cockpit immer noch auf Glas (oder transparentes Aluminium?) setzt, während die Discovery ihren Shuttlehangar mit einem Kraftfeld versiegelt. Pike wäre womöglich gar nicht in Lebensgefahr geraten, wenn sein Cockpitfenster ebenfalls aus einem Kraftfeld bestanden hätte.
Kritikwürdig ist ebenso der klischeehafte Tod von Lt. Connolly, der nach einer alten “The Original Series”-Tradition eigentlich ein “Redshirt” hätte sein müssen. Schon zu Beginn der Szene war eigentlich klar, dass einer der beiden Enterprise-Offiziere die Spritztour durch das Asteroidenfeld nicht überleben wird. Man fragt sich schon, warum es in solchen Szenen immer ein Todesopfer geben muss. Und warum es sich hierbei stets um den “unwichtigsten” Charakter handelt. Als “Platzhalter” für Spock war Connolly natürlich die erste Wahl, auch wenn Commander Nhan ein rotes Hemd trägt. Ich denke, die Gefährlichkeit dieser Mission wäre auch ohne Connollys Kollision mit einem Asteroiden deutlich geworden. Auf der einen Seite ist Connollys Tod eine lustige Anspielung auf die Originalserie. Auf der anderen Seite wäre ich positiv überrascht gewesen, wenn ausnahmsweise mal alle Mitglieder des Außenteams lebend zurückgekehrt wären. In “The Next Generation” musste ja auch nicht immer irgendjemand sterben.
Ein großes Lob gebührt dem Soundtrack der Episode. Die Musik von Jeff Russo lässt echtes “Star Trek”-Feeling aufkommen und gehört ganz sicher zu den besten musikalischen Untermalungen in der gesamten Serie. Auch die Kameraführung ist hochmodern, dynamisch und unterstützt dadurch das enorme Tempo der Serie. Besonders gut gefallen hat mir die Kameraführung in den Szenen, die im Transporterraum und auf der Brücke spielen. Regisseur Alex Kurtzman hat hier wirklich einen tollen Job gemacht.
Story schwach, Umsetzung stark
Das Drehbuch zur Staffelpremiere stammt von Ted Sullivan, Gretchen J. Berg und Aaron Harberts. Hier muss man leider sagen, dass die Handlung der Einzelepisode, sofern man heutzutage überhaupt noch von so etwas sprechen kann, wenig kreativ ist. Eine Geschichte über ein Schiff, das auf einem Asteroiden (oder Planeten) abgestürzt ist und seit Wochen, Monaten oder sogar Jahren als vermisst gilt, gab es in “Star Trek” schon sehr oft. Auch in “Brother” gilt das Prinzip “Der Weg ist das Ziel”. Das, was auf dem Schiffswrack letztendlich vorgefunden wird, ist weniger aufregend als der Weg dorthin. Am Ende dient diese Rettungsmission primär dazu, Pike einen actiongeladenen Einstand zu bescheren. Dieses Ziel wird auch erreicht. Nichtsdestotrotz hätte ich mir zum Staffelstart in Sachen Story etwas mehr erhofft. Irgendwie fehlt mir hier die Innovation.
Und dennoch weiß “Brother” in der Gesamtheit zu überzeugen, denn letztendlich hat die Episode neben der Einführung von Captain Pike eine weitere wichtige Funktion: Sie legt die Grundlage für ein wissenschaftliches (!) Rätsel, das es im Laufe der weiteren Staffel zu lösen gilt. Und auch hier kann man konstatieren, dass dies sehr gut gelungen ist. Das Rätsel um die roten Signale weckt den Forschergeist der Discovery-Besatzung wie auch den der Zuschauer. Und exakt das ist es, was Star Trek in meinen Augen charakterisieren sollte: “To boldly go where no one has gone before!”
Die Verantwortlichen der Serie haben scheinbar erkannt, dass man auch mit Forschungsmissionen Spannung, Dramatik und Action kreieren kann. Es muss nicht immer die Raumschlacht oder der Nahkampf sein.
Wenn man diesen neuen Pfad beibehält, könnte “Discovery” in der zweiten Staffel tatsächlich die Serie werden, auf die “Star Trek”-Fans seit vielen Jahren hoffen. Dafür muss man der Serie aber eben auch eine echte Chance geben. Wenn man allerdings in den einschlägigen Internetforen zahlreiche Meinungsbeiträge liest, dann scheinen viele Alt-Trekkies ihr Urteil über die Serie leider schon abschließend gefällt zu haben. Das finde ich etwas schade, denn eigentlich hat jede “Star Trek”-Serie ein, zwei Staffel gebraucht, um ihr eigenes Profil zu finden.
Hommage an die Originalserie
“Brother” setzt in guter, alter “Star Trek”-Tradition verstärkt auf Humor und lockere Sprüche. Viele Szenen (Tilly!) sind auch wirklich lustig, an einigen wenigen Stellen erschien mir der Humor allerdings etwas aufgesetzt, wie etwa die Turbolift-Szene mit dem Saurianer Linus, die doch recht infantil wirkt.
In Sachen Optik stechen natürlich die bunten Uniformen heraus, die für “Discovery” meiner Ansicht nach sogar noch besser neu gestaltet worden sind als für die Reboot-Filme. Pikes Bemerkung, auf der Enterprise man trage schon die “neuen Uniformen”, soll zwar den Kanon ehren, widerspricht diesem allerdings. Tatsächlich gab es die Abteilungsfarben Gelb, Blau und Rot erst in der Zeit von Captain Kirks Fünfjahresmission (ab 2265). In “The Cage” (2254) und in “Where No Man Has Gone Before” (2265) waren die Farbcodes noch Sand (Kommando, Navigation), Ocker (Technik, Sicherheit) und Blau (Wissenschaft, Medizin) gewesen. Halten wir den Produzenten einfach zugute, dass sie darum bemüht sind, “Discovery” mit “The Original Series” zu synchronisieren. Eine etwas bessere Recherche wäre an dieser Stelle allerdings wünschenswert gewesen.
Hervorragend war hingegen die Recherche in Bezug auf die Gestaltung von Spocks Quartier. Das Innere von Spocks Kabine ist erstaunlich nahe an dem Original–Look. Man hat wirklich auf viele kleine Details geachtet, wie etwa die Rottöne, das Wandgitter, das dreidimensionale Schachspiel oder auch das vulkanische Zupfinstrument. Hier hat man sich wirklich sehr viel Mühe gemacht, die Originalserie zu würdigen.
Fazit: Klassisch und doch modern
“Brother” ist ein sehr vielversprechender Start in die zweite Staffel der Serie. Es scheint, als hätten die Serienmacher eingesehen, dass die Mehrzahl der langjährigen Fans eine “Star Trek”-Serie sehen möchte, die optimistischer, lustiger, menschlicher und vor allem wissenschaftsorientierter ist als die erste Staffel von “Star Trek: Discovery”. Gleichwohl muss auch jedem Alt-Trekkie klar sein, dass man im Jahr 2019 keine Serie im 90er-Stil mehr machen kann. Ohne Tempo, Action und Effektfeuerwerke geht es eben nicht mehr, schon gar nicht auf kostenpflichtigen Streamingdiensten wie CBS All Access und Netflix.
Und genau hier liegt der Kompromiss, den das moderne “Star Trek” zwangsläufig eingehen muss. Einzig auf tiefgründigen Dialogen basierende Episoden, die auch mal ohne ein Effektspektakel auskommen, sind dem Mainstream-Publikum von heute eben nicht mehr zu verkaufen. Jedenfalls nicht im Rahmen einer Serie, deren Staffel nur 13 bis 15 Episoden umfasst. Das “Star Trek” der Gegenwart muss demnach möglichst in jeder einzelnen Episode eine kluge Mischung aus Spannung, Action, Witz, gesellschaftskritischen Untertönen und emotionalen Charaktermomenten finden. Und das ist wirklich eine Mammutaufgabe! Das sollte man – bei jeder noch so berechtigten Kritik – auch stets im Hinterkopf behalten.
Mein Eindruck ist, dass “Discovery” mit “Brother” diesbezüglich schon auf einem sehr guten Weg ist. Ob sich das moderne Popcorn-Fernsehen der Gegenwart mit dem Forschergeist und den gesellschaftskritischen Narrativen der älteren “Star Trek”-Serien erfolgreich verbinden lässt, wird die Zukunft zeigen müssen. Die Grundstimmung von “Brother” gibt jedenfalls Anlass zu großem Optimismus. Die Sternenflotte forscht wieder und muss keinen Krieg mehr führen. Das ist der Geist des Originals, den es nun weiter zu kultivieren gilt.
Luft nach oben besteht allerdings weiterhin hinsichtlich der Kreativität der Narration. “Discovery” muss aufpassen, bereits bekannte “Star Trek”-Erzählstoffe nicht einfach nur in technisch und dramaturgisch modernisierter Form zu wiederholen. Die recht einfach gestrickte Geschichte um eine Rettungsmission hat in meinen Augen doch eine gewisse Einfallslosigkeit offenbart, die mir zumindest kleine Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Vor rund 15 Jahren ist schon “Star Trek: Enterprise” an dem Versuch gescheitert, alte Erzählungen in neuen Gewändern als Innovation zu verkaufen. Auch die Reboot-Filme haben viele Geschichten aus dem alten “Star Trek” lediglich in moderner Form wiedererzählt. Diesen Fehler darf “Discovery” keinesfalls begehen, sonst könnte die Serie auch schnell wieder von der Bildfläche verschwinden.
Bewertung
Handlung der Einzelepisode | 3/6 |
Stringenz des staffelübergreifenden Handlungsstrangs | ohne Bewertung |
Stringenz des bekannten Kanons | 4/6 |
Charakterentwicklung | 4/6 |
Sannung | 5/6 |
Action | 6/6 |
Humor | 5/6 |
Intellektueller Anspruch | 2/6 |
Gesamt | 4/6 |
Jetzt nach der vierten Folge von Star Trek Discovery ist genau das eingetroffen, was der Kommentator in seiner Kristallkugel vorausgesehen hat. Der Star von Stark Trek Discovery Staffel 2 ist Captain Christopher Pike. Nahezu alle Discovery Fan Seiten werden von ihm dominiert. Ich bin auch mal gespannt, wie die Macher der Serie damit umgehen. Ich persönlich würde sehr gerne einen Ableger mit Pike, Number 1, Spock und der Enterprise sehen. Liebend gern!
Sehr schöne Rezension, der ich mich voll anschließen kann.
Merke, dass ich alt werde, denn ich hatte Mühe, mit dem hohen Tempo der Episode mitzuhalten.
Die Produktion in Kinofilmqualität lässt leider alle weiteren Star Trek-Kinoproduktionen überflüssig werden…. Schade, obwohl die Filme immer ein gemischtes Vergnügen waren, war es immer aufregend, Star Trek auf der großen Leinwand zu sehen…
Ein sehr schönes und faires Review. Kritik an den richtigen Stellen, aber auch Lob. Sehr ausführlich und fundiert. Zwar bin ich nicht mit allem einverstanden (beispielsweise finde ich Michael einfach klasse), aber Geschmäcker dürfen auch anders sein. Freue mich auf deine kommenden Reviews, Matthias
Vielen Dank für das Feedback!